Datenschutz Proton-Chef Andy Yen kämpft mit dem Erfinder des modernen Internets gegen Google und Co.

Der Physiker ärgert mit seinem Maildienst ProtonMail Google und Co.
Zürich Wenn er über das Geschäftsmodell von Google spricht, wird Andy Yen, 33, schnell grundsätzlich. „Google verspricht den Nutzern: ‚Wir sorgen dafür, dass deine Daten privat bleiben – außer für uns.‘“ Die amerikanischen Big-Tech-Firmen hätten eine Monopolstellung geschaffen, indem sie die Daten ihrer Nutzer ausbeuteten.
„Der Überwachungskapitalismus ist als Ganzes problematisch“, ist Yen überzeugt. Seit 2014 setzt er Google Mail und Apples iCloud-Service mit dem von ihm gegründeten verschlüsselten Anbieter Proton-Mail etwas entgegen. „Daten sollten standardmäßig privat sein. Diesen Paradigmenwechsel möchte ich herbeiführen.“
Für diese Mission hat Yen nun einen prominenten Unterstützer gewonnen: Tim Berners-Lee, Erfinder der Programmiersprache HTML und Begründer des modernen Internets heuert bei Proton als Berater an. Das gab das in Genf ansässige Unternehmen am Mittwoch bekannt.
Berners-Lee wird in der Mitteilung mit den Worten zitiert: „Ich bin ein starker Unterstützer des Datenschutzes und Protons Überzeugung, den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu geben, passt gut zu meiner Vorstellung eines Internets, das sein volles Potenzial ausschöpft.“ Yen sagt: „Wir freuen uns auf Sir Tim Berners-Lees Rat, um unsere Vision eines Internets zu realisieren, in dem Datenschutz der Standard ist.“
Yen und Berners-Lee lernten sich am Nuklearforschungszentrum CERN in Genf kennen: Yen ist Teilchenphysiker und forschte dort, als er 2014 Proton gründete. 20 Jahre zuvor hatte Berners-Lee dort die erste Internetverbindung zwischen zwei CERN-Rechnern aufgebaut. Berners-Lee suchte damals eine Lösung, um den Austausch von Forschungsergebnissen zwischen den Standorten des CERN auf französischem und Schweizer Gebiet zu erleichtern.
Kampf gegen das Geschäft mit Daten
Bei Yen waren es die Enthüllungen von Edward Snowden im Jahr 2013, die ihm den Impuls zur Gründung von Proton gaben. Snowden machte öffentlich, dass die US-Geheimdienste umfangreiche Programme zur Überwachung der weltweiten Internetkommunikationen betrieben und sich auch die großen US-Internetkonzerne wie Google, Microsoft, Apple und Facebook daran beteiligten.
Alternativen gab es – doch die seien nicht nutzerfreundlich genug gewesen, um bei der breiten Nutzermasse ein Chance zu haben, so Yen. „Wir wollten ein Mailprogramm erschaffen, für das man sich einfach anmelden und es dann nutzen kann.“ Als Vorbild taugte der Mailservice von Google. Doch im Gegensatz zu Gmail sind die E-Mails Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das bedeutet, dass nur Sender und Empfänger Zugriff auf die unverschlüsselten Daten haben, nicht jedoch der E-Mail-Anbieter. „Unser Geschäftsmodell benötigt keine Daten“, verspricht Yen.
Zwar ist Proton-Mail in der Basisversion kostenlos. Doch gegen eine monatliche Gebühr von rund fünf Euro können Nutzer zusätzlichen Speicherplatz dazukaufen. Zum Umsatz macht Proton keine Angaben – allerdings wird der Service nach Unternehmensangaben von 50 Millionen Menschen weltweit genutzt. Immer wieder gelinge es ihm auch, Gmail-Nutzer abzuwerben – und auch manche der über 370 Mitarbeiter kommen von Google, freut sich Yen. Auch mit politischen Mitteln kämpft er gegen Big Tech. In Washington und Brüssel bezahlt Proton Lobbyisten, die sich für striktere Wettbewerbsregeln und höhere Datenschutzstandards einsetzen.
