Farfetch-Aktie Kurs: Fartech will Netflix-Erfolgsrezept in die Luxusmode bringen
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E-CommerceFarfetch will das Erfolgsrezept von Netflix in die Welt der Luxusmode bringen
Der Portugiese José Neves hat mit seiner Plattform Luxusmarken weltweit im Angebot. Jetzt will er mit eigenen Produkten die Marke stärken.
Der Farfetch-Gründer brachte sich das Programmieren selbst bei.
(Foto: Farfetch)
Madrid José Neves kennt sich aus mit Krisen. 2008, just zu Beginn der globalen Finanzkrise, hatte der Portugiese seine Luxusmode-Plattform Farfetch an den Start gebracht. Damals waren die Luxusboutiquen, die das Internet bisher links liegen gelassen hatten, plötzlich offen für einen neuen Absatzkanal. „Die Krise hat uns die Möglichkeit gegeben, Teil der Lösung zu sein“, sagt Neves im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Im Corona-Lockdown war das genauso: 2020 stiegen die Umsätze von Farfetch um 64 Prozent auf 1,7 Milliarden Dollar, umgerechnet rund 1,4 Milliarden Euro. Der Aktienkurs hat sich mehr als verfünffacht.
Farfetch ist ein Beispiel dafür, dass Rezessionen neue Ideen beflügeln können. In nur wenigen Jahren ist das Unternehmen zur größten globalen Plattform für Luxusmode geworden. Fast alle Toplabel von Louis Vuitton bis Valentino bieten ihre Waren dort an; insgesamt sind es 550 Luxusmarken.
2018 brachte Neves sein Unternehmen an die Börse. Heute ist Farfetch rund 14,8 Milliarden Euro wert. Jetzt expandiert Neves nach China. Doch das Ziel des 47-Jährigen ist nicht nur Größe – er will das Erfolgsrezept von Netflix auf die Luxusmode übertragen.
Ein wichtiger Grund für den bisherigen Erfolg ist das einfache Geschäftsmodell der Plattform. Farfetch behält im Schnitt 30 Prozent des Verkaufswerts als Provision. „Es gibt keine Minimalgebühr und keine monatlichen Beiträge – Kosten fallen nur bei einem Verkauf an“, sagt Neves. Hersteller und Boutiquen verschicken selbst, Farfetch ist ein reiner Marktplatz, ähnlich wie Amazon.
Online-Anteil bei Luxusmode wächst
Damit läuft der Konzern anders als Wettbewerber wie Net-a-Porter oder Mytheresa nicht Gefahr, auf eigenen Lagerbeständen sitzen zu bleiben, und kann ein größeres Sortiment anbieten.
„Farfetch ist eine der interessantesten Entwicklungen in der Luxusgüterindustrie seit Langem, da es scheinbar dort erfolgreich ist, wo Luxusanbieter mit ihren Versuchen gescheitert sind: beim Etablieren einer tragfähigen digitalen Vertriebsplattform für mehrere Marken“, schreibt Luca Solca, Luxusexperte beim Analysehaus Bernstein.
Mode ist taktil – die Kunden wollen Stoffe fühlen und Accessoires anprobieren. Doch der Onlineanteil wächst nach Prognosen der Unternehmensberatung Bain rapide: Gingen im Jahr 2019 gerade einmal zwölf Prozent der Luxusmode-Artikel weltweit über einen virtuellen Ladentisch, waren es im vergangenen Jahr bereits 23 Prozent – das entspricht 49 Milliarden Euro. Experten gehen davon aus, dass der Onlineanteil bis zum Jahr 2025 auf 35 Prozent steigen wird.
Neves ist der Einzige, der in großem Stil einen weltweiten Marktplatz für Luxusmode betreibt. Als er 2008 anfing, bot er zunächst das Sortiment von 25 Boutiquen online an. 2013 konnte er die ersten zwei Hersteller überzeugen, ihre Stücke direkt bei Farfetch anzubieten.
Modeunternehmer und Programmierer
Ein großer Vorteil dabei war, dass Neves selbst Modeunternehmer war. Er hatte zuvor nicht nur einen Softwareentwickler, sondern auch eine Schuh- und eine Modemarke gegründet. „Ich wusste genau, was den Labels wichtig war. Der einzige Unterschied war, dass ich programmieren konnte“, sagt er.
Das Programmieren brachte er sich mit acht Jahren selbst bei. Die Eltern wohnten in einem kleinen Fischerdorf bei Porto, und er hatte als Einzelkind in der Gegend keine Spielkameraden. „Deshalb schenkten meine Eltern mir zu Weihnachten einen PC“, so Neves. „Aber sie haben keine Spiele dazugekauft, weil sie dachten, da ist alles schon drin.“ Doch dabei lag ein Programmierhandbuch – so legte er den Grundstein für seine Leidenschaft für Software.
„José ist ein Visionär und einer der am stärksten strategisch denkenden Menschen, die ich kenne“, sagt Danny Rimer, dessen Fonds Index Ventures zu den frühen Investoren bei Farfetch gehörte. „Zudem ist es sehr ungewöhnlich, dass ein Modeexperte programmieren kann und der Technologie die Priorität gibt.“
Im Sommer 2019 allerdings hatte Neves die Anleger gehörig verschreckt. Damals gab er den Kauf der New Guards Group bekannt, einer Holding von populären Streetwear-Marken wie Off-White oder Heron Preston. Die Aktie brach um 40 Prozent ein. Anleger werteten die Übernahme als Zeichen dafür, dass Farfetch sein Geschäftsmodell verändern und sich breiter aufstellen wollte.
