Gerhard Ehninger Therapien der Zukunft: Mit Spenderzellen gegen den Krebs

Der Mediziner und Professor für Innere Medizin baute die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) auf und gründete die Biotech-Unternehmen Cellex und Gemoab.
Frankfurt Gerhard Ehninger hat in seinem Leben viel bewegt – als Arzt und als Forscher. Der Medizinprofessor hat die Deutsche Knochenmarkspenderdatei mitgegründet, zweieinhalb Jahrzehnte an der Universität Dresden gelehrt und dort ein Spitzenzentrum zur Behandlung von Tumorerkrankungen aufgebaut, einen neuen Ansatz für zellbasierte Krebstherapien mitentwickelt und zwei Unternehmen gegründet.
Jetzt treibt der 69-jährige Schwabe ein neues Projekt voran. Wenn das gelingt, könnten in Zukunft viele Krebspatienten mit Abwehrzellen von fremden Spendern geheilt werden. Das würde die Krebstherapie auf eine neue Stufe heben.
AvenCell Therapeutics heißt das neue Unternehmen, das Ehninger gerade in den USA mitgegründet hat. Der Name steht für Zelltherapien der Zukunft.
Seit wenigen Jahren erst können Blutkrebspatienten mit ihren eigenen gentechnisch veränderten Abwehrzellen behandelt werden – diese sogenannten Car-T-Zell-Therapien sind eine Option für Patienten, denen klassische Krebsbehandlungen nicht oder nicht ausreichend helfen. Die Vision von Ehninger ist, künftig mit Abwehrzellen von etwa 30 gesunden Spendern rund 90 Prozent dieser Krebspatienten behandeln zu können.
„Wie es bei der Blutspende Universalspender gibt, deren Blut vielen Menschen gegeben werden kann, so kann mit modernen gentechnologischen Methoden erreicht werden, dass die Abwehrzellen von einzelnen Spendern für eine Vielzahl von Menschen geeignet sind“, sagt er. Der Vorteil dieser sogenannten allogenen Zelltherapien: Bei den fremden Spendern können Abwehrzellen von gesunden Erwachsenen vervielfältigt werden. „Sie könnten wie in einer Apotheke vorrätig gehalten werden und wären schnell verfügbar“, sagt Ehninger.
Vielversprechendes Forschungsfeld
Dagegen sind die eigenen Abwehrzellen von Leukämiepatienten, die heute bei den CAR-T-Therapien genetisch verändert werden, häufig von vorausgegangenen Chemotherapien geschwächt. Zudem dauert es häufig mehr als zwei Monate, bis eine ausreichende Menge der Abwehrzellen im Labor gezüchtet werden kann.
Deswegen sind allogene Zelltherapien ein vielversprechendes Forschungsfeld, auf dem sich derzeit viele wissenschaftliche Einrichtungen und Unternehmen tummeln, wie Branchenkenner Peter Neubeck vom Wagniskapitalgeber Kurma Partners sagt.
Stammzell- und Blutkrebsexperte Ehninger hat den neuartigen Ansatz, den die CAR-T-Therapien verfolgen, mitentwickelt. Das 2001 von ihm gegründete Unternehmen Cellex bietet nicht nur Stamm- und Knochenmarkspenden für Patienten sowie für Forschungszwecke an, sondern stellt mittlerweile auch Zelltherapieprodukte her und übernimmt weltweit die Logistik. Das Unternehmen mit rund 150 Mitarbeitern soll laut Ehninger in diesem Jahr mehr als 40 Millionen Euro Umsatz erzielen.
Zudem erprobt der Mediziner mit der 2011 gegründeten Cellex-Tochter Gemoab in Dresden eine neue Technologie, die ein großes Problem lösen soll, das die bisher am Markt verfügbaren CAR-T-Behandlungen haben. Denn die getunten Abwehrzellen, die Patienten gegeben werden, um die Krebszellen abzutöten, lösen häufig eine überschießende Immunreaktion im Körper aus, die lebensgefährlich sein kann, auch wenn sie mittlerweile behandelbar ist.
