Giuseppe Giglio Ein Sizilianer will Farfetch und Mytheresa Konkurrenz machen

In den Hallen eines ehemaligen Verlagshauses in Palermo hat Giglio.com seinen Sitz.
Palermo Aus was für einem analogen Zeitalter seine Firma kommt, zeigt Giuseppe Giglio in einem dicken Buch voller Schwarz-Weiß-Fotos: Da ist das Geschäft seines Großvaters, der in Palermo Manschettenknöpfe und Accessoires verkaufte. Da ist die Luxusboutique mit Mode von Armani, Versace und Gucci in den Schaufenstern, zu der sein Vater Michele den Laden in den 1980er-Jahren umbaute.
Als Giglio gerade erzählen will, wie er das Unternehmen auf E-Commerce gedreht hat, kommt sein Vater um die Ecke, tätschelt dem 51-jährigen Sohn die Schulter. „Erzählt er gerade wieder von diesem Internet?“, fragt er und lacht.
Das Web als Zukunft? Wollte der Senior im Jahr 1996 nicht wahrhaben. „Wann bist du mit dem Computerspielen fertig?“, rief er dem Junior immer wieder zu. „Komm in den Laden, grüß die Kunden.“ Dabei hatte Giuseppe damals – nur ein Jahr nachdem Amazon das erste Buch verkauft hatte – seinen Webshop aufgesetzt.
Auch wenn er in fünf Monaten nur drei Jeans verkaufte und die Seite für zehn Jahre wieder einmottete, gehört Giglio.com heute zu den am schnellsten wachsenden Firmen in Europa. In acht Jahren hat sich der Umsatz des digitalen Modehändlers auf rund 28 Millionen Euro verzwanzigfacht.
Hersteller von Luxusmode können Services wie Abrechnung, Kundenservice und Logistik von Giglio erledigen lassen. Dafür bekommt das Unternehmen Provision an jedem verkauften Produkt, maximal sind es 27 Prozent. Zugleich nutzen auch 200 kleine Boutiquen das Browser-Angebot von Giglio, ähnlich wie bei Amazons Marketplace. Die Pandemie hat den Trend zum E-Commerce noch weiter verstärkt: 2020 wird bei Giglio.com ein Umsatzplus von 40 Prozent stehen.
Das Team macht fast alles selbst
Dabei ist die Modeindustrie eine der am stärksten von der Coronakrise betroffenen Branchen Italiens. Laut Schätzungen des Verbands Confindustria Moda sind die Umsätze vergangenes Jahr um 26 Prozent eingebrochen, rund 25 Milliarden Euro gingen den Firmen verloren.
Doch Giglio konnte auch im harten Lockdown vor einem Jahr weiterarbeiten. Ganz im Gegensatz zu den fünf stationären Geschäften mit 80 Mitarbeitern, die sein 81-jähriger Vater zusammen mit Giuseppes Bruder Federico betreibt – der 49-Jährige ist gleichzeitig Co-Chef im Digitalen.
80 Mitarbeiter, so viele hat mittlerweile auch Giuseppe. Das Team wächst so schnell, dass Giglio vor drei Jahren die verlassene Immobile eines alten Verlagshauses übernahm, die Halle aufwendig renovierte, Kronleuchter aufhängte, gläserne Meetingboxen und Designermöbel aufstellte. Alles machen sie hier selbst im Norden Palermos: die Programmierung der Plattformen, die Integration von 18 Bezahlsystemen, die Erfassung der Ware, selbst die Modeshootings.
„Nur die Models sind extern, sonst sind alle bei uns angestellt“, sagt Giglio – und führt in den Keller, wo die Logistik die Kundenpakete packt. Je nach Saison senden sie bis zu 2000 Bestellungen pro Tag raus. Weitere Logistiklager haben sie in Mailand und direkt am Flughafen von Palermo. „In Berlin sind die Pakete sogar schneller als auf dem italienischen Festland“, sagt Giglio.

Der Umsatz seines E-Commerce-Unternehmens hat sich in acht Jahren auf 28 Millionen Euro verzwanzigfacht.
Kunden, die in Innenstädten flanieren, um in die Schaufenster zu schauen, gebe es heute kaum noch. „Junge Leute kaufen, was bei Instagram gerade in ist, was Influencer tragen. Dort müssen wir sie abholen.“ Giglio setzt daher auch auf Newsletter, sechs Millionen Empfänger in 150 Ländern erreicht der Modehändler so jede Woche mit seinen Produkt-Mailings, gut 50.000 Newsletter-Kunden kommen aus Deutschland.
Nach Italien, das 30 Prozent der Umsätze ausmacht, und den USA ist Deutschland das drittwichtigste Land für Giglio. Aber auch Osteuropa ist im Kommen. Selbst aus einigen afrikanischen Hauptstädten erhalten sie schon Bestellungen.
