Familienunternehmen Patrick Drahi nimmt Verkaufshaus Sotheby's von der Börse

Das Auktionshaus machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 6,4 Milliarden Dollar.
Düsseldorf Montagnachmittag ließ Patrick Drahi, 55, bekanntgeben, dass er Sotheby’s durch seine Firma Bidfair USA kaufen wird. Für 3,7 Milliarden Dollar geht das seit 31 Jahren an der New Yorker Börse notierte Versteigerungshaus im vierten Quartal 2019 wieder in private Hände über. Sotheby’s Aktionären zahlt der global agierende Telekommunikationsunternehmer 57 Dollar pro Aktie. Das sind 61 Prozent mehr, als die Aktie am 14. Juni wert war.
Sotheby’s ist weltweit das zweitwichtigste Auktionshaus. 2018 macht es einen Umsatz von 6,4 Milliarden Dollar. Konkurrent Christie’s, der zur privaten Artemis-Holding des Luxusgüterunternehmers François Pinault gehört, setzte mit sieben Milliarden Dollar mehr um.
Im ewigen Wettstreit der beiden Giganten hatte das britisch-französische Haus die Nase vorn. 2018 konnte Christie’s den Rockefeller-Nachlass für über 800 Millionen Dollar versteigern. Für den „Salvator Mundi“ durfte Christie’s 450 Millionen Dollar einnehmen.
Sotheby’s aber litt die letzten Jahre nicht nur unter der unflexiblen Struktur seines Boards, sondern auch unter den Attacken des Aktionärsaktivisten Daniel Loeb. Dessen Hedgefonds Third Point hatte es 2015 geschafft, den damaligen Sotheby’s-CEO Bill Ruprecht wegen schlechten Managements und überhöhter Spesenabrechnungen aus dem Amt zu drängen.
Seitdem führt Tad Smith das Haus mit ruhiger Hand. Aber die aufwendigen Regularien eines börsennotierten amerikanischen Unternehmens führen zu langsamen Entscheidungen. Die für die Verkäufer so wichtigen garantierten Mindestpreise konnten oft nicht gegeben werden – ein deutlicher Wettbewerbsnachteil.
Immerhin hatte Sotheby’s diese Woche bei den Auktionen mit Leitbildfunktion in London die bessere Figur gemacht und Christie’s bei Angebot und Nachfrage satt überholt. 23 Werke der Impressionisten und Klassischer Moderne spielten knapp 100 Millionen Pfund oder 124 Millionen Dollar ein.
Expansion mit kommerziellen Fernsehsendern in Osteuropa
Der in Casablanca geborene Sohn von Mathematiklehrern muss schon früh ein Faible für Zahlen entwickelt haben. Als er 15 Jahre alt ist, siedelt die jüdische Familie nach Frankreich über. Patrick Drahi hat eine schnelle Auffassungsgabe, überspringt Klassen, absolviert die französischen Eliteschulen und wird Elektroingenieur.
1988 ist er kurz beim niederländischen Elektronikriesen Philips angestellt. Doch schon 1991 macht er sich selbstständig und expandiert unter anderen mit kommerziellen Fernsehsendern in Osteuropa. John Malone, der amerikanische Kabelmagnat, sein Kurzzeit-Arbeitgeber, ist sein Vorbild.
2001 gründet der Franzose mit israelischem und portugiesischem Pass Altice, ein Telekommunikationsunternehmen, das an der Amsterdamer Börse notiert ist. Durch massive Zukäufe stellt er es breit und strategisch auf. In der Verknüpfung von Kabelunternehmen, Digitalisierungsfirmen, Medien („Libération“ „L’Express“, Radio Monte Carlo, i24news) und Werbung erkennt Drahi die gewinnbringende Zukunft.
Laut Bloomberg beläuft sich Drahis Vermögen auf 8,6 Milliarden Dollar. Dem stehen Firmenkredite von über 30 Milliarden gegenüber.
Drahi hat den Ruf, ein gnadenloser Kostenkiller zu sein. Er kauft unterbewertete Firmen kreditfinanziert auf, rationalisiert sie und wendet viel Energie für die Steueroptimierung auf. Der Sitz von Altice ist Luxemburg. Der Selfmademan spart selbst.
