Gunther Wobser Lehrjahr im Silicon Valley für den Weltmarktführer von Temperiergeräten
Lauda-Königshofen Es ist eine beschauliche Fahrt über Land, bis man am Hauptsitz von Lauda in der 5.000-Seelen-Gemeinde Lauda-Königshofen landet. Es sind rund 40 Kilometer von Würzburg, man befindet sich aber im nördlichsten Zipfel von Baden-Württemberg. Seit einigen Monaten ist Gunther Wobser wieder im Ländle. Aber so ganz ankommen will er gar nicht wieder. Er findet, als mittelständischer Unternehmer muss man viel häufiger und vor allem auch mal länger über den Tellerrand blicken. Er hat es gemacht.
Seine Firma ist Weltmarktführer in einem sehr speziellen Segment. Lauda entwickelt Temperiergeräte. Die Kernkompetenz des Unternehmens mit 450 Mitarbeitern und zuletzt rund 90 Millionen Euro Umsatz besteht darin, sehr exakte Temperaturen zu erzeugen: für die Anwender in der Chemie-, Pharma- und Halbleiter-Industrie sowie für die Labor- und Medizintechnik.
So kühlen die Geräte von Lauda die Körper bei Herzoperationen auf die exakte Temperatur herunter. In 70 Prozent der Krankenhäuser sowie in vielen chemischen Laboren der Industrieländer stünden Geräte von Lauda, bestätigen Branchenbegleiter.
Die zwei wichtigsten Konkurrenten Peter Huber Kältemaschinen und Julabo wirtschaften ebenfalls im Ländle und sind Wobser dicht auf den Fersen. Es gibt also keinen Grund, sich zurückzulehnen, findet Wobser. Auch Weltmarktführer können behäbig werden, findet er.
Seine Idee, ein Jahr vom Valley aus sein Unternehmen zu führen, entstand, als der heute 48-Jährige ein Unternehmen in den USA übernahm. Ein Kunde in Übersee hatte die Geräte durch Produkte eines Wettbewerbers ersetzt, der zum Kühlen nicht Kompressoren, sondern thermoelektrische Elemente einsetzte.
Wobser selbst war offen für die neue Technologie, seine „kompressorverliebten“ Ingenieure weniger, erinnert er sich. Auch merkte der Unternehmer, dass er selbst nur halbherzig auf die neue Technologie setzte, es fehlte an Kapazitäten. In manchen Nischen ist man auch als Weltmarktführer klein.
Innovation neu denken
Das US-Unternehmen Noah Precicion aber hatte genau die Technologie, die Wobser fehlte. Der Unternehmer kaufte die Firma, den Kunden hat er zwar noch nicht zurückerobert, aber durch seine Reisen in die Bay Area lernte er viel über Innovationen.
Wobser, der nicht wie sein Großvater und Vater Doktor der Physik, sondern Doktor der Wirtschaftswissenschaften ist, belegte Kurse in Stanford. Dass Innovationen wichtig sind, wusste er schon, aber wie schnell etablierte Unternehmen von der Bühne verschwinden können, wurde ihm dort noch viel klarer. „Start-ups können jede Branche disruptieren.“
Inkrementelle Innovationen reichen nicht mehr. Wobser wollte mit Lauda „relevant sein für Menschen und als Unternehmer etwas Neues schaffen“. Schließlich hatte bereits sein Großvater die Technologie entwickelt.
Wobser fasste den Entschluss für ein Lehrjahr im Valley. Er wollte mehr lernen, mehr verstehen. Seine Frau und sein 14-jähriger Sohn wollten mit. Es sollte für den Unternehmer „die spannendste und erfahrungsreichste Zeit“ seines Lebens werden.
Egal ob Unternehmer oder angestellte Manager, seit Jahren pilgern sie ins Silicon Valley. Sie alle wollen verstehen, warum in der Gegend so innovativ und eben auch disruptiv gedacht wird. Manche blieben länger, wie der frühere „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, der 2013 ein Jahr in Palo Alto verbrachte. Christoph Keese, heute Geschäftsführer der Springer-Tochter Hy, schrieb nach seinem halben Jahr im Valley zwei Bücher, die auch Wobser zu dem Schritt ermunterten. Doch Familienunternehmer als Expats sind sehr selten.