Viele Nutzer hat Proton-Mail auch unter Aktivisten, etwa in Myanmar oder Weißrussland. Yen weiß, dass viele Menschen ihr Leben den kryptografischen Fähigkeiten seines Unternehmens anvertrauen. „Menschen können verhaftet oder getötet werden, wenn wir einen Fehler machen.“ Auch Klimaschutzaktivisten, Impfgegner und Rechtsradikale nutzen Yens Mailservice für ihre Kampagnen. Doch der Proton-Gründer nimmt in Bezug darauf selbst keine politische Position ein: „Du kannst nicht wählerisch sein, welche Nutzer du akzeptierst.“ Prinzipiell habe jeder Mensch ein Recht auf private Kommunikation.
Eine Einschränkung gibt es jedoch: Da Proton-Mail seine Server in der Schweiz hat, müssen sich die Nutzer an Schweizer Gesetze halten. Sonst droht im schlimmsten Fall die Strafverfolgung im Heimatland. Die Erfahrung musste Anfang der Woche ein französischer Klimaaktivist machen. Die französischen Behörden warfen ihm Einbruch und Diebstahl im Zusammenhang mit einer Hausbesetzung vor. Mithilfe der Schweizer Behörden zwangen die Ermittler in Frankreich Proton zur Herausgabe von IP-Daten und Kontoinformationen des Aktivisten und nahmen ihn fest.
Stabile Unternehmensfinanzen – dank Kryptowährungen
Yen stellte via Twitter klar: „Es ist beklagenswert, dass juristische Werkzeuge, die eigentlich für schwere Straftaten vorgesehen sind, auf diese Weise genutzt werden.“ Doch als schweizerische Firma müsse Proton mit den eidgenössischen Ermittlungsbehörden kooperieren – „allerdings nur, wenn wir juristisch dazu gezwungen werden“. Generell habe die Schweiz ein sehr objektives Datenschutzrecht, das den Freiheiten des Nutzers einen hohen Stellenwert einräume.
Diese Dienstleistung sei immer mehr Menschen Geld wert: „Wir haben als erstes Unternehmen gezeigt, dass Menschen für Datenschutz bezahlen.“ Dies habe den Weg für Privacy-Tech-Dienste wie Telegram oder Signal erst geebnet. Eine Übernahme eines Messengerdienstes sei derzeit jedoch kein Thema, betont Yen.
Statt auf Zukäufe setzt er auf organisches Wachstum. Proton trägt sich selbst und hat keine Risikokapitalgeber an Bord. Die hält er für einen schlechten Einfluss für viele Gründer: „Es schafft falsche Anreize, wenn man nicht profitabel sein muss“, ist Yen überzeugt. „Die Flut des billigen Geldes ist schlecht für die Disziplin vieler Gründer.“
Für zusätzliche finanzielle Stabilität sorgen die Kryptowährungsbestände, die Proton aufgebaut hat. Seit 2014 hält das Unternehmen Cash-Reserven in Bitcoin und akzeptiert auch Zahlungen mit den Digitalwährungen. Die Spekulationen am Kryptomarkt betrachtet Yen trotzdem mit Sorge. „Ich mag keine Blasen.“ Die Zyklen aus Boom und Zusammenbruch seien „extrem schädlich“ für die Kryptoszene.
Die Pläne des Physikers könnten kaum ambitionierter sein: Yen will Datenschutz im Internet zum Standard machen, attackiert Google und Co. und verzichtet dabei noch auf externes Kapital. Doch immerhin kann er mit dem Erfinder des modernen Internets auf einen visionären Ratgeber für seinen Kampf zählen.
Mehr: Irlands Datenschützer verhängen Rekordstrafe gegen WhatsApp.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.