Er lebt mit seiner zum Judentum konvertierten Frau und vier Kindern in der Schweiz. Montagmorgen fliegt er von Genf mit dem Billigflieger Easyjet nach Paris. Die arroganten, standesbewussten Pariser rümpfen die Nase, dass der Milliardär ohne Chauffeur und ohne Sekretärin auskommt.
Gemessen am letzten Nettoergebnis von 109 Millionen Dollar ist der Kaufpreis hoch. Ein Branchenkenner, der nicht genannt werden möchte, erklärt die hohe Investition dem Handelsblatt gegenüber mit dem Türöffnereffekt, der den Zugang zu anderen Branchen und „vor allem zu den reichsten Familien“ ermögliche.
Das könnte der Grund sein, warum der Pfennigfuchser tief in die Taschen greift. Den Kauf von Sotheby’s stemmt er durch den Verkauf von Altice USA und durch Kredite der Bank BNP Paribas. Einst erwarb auch François Pinault Christie’s für seine Holding Artemis, bevor er sich in der Luxusindustrie auf Einkaufstour begab.
Drahi sammelt Kunst, aber auf ganz anderem Niveau als François Pinault. Drahi selbst streicht in seinem Statement heraus, dass er langjähriger Kunde und „lebenslanger Bewunderer der eleganten Marke Sotheby’s“ sei. Als selbstbewusster Sammler mit einer nach einem Thema geformten Sammlung ist der Franzose bisher aber nicht in Erscheinung getreten.
Kein Wettkampf der Selbstdarsteller
Ihn interessieren, sagen die wenigen, die seine Sammlung kennen, aber nicht genannt werden wollen, Impressionisten und Moderne Kunst, aber nur wenige zeitgenössische Künstler. Aus der Genfer Kunstszene ist zu hören, dass er Bilder von Marc Chagall, Pablo Picasso und Henri Matisse besitze. Aber auch Wegbereiter der Moderne wie Eugène Delacroix und Théodore Géricault.
Kunstkenner würden jetzt natürlich gerne wissen, auf welchen Qualitätsstufen diese Gemälde berühmter Meistermaler angesiedelt sind. Dem Vernehmen nach soll Drahi meist für Preise unter fünf Millionen Dollar einkaufen. Das ist nichts im Wettkampf der Selbstdarsteller, die hohe zweistellige Millionenprise für Kunst ausgeben – um ihrer Potenz Ausdruck zu verleihen. Für solch ein Protzen ist Drahi (noch) zu sparsam.
In der Kunstszene fragen sich alle, welche Auswirkungen die neue Eigentümerstruktur für das alteingesessene Versteigerungshaus und die Branche hat. „Führende Sammler werden von mehr Wettbewerb bei den hochpreisigen Einlieferungen profitieren“, sagt Evan Beard.
Der Kunstchef bei der Bank of America ergänzt: „Der Kunstmarkt hat sein einziges börsengehandeltes Unternehmen verloren und damit einen wichtigen Marktindikator. Was der Kunsthandel an Transparenz verloren hat, könnte er an Flexibilität gewinnen.“
Philip Hoffman, Gründer der Beratungsfirma Fine Art Group, äußerte sich bei Bloomberg: „Sotheby’s war für die Privatisierung reif. Christie’s hat als privat geführtes Unternehmen keine Publizitätspflichten – ein Vorteil. Quartalsberichte bremsen die Flexibilität bei Geschäftsabschlüssen.“
In der Branche wird gehofft, dass der finanzstarke neue Eigner mit der neuen Struktur und frischem Kapital die Digitalisierung des Auktionsgeschäfts vorantreiben kann.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Ein Insider, der Sotheby’s sehr gut kennt, begrüßt die Privatisierung, kritisiert aber: „Leider kommt sie fünf Jahre zu spät.“ Denn die besten Experten sind inzwischen zur Konkurrenz gegangen oder haben sich selbstständig gemacht. „Und was ist ein Auktionshaus ohne Experten?!“
Mitarbeit: Daghild Bartels, Stephanie Dieckvoss, Christiane Fricke, Olga Grimm-Weissert, Stefan Kobel
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