Korn Ferry ist die weltweit größte Personalberatung mit rund 7000 Mitarbeitern. Hierzulande beschäftigt das US-Unternehmen 260 Menschen. Kienbaum beschäftigt rund 600 Mitarbeiter an 24 Standorten, ist aber die einzige größere Beratung mit deutschen Wurzeln.
„Die gewaltigen Herausforderungen, vor denen Organisationen nicht nur, aber vor allem wegen Corona stehen, erfordern auch von uns als Beratungshaus andere Antworten“, sagte Fabian Kienbaum im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Mit einer neuen Governance und einem neuen Führungsmodell solle Kienbaum diverser und noch schlagkräftiger werden. „Denn sicherlich hat es in der Leitungsebene unseres Hauses bislang eine Diskrepanz zu unserem Anspruch an Vielfalt gegeben.“ Zwar seien mittlerweile mehr Beraterinnen als Berater aktiv, dennoch sei die Führung noch „männerdominiert“, sagt er.
Bei Kienbaum ging die Geschäftsführung bislang vom Vater auf den Sohn. Gründer Gerhard Kienbaum schuf noch im letzten Kriegsjahr das Beratungsunternehmen in Gummersbach. Sein Sohn Jochen kam 1978 ins Unternehmen, wurde 1985 mit der alleinigen Führung betraut, und expandierte kräftig – auch international. 2018 übernahm Fabian Kienbaum die Geschäfte und eine schwierige Restrukturierungsaufgabe.
Der Umsatz war seit 2013 von 112 Millionen Euro auf 87 Millionen Euro im Jahr 2018 gesunken. Von 2013 bis heute haben rund 130 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Spezialisierung, Digitalisierung und Diversität waren bei Kienbaum noch nicht angekommen, ein radikaler Schritt musste her und das Unternehmen sich neu erfinden und sich mehr spezialisieren. Noch ist unklar, ob die Rechnung aufgeht.
Aktuellere Zahlen gibt Kienbaum noch nicht bekannt. Der Unternehmenschef räumt nur ein, dass der Umsatz 2020 um zehn bis 15 Prozent gesunken sei. Nun will er mit Hahn an seiner Seite Kienbaum wieder auf Wachstumskurs bringen. Sie sei nicht nur eine Topberaterin, sondern auch „eine ebenso starke Führungskraft nach innen“.
Im Interview mit dem Handelsblatt erklärt Kienbaum, wie sich das Unternehmen neu aufstellt und warum sich junge Leute wieder Gedanken um die Jobsuche machen müssen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Kienbaum, ab Mitte August führen Sie gemeinsam mit Bibi Hahn das Unternehmen. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?
Wir sind überzeugt: Die gewaltigen Herausforderungen, vor denen Organisationen nicht nur, aber vor allem wegen Corona stehen, erfordern auch von uns als Beratungshaus andere Antworten. Mit einer neuen Governance und einem neuen Führungsmodell soll Kienbaum diverser und noch schlagkräftiger werden, um den Nutzen für unsere Kunden zu maximieren.
Sie haben nach eigenen Angaben bereits mehr als 50 Prozent Frauen in der Beratung, waren bislang in der Spitze wie Sie selbst sagen aber „männerdominiert“. Woran lag das?
Zunächst: wir haben hier ein tolles Führungsteam an Bord, das mit hohem Engagement unterwegs ist. Und dennoch gab es in der Leitungsebene tatsächlich eine Diskrepanz zu unserem Anspruch an Vielfalt. Bibi Hahn passt deshalb mit ihrer fachlichen Expertise, ihrem Leistungs- und Werteverständnis und ihrer klaren herzlichen Art perfekt zu unserem Unternehmen. Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass wir für eine nachhaltig diversere Aufstellung über das Geschlecht hinaus gezielt entsprechende Initiativen und Programme stärken müssen.
Bibi Hahn
Seit 2016 war die Managerin in der Geschäftsführung bei Korn Ferry Deutschland.
(Foto: Korn Ferry)
Was erhoffen Sie sich von der neuen Doppelspitze für Kienbaum?
Die neue Doppelspitze bei Kienbaum verleiht uns nach außen und innen mehr Wirksamkeit. Was Bibi Hahn besonders auszeichnet: Sie ist seit mehr als 20 Jahren nicht nur eine fest im Markt stehende Topberaterin, sondern eine ebenso starke Führungskraft nach innen. Damit vereint sie als Persönlichkeit zwei unabdingbare Stärken in unserer Profession.
Wird Ihre neue Kollegin wie Sie den Titel „Chief Empowerment Officer“ statt Chief Executive Officer bekommen?
(lacht) Gute Anregung. Das werde ich sie mal fragen …
Was unterscheidet denn einen Chief Empowerment Officer von einem klassischen CEO?