Doch das Gegenteil war der Fall, erklärt Neves heute. „Es ging darum, die Marke Farfetch zu stärken“, sagt er. „Wir wollen das beliebteste Ziel für Modeliebhaber werden. Dafür ist es wichtig, eigene Produkte zu haben. Ähnlich wie Netflix.“
Der Streamingdienst hatte zunächst auch nur Filme und Serien Dritter verbreitet. Der Durchbruch gelang aber erst mit eigenen Produktionen, die den Kunden exklusiv zur Verfügung stehen. „Genau das macht New Guards Group für uns“, sagt Neves.
Globale Aufstellung
Parallel dazu treibt Farfetch die Expansion in China voran. Neves hat dazu Ende 2020 eine Allianz mit dem chinesischen Internetriesen Alibaba und dem Schweizer Luxuskonzern Richemont geschlossen, bei der beide zusammen 1,1 Milliarden Euro in Farfetch investierten. Alibaba integriert Farfetch nun auf seiner chinesischen Luxusplattform Tmall Luxury Pavilion and Luxury Soho. „Die T-Mall hat 779 Millionen Kunden, das ist ein Gamechanger für die Marken bei Farfetch“, sagt Neves. „95 Prozent von ihnen waren da vorher nicht.“
China ist einer der wichtigsten Märkte für Luxus. Bislang haben die Chinesen entsprechende Produkte vor allem auf Reisen im Ausland gekauft. Aber die Pandemie hat das Geschäft in ihre Heimat verschoben. Studien gehen davon aus, dass China im Jahr 2025 für rund die Hälfte aller Luxusverkäufe stehen wird.
Was Farfetch allerdings noch fehlt, sind Gewinne. Neves investiert wie viele Tech-Konzerne die Einnahmen in die Expansion und in Technologie. Im letzten Quartal 2020 hat er zwar erstmals einen Gewinn erzielt – zehn Millionen Dollar vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Im Gesamtjahr lag der operative Verlust aber bei 42 Millionen Euro.
Der deutlich kleinere Rivale Mytheresa schreibt dagegen bereits Gewinne. Investor Danny Rimer stört sich nicht daran. „Wenn Farfetch wollte, könnten sie sofort profitabel sein“, sagt er.
Darüber hinaus will Neves die Online- und die Offlinewelt verbinden. „Wir glauben an den physischen Einzelhandel, auch wenn in sieben bis zehn Jahren 40 Prozent der Luxusmode online verkauft wird“, sagt er. Für die Flagship-Stores von Chanel in Paris hat er eine App entwickelt, mit der Kunden Anprobelisten erstellen und Termine mit Beratern im Shop vereinbaren können.
Aus der Praxis lernen
Farfetch war zunächst ein reiner Marktplatz. So vermied Gründer José Neves das Risiko, auf Lagerbeständen von schlecht verkäuflichen Kollektionen sitzen zu bleiben.
Die Einnahmen investiert Neves in Expansion und Technologie. So hat er etwa ein Lager-Management-System für die Boutiquen entworfen, um sicherzustellen, dass diese die bei Farfetch bestellten Waren pünktlich liefern können.
Neves hat große Vorbilder: Er will Farfetch zum Netflix der Luxusbranche machen und damit zu einer Plattform, die nicht nur Produkte anbietet, die auch anderswo zu haben sind, sondern eigene Kreationen. Das soll die Marke stärken und Kunden auf die Plattform locken.
Junge Gründer sollten klar sagen, was sie tun, warum und wie sie es tun – und sich bei all ihren Entscheidungen genau davon leiten lassen. Beschlüsse, die aus anderen Motiven getroffen würden, seien falsch.
Auch in den eigenen „Browns“-Boutiquen in London, die Neves 2015 gekauft hat, zeigt er sein „Luxury New Retail“-Konzept.
Im erwarteten Wachstum des Online-Luxus-Marktes sehen Experten aber auch eine Gefahr für Farfetch. „Wenn Verbraucher und Luxusmarken ins Internet abwandern, wird die Büchse der Pandora geöffnet, und es werden mehr Wettbewerber kommen, die weiteren Druck auf Provisionen und Margen ausüben“, schreibt Bernstein-Analyst Scola.
Was Neves jungen Gründern rät
Für junge Gründer hat der charismatische Neves vor allem einen Rat: „Sie müssen klar artikulieren, was sie machen, warum und wie. Alles andere ist relativ“, sagt er. „Mein größter Fehler war, das aus den Augen zu verlieren.“
Als Farfetch noch ein Start-up war, wollte Neves Mitarbeiter von Luxuskonzernen abwerben. „Um sie zu überreden, habe ich ein Bild von Farfetch gezeichnet, das besser war als die Realität“, räumt er ein. Die Bewerber hätten es mit ihren Fähigkeiten ähnlich gemacht. In einem Fall habe sich eine Führungskraft deshalb nur sechs Monate lang auf einer Position im Topmanagement gehalten. „Das war für sie und für das Team traumatisch“, erklärt Neves.
Offenbar hat er daraus gelernt: Investor Rimer lobt heute die Führungsmannschaft von Farfetch. „Eine der größten Stärken von José ist es, Leute einzustellen, die in ihrem jeweiligen Feld besser sind als er selbst“, sagt er. So habe Neves die besten Experten der Branche im Team – statt besorgt zu sein, dass einer von ihnen ihn deshalb übertrumpfen könnte. „Das ist nicht bei allen Unternehmen so, in denen wir investiert sind“, sagt Rimer.
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