Fideriser Heuberge AG Wie sich ein Schweizer Skigebiet in einen alpinen Öko-Tech-Park verwandeln will

Sara Wiesendanger und Henrik Vetsch wollen die Heuberge AG neu aufstellen.
Fideris Als Henrik Vetsch, 39, und Sara Wiesendanger, 35, auf ihren Schlitten durch den Schnee jagen, scheint das Bild vom Winterparadies einen Moment lang perfekt. Auf 2.000 Meter Höhe funkeln nahezu menschenleere Pisten in der Mittagssonne, ein paar Skifahrer wedeln bergab. Weiß gepuderte Holzhütten schmiegen sich in die Hügellandschaft. Würde da nicht ein Schlepplift einsam surren, es wäre nur das Geräusch von vier Kufen zu hören, die über Schnee gleiten.
Doch der braun gelockte Vetsch, CEO des Skiresorts „Fideriser Heuberge AG“ im Schweizer Kanton Graubünden und seine Partnerin Wiesendanger, mit der er das zur Saison 80 Mitarbeiter starke Familienunternehmen führt, wissen zu genau: Nur ein paar Schlittenminuten talabwärts fressen sich erste matschbraune Flecken in den Schnee.
Es ist Mitte Januar, bislang hat es kaum geschneit. Dort oben, wo Vetsch und Wiesendanger ihre Skijacken nun ablegen, um sich in ihrem Bergrestaurants „Arflina“ aufzuwärmen, glänzt die Natur zwar weiß. „Doch wenn es im Tal braun ist, kommen kaum Gäste hoch. Auch wenn man jetzt wunderbar Ski fahren kann“, so Vetsch.
Von ihrem Resort führt der längste mit Bussen erschlossene Schlittenweg der Schweiz hinab ins Tal. Zwölf Kilometer ist er lang und eigentlich der Hauptumsatzbringer, wäre der Weg nicht wegen hoher Temperaturen in Teilen vermatscht. Jeden Morgen schauen Vetsch und Wiesendanger deshalb zuerst auf den Wetterbericht und beten, dass es schneit.
270 Betten hat ihr Resort, zwei Restaurants, drei Skilifte, zehn Busse, die Gäste hochfahren – und hohe Personalkosten. Doch unter der Woche liegt die Auslastung des Skigebiets nur bei bis zu 20 Prozent. „Wir sind komplett wetterabhängig, und mit dem Klimawandel wird die Lage immer schwieriger“, so Vetsch.
Für kleine Skigebiete wird es eng
Die Familie Vetsch ist mit ihren Sorgen nicht allein. Besonders kleine und mittelgroße Skigebiete im Alpenraum haben „wegen mangelnder Schneesicherheit in den vergangenen Jahren ihre Skilifte abbauen müssen“, sagt Frieder Voll, der an der Fachhochschule Graubünden am Institut für Tourismus und Freizeit forscht.
Dazu fusionieren große Resorts und rüsten mit noch energieintensiverer Beschneiung und vielen Pistenkilometern auf. So sieht der in Tirol geplante Zusammenschluss der Skigebiete Pitztal und Sölden gar die Bebauung zweier bislang unberührter Gletscher in 3000 Metern Höhe vor. Allein für die laufende Saison haben die österreichischen Seilbahnen nach Angaben ihres Fachverbands mehr als 750 Millionen Euro in neue Bahnen, Lifte, Beschneiung oder Pistenraupen investiert.
Kleinere Skigebiete können da nicht mithalten, auch in der Schweiz nicht. „Mit Arosa, St. Moritz oder Davos wollen und können wir uns nicht messen“, so Wiesendanger. Davos liegt keine Autostunde von den Heubergen entfernt und greift regelmäßig Besucher und die begehrten Saisonmitarbeiter ab.
Trotzdem und obwohl die Familie aus ökologischen Gründen weitgehend auf Schneekanonen verzichtet, hätten die Heuberge in diesem Jahr fast schwarze Zahlen geschrieben. Zum ersten Mal, seit Henriks Vater, Walter Vetsch, das defizitäre Resort 2011 übernommen hat. Doch wegen Schneemangels brach diese Saison das Weihnachtsgeschäft ein.
Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, arbeiten Vetsch und Wiesendanger oft bis zu 17 Stunden am Tag und helfen auch mal in der Wäscherei aus. „Sicher haben wir schon darüber nachgedacht zu verkaufen“, so Vetsch. Doch dann wären ihre Mühen umsonst gewesen. Der Umweltingenieur und die Biologin, die sich seit der Schulzeit kennen, haben bislang mehr als umgerechnet 3,7 Millionen Euro in Renovierungen gesteckt – mehr als der Jahresumsatz von rund drei Millionen Euro.
Statt aufzugeben, wollen sie jetzt „obercrazy sein“ und etwas anderes versuchen. Ein CO2-neutraler alpiner Tech-Park in den Bergen schwebt ihnen vor, wo Innovatoren neue, ökologische Projekte testen und mit den Inhabern umsetzen sollen. Ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft, die nachhaltiger leben und urlauben möchte, mache ein solch ambitioniertes Vorhaben möglich. „Eine echte Marktnische“, glaubt Wiesendanger. Das Resort soll nicht nur ein Urlaubsort, sondern auch ein „Lernort für Visionäre und Gäste sein“.
Neue Ideen von Start-ups
In Anlehnung an das World Economic Forum in Davos luden Vetsch und Wiesendanger daher vor wenigen Wochen Vertreter aus Start-ups, etablierten Firmen und dem Impact Hub Zürich zum „Heuberge Ecologic Forum“, um Ideen für ein vom Wetter unabhängiges, auf Kreislaufwirtschaft basierendes Resort zu entwickeln. So würden künftig kaum mehr Abfälle entstehen.
Etwa 40 Personen beugen sich an einem Mittwoch im Januar in der Berghütte über bunt bemalte Papierbögen. Sie diskutieren, welche Maßnahmen sich für die Heuberge schnell umsetzen ließen. Permakultur, ein ökologischer Escape-Room, Wellness, E-Quads, so lauten einige Ideen. Von Letzteren hält Vetsch weniger, da sie die Böden schädigen würden.
Begeistert ist er allerdings von einer energieautarken Outdoor-Solarsauna, die das finnische Startup Lytefire zusammen mit der Heuberge AG errichten will. Die Sauna rotiert mit der Sonne und würde den Gästen abwechslungsreiche Blicke in die Bergkulisse ermöglichen. Seit Mitte Februar steht nun ein erster Prototyp vor einem der Berghäuser. Mithilfe eines Crowdfundings will die Familie Vetsch zusammen mit Lytefire für den weitere Ausbau rund 233.000 Euro einsammeln.
Für Tourismusforscher Voll ist diese Neuorientierung und Diversifizierung überfällig. Resorts wie die Heuberge bräuchten dringend Alternativen zu Ski- und Schlittentourismus. Auf Nachhaltigkeit gerichtete Freizeitangebote könnten gut funktionieren, wenn es gelinge, die passenden Gäste anzusprechen, so Voll.
Für Vetsch und Wiesendanger ist die Sauna nur ein erster Schritt: Sie wollen alle Gebäude durch energieeffiziente Häuser ersetzen und alles neu denken, so Vetsch. Statt statischer Lifte könnten auch mobile Ökostrom-Raupen die Skifahrer den Berg hinaufziehen. Noch sind das nur Ideen. Doch die beiden sind bereit, „gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Privatwirtschaft mehrere Millionen“ in den Traum vom Eco-Resort zu investieren.
In den nahe gelegenen Spitzenuniversitäten wie der ETH Zürich fände sich viel technologische Kompetenz. „Wir sehen für unser Projekt ein Riesenpotenzial“, so Vetsch. Schon in vier Jahren könnte ein solcher Tech-Park nach seiner Ansicht realisiert sein. Doch erst muss er in den Keller. Beim Skiverleih mitanpacken.
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