Modern aufgestellte Organisationen leben davon, dass sie die Intelligenz und das Potenzial der Mitarbeitenden wirklich heben, indem sie Eigenverantwortung und Freiheit großschreiben. Wenn das gelingt, sind Unternehmen in meiner festen Überzeugung nachhaltig erfolgreicher. Ein Chief Empowerment Officer ist der- oder diejenige, der oder die den Befähigungsgedanken maximal treibt. Das ist eine Kultur- und Haltungsfrage, titelseitig ausdrucksstark untermauert.
Wer hat den Titel erfunden?
Der ist in Zusammenarbeit mit dem slowenischen Violinisten und Leadership-Coach Miha Pogacnik als Wortspiel entstanden. Es geht eben nicht darum, zu exekutieren, sondern zu befähigen.
Remote Leadership: „Es geht um den Aufbau von emotionaler Nähe, bei physischer Distanz.“
Und was beschäftigt Sie als Chief Empowerment Officer gerade am meisten?
Die psychische Konstitution unserer Leute. Die Belastung ist durch die dichte Taktung schon sehr hoch. In der jetzigen Phase steht Remote Leadership im Fokus: Zusammenfassend geht es um Beziehungsmanagement, hochindividualisiert, um Vertrauen zu stärken, weil wir durch fehlende psychologische Sicherheit, Zugehörigkeit, Kollegialität sowie emotionale Interaktion Überforderungen vorbeugen müssen. Es geht also um den Aufbau von emotionaler Nähe, bei physischer Distanz.
Das beschäftigt ja alle Organisationen gerade …
Ja, es ist das Mega-Leadership Thema für die kommenden Jahre; wird aber völlig unterschiedlich gelebt. Es herrscht offenbar nach wie vor ein anachronistisches Kontrollverständnis in einigen Organisationen vor, nach dem Motto, nur wer anwesend ist, kann produktiv arbeiten.
Wie läuft das Personalberatungsgeschäft, das für rund die Hälfte des Umsatzes steht bei Kienbaum? In der Coronakrise dürften Führungskräfte doch eher den Wechsel scheuen.
Relativ robust und doch dynamisch, wir sehen eine hohe Mobilität, trotz allem. Unsere Mutmaßung zu Beginn der Pandemie war, dass das Search-Geschäft ‚eingefroren‘ ist, weil die Menschen eine gewisse Scheu haben, zu wechseln und gleichzeitig viele Unternehmen zurückhaltender sind bei Einstellungen. Das gibt es zwar auch, aber der Arbeitsmarkt ist nicht so eingetrübt, wie man denken mag.
In welchen Bereichen gibt es denn rege Wechsel?
Es tut sich viel bei Financial Services, Pharma, Health Care, im öffentlichen Dienst. Die Branchen stehen unter gehörigem Innovationsdruck. Dann hat man zugleich eine unbändige Nachfrage wegen der Pandemie. Daneben gibt es sehr leidgeprüfte Branchen wie die Luftfahrt und den Tourismus.
Haben wir durch Corona etwa wieder einen Arbeitgebermarkt oder nach wie vor einen Arbeitnehmermarkt?
Die digitalaffinen Leute können sich schon noch aussuchen, wo sie ihr Herz hinträgt. Aber wir beobachten auch, dass der Kampf um gute Jobs größer geworden ist. Man muss das also differenziert betrachten.
Jobwechsel: „Junge Bewerber müssen sich mehr Gedanken machen.“
Wie sieht es bei Spitzenpositionen aus?
Bei Spitzenpositionen gibt es weiterhin eine hohe Mobilität, das hat damit zu tun, dass sich Organisationen die Frage stellen: ‚Sind wir zukunftsfest aufgestellt? Haben wir die richtigen Leute für die Disruption?‘ Und strategische Debatten über Transformation haben schon Fahrt aufgenommen. Für Fachpositionen und nicht so exponierte Positionen dagegen, wo der Druck nicht so groß ist, werden die Fragen ‚Stellen wir ein? Wollen wir extern rekrutieren?‘ häufiger mit ‚Nein‘ beantwortet.
Müssen sich junge Bewerber also nach Corona mehr Gedanken machen?
Ja, das müssen sie, der Markt ist umkämpfter. Es gibt einfach weniger attraktive Stellen.
Wie sehr hat die Coronakrise den Umsatz von Kienbaum belastet?
Zehn bis 15 Prozent. Das ist nicht schön, aber angesichts vieler Entwicklungen, die wir um uns erleben, vollkommen in Ordnung. Wir hatten ehrlicherweise in unseren Beratungssegmenten mit mehr Einbußen gerechnet.
Laut Bundesanzeiger lag der Umsatz 2018 bei 87 Millionen Euro, das Ebit bei 1,6 Millionen, wie ist es seitdem weitergegangen?