Größere Entfernung, mehr Kontakt
Dabei bestätigt auch Eduard Dörrenberg, geschäftsführender Gesellschafter des Kosmetik- und Medizinprodukte-Unternehmens Dr. Wolff, die positiven Effekte auf das eigene Unternehmen. Ihn zog es vor mehr als vier Jahren gen Osten, er lebte bis zum vorigen Sommer mit seiner Familie in Singapur. Von dort aus beackerte er den asiatischen Markt, der für den Hersteller von Alpecin ein sehr wichtiger Wachstumsmarkt ist.
Doch dass so wenige Unternehmer den Schritt wagen, liegt auch daran, dass man sich selbst entbehrlich machen muss. „Ich musste meine Komfortzone verlassen“, betont Wobser. Er hatte kein Auto und wohnte zur Miete in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit Frau, Kind und Hund. Aber er nahm viel mit von der dortigen „Goldgräberstimmung“.
Ausgerechnet in seiner Valley-Zeit wurde das Unternehmen zu Hause von der Gewerkschaft bestreikt. Und das, „obwohl wir ein gutes Verhältnis pflegen“. Betriebsratschef Elmar Mohr erklärt das mit dem ländlichen Raum, in dem Lauda wirtschaftet, und dem ungewöhnlich hohen Organisationsgrad der Lauda-Mitarbeiter. Schon der Firmengründer hätte mit Betriebsrat und Gewerkschaft konstruktiv zusammengearbeitet – keine Selbstverständlichkeit im Mittelstand.
Aber im vergangenen Jahr war Wobser nun einmal 6.000 Kilometer weit weg. Mitgeschäftsführer Marc Stricker musste da schon mehr Last tragen. „Eigentlich hatten wir in der Zeit sogar mehr Kontakt“, erinnert Stricker sich. Nahezu täglich zeigte sich Wobser in Videokonferenzen. „An der Westküste war dann früher Morgen, und ich habe aus dem Schlafzimmer heraus konferiert und mir nur schnell ein Hemd übergezogen“, erinnert sich Wobser.
Investition in Start-ups
Mit Mails und Meetings war er meist bis 13 Uhr fertig, dann knüpfte er Kontakte mit Firmen im Valley, mit Business Angels. Er versuchte, wirklich dort anzukommen und sich keine Gedanken darüber zu machen, wo man das beste Schwarzbrot oder deutsche Leberwurst herbekommt.
Elmar Mohr, Betriebsratsvorsitzender von Lauda, findet, dass sein Chef durch seinen US-Aufenthalt lockerer geworden sei. Die Distanz zu den Mitarbeitern habe sich verringert. Wobser sei weniger förmlich. Sein früheres Markenzeichen, die Krawatte, würde nur noch bei offiziellen Anlässen herausgeholt.
Wobser gehört das Unternehmen nicht alleine. 2003 kaufte er von seinem Onkel die ersten 15 Prozent Firmenanteile, im Juli 2016 übernahm er weitere 15 Prozent von vier externen Gesellschaftern. Heute hält er 33 Prozent, sein Bruder, der nicht im Unternehmen arbeitet, drei Prozent, der Vater noch 38 Prozent und weitere Gesellschafter den Rest. Er musste also schon belegen, dass sein Jahr im Valley etwas gebracht hat.
Das Ergebnis: ein Innovationslabor in Sunnyvale mit drei Mitarbeitern. Dort werden vor allem Prototypen entwickelt. Preiswert ist das nicht, es kostet „richtig viel Geld“, erzählt Wobser. Aktuell sind dies rund zehn Prozent des Gewinns. Auch die Kooperation mit dem aufstrebenden Start-up Wattron aus Freital bei Dresden kann als Ergebnis des Auslandsjahrs zählen. Wattron entwickelt intelligente Heizsysteme, Lauda vertreibt sie und baut die Technologie in die eigenen Geräte ein. Kennen gelernt haben sich die Chefs auf einer Techie-Konferenz in San Francisco.
In den Tiefen der deutschen Realität angekommen, ist Wobser noch manchmal frustriert, einfach weil Entwicklungen im Unternehmen länger dauern und dafür die Spezialisten fehlen. Kein Wunder, bei gerade einmal drei Prozent Arbeitslosigkeit in einer Region voller Weltmarktführer. Wobser jedenfalls will sein Lehrjahr im Valley nicht missen.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.