Weg vom Mafia-Image
Dabei hat Giglio bisher kaum Werbung gemacht, die eigene Marke war nie wichtig. Erst Anfang des Jahres schalteten sie ihren ersten Spot überhaupt. „Wir wollen endlich unsere mediterrane Identität in den Vordergrund rücken“, sagt Giuseppe Giglio. In den 1980er- und 90er-Jahren stand Sizilien noch für das dunkle Kapitel der Mafia. „Es gab viel Schmerz und Tote. Aber heute können wir wieder stolz auf unsere Kultur sein.“
Anfangs war es schwer für ihn, junge Leute zu finden, vor allem im Softwarebereich. Genau wie er selbst – Giglio machte nach seinem Politologie-Studium noch einen Marketing-Master in Mailand – kehren die meisten jungen Sizilianer der Insel den Rücken.
Doch langsam ändert sich das, viele kommen zurück. „Die Lebensqualität hat stark zugenommen“, beobachtet Giglio. Auch wenn das Lohnniveau noch immer weit unter dem Landesdurchschnitt liegt, die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist.
Für Palermo ist Giglio.com eine seltene Erfolgsgeschichte. Vergleiche mit Zalando oder Amazon wischt Giuseppe Giglio aber vom Tisch. „Unsere Zielgruppe ist Luxus, nicht die breite Masse“, sagt er. Für ihn ist der Luxushändler Farfetch aus London der größte Konkurrent. Im gleichen Segment ist auch die Plattform Mytheresa unterwegs, die ihre Wurzeln in München hat – und vor gut einem Monat erfolgreich an der New Yorker Börse debütierte.
Im Vergleich zu den beiden Unternehmen ist Giglio.com noch klein – dafür aber bestens vernetzt in der italienischen Modewelt. Giglio ist als einziger Vertreter aus dem E-Commerce Mitglied in der nationalen Modekammer, der wichtigsten Institution der milliardenschweren Branche – neben 300 Firmen wie Prada, Gucci und Bulgari.
Noch immer würden viele Modehändler nicht auf das Internet vertrauen. „Wir haben 15 Jahre Vorsprung vor den meisten anderen“, sagt Giglio. Und dazu weitere zehn Jahre im Kopf.
Hilfe für die Partner im Lockdown
Das Know-how nutzte er auch im Lockdown, als Italien fast drei Monate stillstand. All die geschlossenen Partner-Boutiquen sollten ihre Stammkundschaft anrufen und auf die Giglio-Website verweisen. Dazu bekamen die sonst analogen Kunden einen Code.
Alle Einnahmen, die die Neukunden einbrachten, wurden mit der jeweiligen Boutique je zur Hälfte geteilt, selbst dann, wenn nur bei anderen Partnern geshoppt wurde. „Das war uns moralisch sehr wichtig“, sagt Giglio. „Viele der Läden konnten so zumindest einen Teil der wegfallenden Einnahmen kompensieren.“
2018 öffnete sich Giuseppe Giglio erstmals für externe Geldgeber: Zwei Millionen Euro sammelte er von Investoren ein, 2019 wurde ein weiterer Fonds aufgelegt, an dem sich auch Private-Equity-Firmen beteiligten. 15 Prozent halten die Kapitalgeber mittlerweile, der Rest liegt nach wie vor bei der Familie.
Für Maria Giuffrida von der Mailänder Universität Politecnico ist Giglio ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche E-Commerce-Strategie. „Durch starke Investitionen in einen vielversprechenden Sektor wie den der Luxusmode ist es Giglio gelungen, trotz der geringen Größe eine unverwechselbare Position einzunehmen und sehr schnell zu wachsen“, meint die Digitalexpertin.
Die Pandemie habe den E-Commerce in Italien erheblich beschleunigt. „Ich gehe davon aus, dass Onlineverkäufe und insbesondere Omnichannel-Verkäufe in der Modebranche zunehmend relevant werden.“
Omnichannel, das ist auch für Giglio die Zukunft. Seine Vision ist ein hybrider Markt: stationäre Läden, ergänzt um die unendliche Produktauswahl im Digitalen. Noch im März will er mit einem Pilotprojekt in 15 Läden starten, in den Partner-Boutiquen sollen dafür Touchscreens aufgestellt werden, die direkt auf die Giglio-Plattform zugreifen.
„Wenn es eine Bluse nur in einer Farbe gibt, kann der Kunde auf dem Bildschirm die anderen Farben durchschauen.“ Und wenn ein Produkt gerade ausverkauft sei, lasse es sich digital ansehen und bestellen. Die Computer, an denen er früher noch „spielte“ – sie stehen wohl bald in vielen Modegeschäften.
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