Cannamedical Wie ein deutscher Cannabis-Pionier zum Spezialisten für Schmerzmedizin wird

Der Cannamedical-Gründer will mit dem Zusammenschluss Semdor Pharma eine wichtige Größe im europäischen Cannabis-Markt werden.
Frankfurt David Henn ist einer der Pioniere im deutschen Markt für Medizinalcannabis. Sein Start-up Cannamedical gründete der heute 30-Jährige schon 2016 in der Erwartung, dass Cannabis zu therapeutischen Zwecken in Deutschland freigegeben wird.
Wenige Monate später, im März 2017, war es so weit: Cannabis konnte fortan bei schwerwiegenden Erkrankungen von Ärzten verschrieben und von den Krankenkassen erstattet werden. „Ich habe die Chance gesehen, einen neu entstehenden Markt von Anfang an mitzugestalten und anzuführen“, begründet der ehemalige Banker seinen Sprung in die Cannabisbranche.
Seitdem hat Henn sein Unternehmen konsequent mit strategischen Partnerschaften rund um den Globus aufgebaut. Als klassischer Pharmaimporteur führt Cannamedical Blüten aus den Niederlanden, Kanada, Portugal und neuerdings auch aus Australien ein und beliefert nach eigenen Angaben rund 3000 Apotheken in Deutschland.
Über diese Apotheken wird laut Henn das Gros der Cannabispatienten in Deutschland versorgt. Ende 2020 war Cannamedical mit seinem Geschäftsmodell zu einem Unternehmen mit 50 Mitarbeitern und einem Umsatz im zweistelligen Millionenbereich gewachsen.
Den nächsten Expansionsschritt hat Henn Anfang des Jahres mit einer weiteren strategischen Vereinbarung eingeläutet. Cannamedical hat sich mit der PS Gruppe zusammengeschlossen, einem Arzneimittelhersteller und Pharmadienstleister, der sich unter anderem auf Reimporte von Betäubungsmitteln spezialisiert hat. Semdor Pharma heißt die neu formierte Gruppe.
Schmerzmittel: Alternativen werden immer wichtiger
Die gemeinsame Gruppe behält die bestehenden Managementteams und die Infrastruktur der beiden Unternehmen und wird von David Henn als CEO geführt. „Sem dor“ kommt auf dem Portugiesischen und heißt übersetzt „schmerzfrei“ – und der Name ist Programm: Semdor soll im Markt für Schmerzmedizin eine führende Rolle in Europa einnehmen, mit einem Angebot, das von Opiaten auf der einen Seite bis hin zu Cannabisprodukten auf der anderen Seite reicht, so Henn.
Wie wichtig alternative oder ergänzende Behandlungsoptionen für Schmerzpatienten sein können, hat Henn bei seiner Großmutter erfahren. Diese war in den letzten 15 Jahren ihres Lebens auf eine Therapie mit Opioiden angewiesen, die nach jahrelanger Anwendung Nebenwirkungen nach sich zogen. „Wir haben immer nach Therapiealternativen gesucht“, sagt Henn, der sich auch deshalb mit Cannabis zu beschäftigen begann.
Beruflich startete Henn aber nach seinem Studium an der Cologne Business School zunächst in der Finanzbranche und arbeitete knapp vier Jahre im Derivatehandel bei der Deutschen Bank und der Landesbank Baden-Württemberg. Dann machte er sich in der Cannabisbranche selbstständig.
Semdor Pharma ist mit einer Größe von 55 Millionen Euro Jahresumsatz und 180 Mitarbeitern nun einer der größeren Player im deutschen Cannabismarkt. Der wuchs laut Zahlen des Marktforschungsinstituts Insight Health im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent auf 174,6 Millionen Euro, wenn man die knapp 300.000 Verordnungen durch die gesetzlichen Krankenkassen zugrunde legt.
Im deutschen Markt tummeln sich etwa 90 Anbieter, die Cannabisblüten, -extrakte oder -arzneimittel vertreiben. Neben dem Fertigarzneimittelhersteller GW Pharmaceuticals aus Großbritannien bestimmen vor allem Start-ups und die kanadischen Cannabiskonzerne wie Canopy Growth, Aurora, Aphria und Tilray den Markt. Seit Kurzem sind aber auch die großen Arzneimittelhersteller Stada und Neuraxpharm aktiv.
Orkila Capital investiert 40 Millionen Euro in das deutsche Start-up
Semdor Pharma wird bei seinen Wachstumsplänen von Orkila Capital unterstützt. Die Gesellschaft gibt zusammen mit Orkila-Vorstandsmitglied Steve Wiggins als Privatinvestor insgesamt 40 Millionen Euro. Orkila sei seit Anfang 2019 an Cannamedical beteiligt und halte mittlerweile über drei Fonds zwischen 40 und 45 Prozent des Kapitals von Semdor Pharma, sagt Jesse Du Bey.
Der Amerikaner machte mit der Beteiligungsfirma Providence die Triathlonmarke Ironman groß und ist inzwischen mit Orkila Capital dort wieder investiert. Auch am Haferdrinkhersteller Oatly aus Schweden ist Orkila beteiligt. Man investiere Geld von US-amerikanischen Family Offices und sei an eher langfristigen Investments interessiert, sagt Du Bey. Das Geld fließt in Branchen, in denen sich durch eine Änderung der Gewohnheiten oder der Kultur Wachstumschancen ergeben.
Beim Thema Cannabis sieht Du Bey vor allem das Potenzial, chronischen Schmerzpatienten eine langfristig verträgliche Therapieoption zu bieten. „Die Opioidkrise in den USA hat uns gezeigt, dass Patienten bessere Optionen für das Management von lang anhaltenden oder chronischen Schmerzen brauchen“, sagt er.
Mit dem frischen Geld von Orkila soll Semdor Pharma zu einem europäischen Distributionshub ausgebaut werden. Auch in das Cannabisportfolio soll investiert werden.
Neben Blüten und Extrakten will Semdor Pharma künftig das Rezepturarzneimittel Dronabinol anbieten und in Zukunft auch Fertigarzneimittel: „Der Cannabismarkt wird sich verändern. In ein paar Jahren werden nicht mehr Blüten die dominierende Rolle spielen, sondern Fertigarzneimittel. Dann werden wir mit einem eigenen Angebot vertreten sein“, sagt Henn.
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