2019 waren wir ähnlich unterwegs, 2020 entsprechend wie ausgeführt. Das Ebit besitzt für unser Geschäft im Übrigen keine große Aussagekraft, weil es das Ergebnis nach Bonus darstellt und das kann je nach Performance natürlich stark atmen.
Wird es 2021 wieder aufwärtsgehen?
Wir sind guten Mutes, hatten ein starkes Q4 2020 und einen soliden Jahresstart 2021. Wirtschaft hat ja auch viel mit Psychologie zu tun: Je schneller wir impfen, desto zuversichtlicher bin ich für eine rasche wirtschaftliche Erholung gestimmt.
Zur Bundesregierung: „Man war bemüht, engagiert, aber überfordert“
Wenn Sie als Personal- und Organisationsberater auf die Arbeit der Bundesregierung schauen, wie lautet Ihr Urteil?
Man war bemüht, engagiert, aber überfordert. Statt des Lockdowns als einzige Antwort, wäre „Trust, Test, Trace, Treat“ die richtige Strategie gewesen. Demokratien wie Südkorea und Taiwan haben es gezeigt. Und: Die Organisation der Tests und der Impfungen sollte man bitte an Profis übergeben. Schauen Sie nach Großbritannien: Dort kümmert sich die Risikokapitalgeberin Kate Bingham um die Impfstoffbeschaffung, nachdem vieles in der Pandemiebekämpfung lange Zeit besorgniserregend schlecht lief.
Im Personalberatungsgeschäft gibt es eine Spezialisierung auf einzelne Branchen. In den vielen Rankings findet man Kienbaum aber kaum in der Spitzengruppe …
… aber wir sind dabei. Dafür, dass wir aus einer föderalen Struktur kommen und Generalisten waren, ist das doch sehr ordentlich. Richtig ist: Wir sind erst deutlich später auf die Spezialisten-Schiene umgeschwenkt und jetzt branchen- und funktionsorientiert aufgestellt.
Und wo will Kienbaum hin?
Wir verstehen uns als internationale Personal- und Organisationsberatung und die Anteile sind jeweils leicht unter und leicht über 50 Prozent. Diese Dualität wollen wir bewusst abbilden in unserem Geschäftsmodell, denn wir sehen den Mehrwert in der Kombination. Personalberatung als reines Headhunting wird uns nicht gerecht. Bei uns gewinnen Kulturanalysen, Eignungsdiagnostik und vor allem Performance Management an Relevanz. Die Unternehmen fragen sich: ‚Haben wir die richtigen Leute?‘ Dann ist die nächste Frage: ‚Wofür denn?‘ Und 'wie steuern wir sie oder was sollen sie verdienen?'
Da ist der Weg zur Struktur- und Strategieberatung nicht weit, oder?
Ja, dann fragen sich die Unternehmen, was denn die richtige Struktur für sie ist, mit welcher Governance sie aufgestellt sind: eher wie ein großes, oder wie drei kleine Unternehmen? Struktur- und Personalberatung gehen sehr häufig Hand in Hand. Darin sehen wir unseren USP.
Kündigungen: „Eine gute Trennungskultur ist wichtig.“
Anfang 2019 sagten Sie nach der Restrukturierung „Wir haben zu lange die menschlichen Beziehungen den harten unternehmerischen Entscheidungen vorgezogen.“ Wie weit sind Sie?
Man kommt als Organisation immer an Weggabelungen. Die DNA verändert sich. Für uns bedeutete das: In der Regel sind viele Führungskräfte gute Umsatzbringer, aber wenn damit kulturelle Schäden einhergehen, weil Menschen toxisch agieren, dann müssen wir ebenso eingreifen, wie in Fällen, wenn Mitarbeitende ihre Leistungen nicht erbringen.
Wie passt das zu Ihrem New-Work-Manifest, in dem es viel um Freiheit und Vertrauen geht?
Das eine schließt das andere ja wahrlich nicht aus. Damals habe ich gemeint, dass einem Beratungshaus eine Performancekultur innewohnt. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, sind maximal motiviert sich fachlich, akquisitorisch und menschlich dort einzubringen. Wenn man jedoch diesem Leistungsethos in der Fläche nicht gerecht wird, dann erzeugt man Ungerechtigkeiten. Wir haben früher zu lange an manchen Mitarbeitenden festgehalten. Wir sind kein Up-or-out-House, wie andere Beratungen, und dennoch zählt am Ende Leistung und wenn Sie so wollen Solidarität. Dazu gehören dann bisweilen harte Entscheidungen – fürs große Ganze.
Mussten Sie seitdem noch weitere harte Entscheidungen treffen?
Nein, wir sind inzwischen in einem sich selbst regulierenden System angekommen. Wir trennen uns auf Augenhöhe. Eine gute Trennungskultur ist wichtig, damit Türen offen bleiben und man auch wieder zusammenfinden kann, und das passiert auch.
Herr Kienbaum, vielen Dank für das Interview.
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