Gemoab will diesen Zytokinsturm, wie die Entgleisung des Immunsystems heißt, vermeiden und hat CAR-T-Therapien entwickelt, die an- und ausgeschaltet werden können. „Man muss sich vorstellen, dass die genetisch modifizierte Abwehrzelle, die sogenannte T-Zelle, immer ein Bindeglied hat, eine Art Kupplungsstück, damit sie an die Krebszelle andocken kann, um diese zu zerstören“, sagt Ehninger.
Das Kupplungsstück ist ein Eiweiß, das gesondert von den Abwehrzellen dem Patienten verabreicht wird, womit die Therapie je nach Bedarf angehalten oder fortgesetzt werden kann. Denn ohne Kupplungsstück findet die Abwehrzelle den Weg zur Krebszelle nicht. Zwei dieser Therapien erforscht Gemoab derzeit in Dresden in der ersten klinischen Studienphase am Menschen.
Dass Ehninger nun auch als Chief Medical Officer beim neu gegründeten Unternehmen AvenCell mitwirkt, ist auf einen ungewöhnlichen Beteiligungsdeal zurückzuführen. US-Investor Blackstone war an einem Einstieg bei Gemoab interessiert, wollte die Forschung aber auch in Richtung allogene Therapien mit Zellen von fremden Spendern ausbauen. So holte der US-Investor noch den Genschere-Spezialisten Intellia von Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna an Bord. Mit der Crispr-Cas-Technologie von Intellia sollen die Spenderzellen künftig so verändert werden, dass sie für möglichst viele Empfänger passen.
Weiterer Forschungsstandort in den USA
AvenCell hat nun drei große Anteilseigner: den Blackstone-Life-Science-Fond, der das neue Unternehmen mit Sitz in Cambridge Massachusetts mit der beachtlichen Summe von 250 Millionen Dollar finanziert, Genschere-Spezialist Intellia und die Firma Cellex von Gerhard Ehninger. Die Dresdener Gemoab ist nun Tochterunternehmen von AvenCell, am Standort Dresden setzen die rund 65 Mitarbeiter ihre Forschungsarbeit wie bisher fort. Ein weiterer Forschungsstandort soll in den USA entstehen.
In der Wagniskapitalbranche hat die Transaktion für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Ein „Aufsehen erregendes Entwicklungs- und Finanzierungskonstrukt“, meint Olivier Litzka, Partner der Life-Science-Fondsgesellschaft Andera Partners. Geomab sei „ein weiteres Beispiel einer in Deutschland entwickelten genialen Zelltherapie-Technologie“, sagt er.
Verschiedene deutsche Biotech-Unternehmen arbeiten derzeit beispielsweise daran, Zelltherapien gegen solide Tumore, also bösartige Gewebeneubildungen zu entwickeln: Biontech aus Mainz, Immatics aus Tübingen, Medigene aus München und T-Knife aus Berlin gehören dazu.
Für Ehninger und sein Team gilt es nun, im nächsten Schritt die Bibliothek mit den Abwehrzellen der Spender aufzubauen. Das soll bis zur zweiten Hälfte des kommenden Jahres geschehen. Zudem sollen allogene Zelltherapien nicht nur gegen Blut- und Lymphdrüsenkrebs entwickeln werden, sondern ebenfalls gegen solide Tumore.
„Wir wollen verschiedene Kupplungsstücke entwickeln, damit die Abwehrzellen gezielt auch zu Krebszellen etwa in der Lunge, der Prostata und der Brust gebracht werden können“, sagt Ehninger. Und auch diese Kupplungsstücke sollen einen Platz in der Bibliothek des Unternehmens bekommen, damit die Patienten individuell mit geeigneten Spenderzellen und den benötigten Eiweißstoffen sofort behandelt werden können.
Bis es so weit ist, dürften aber ein paar Jahre vergehen.
Zur Ruhe setzen will sich der emeritierte Medizinprofessor jedenfalls noch nicht. „Es ist gerade so spannend in der Zelltherapieforschung und so stimulierend, mit einem internationalen Team zusammenzuarbeiten, da kann ich nicht einfach aufhören“, sagt Ehninger.
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