Handschuhfabrikantin Annette Roeckl Am offenen Herzen operiert

Die Unternehmerin sieht die Entwicklung bis hin zur Insolvenz auch selbstkritisch.
München München ohne Weißwürste, Biergärten und das Hofbräuhaus? Unvorstellbar. Genauso untrennbar mit der bayerischen Metropole verbunden sei ihre Firma, betont Annette Roeckl. Schließlich fertigten die Roeckls schon seit 1839 in München Handschuhe.
Um ein Haar jedoch wäre die traditionsreiche Firma untergegangen. Mitte März musste die Handschuhfabrikantin Insolvenz anmelden. Die warmen Winter der vergangenen Jahre hatten die Reserven aufgezehrt. Das kleine Ganzjahresgeschäft mit Tüchern und Handtaschen konnte den Einbruch in der häufig nur dem Kalender nach kalten Jahreszeit nicht ausgleichen.
Schon anderthalb Monate später zog Roeckl den Insolvenzantrag zurück. Völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit hatte die 50-Jährige frisches Geld von der Verwandtschaft bekommen. Wie viel und von wem genau? Keine Auskunft. Erst im November machte Roeckl schließlich öffentlich, dass ihre Firma weiter bestehen kann.
„Es war eine Operation am offenen Herzen“, begründet Roeckl ihr langes Schweigen. Soll heißen: Sie sah die Chancen des Neustarts, doch es hätte auch schiefgehen können. Noch immer ist viel zu tun, daran lässt die zurückhaltende Frau mit dem schulterlangen, braunen Haar keinen Zweifel. Aber: Das Herz schlage wieder, und der Schock vom Frühjahr sei überwunden.

„Wegschauen hilft nicht, sondern genau hinschauen“, sagt Annette Roeckl.
Seit dem Frühjahr hatte Roeckl keine freie Minute, ihre Abteilungsleiter auch nicht. Jedes zweite Wochenende traf sich die Unternehmerin mit ihrem Führungsteam in der Zentrale, um den Umbau voranzubringen. Inzwischen ist klar, wohin die Reise geht: Die Kollektion wird zweigeteilt. Auf der einen Seite die Luxushandschuhe, die sie in eigenen Läden und noblen Kaufhäusern wie dem KaDeWe anbietet. Für solch ein Paar blättern Kunden schon mal 150 Euro und mehr hin.
Auf der anderen Seite eine Kollektion mit günstigeren Handschuhen für 100 Euro und weniger, wie sie bei Karstadt oder Kaufhof in den Auslagen zu sehen sein wird. „Unser Markenauftritt ist nicht ganz konsistent. Wir wollen künftig unsere Zielgruppen genauer ansprechen“, begründet Roeckl den Schritt. Noch seien viele Details zu klären, daher wird das Konzept erst 2019 in den Geschäften umgesetzt.
Abhängig vom Winter
Experten sehen durchaus Chancen, dass Roeckl langfristig bestehen bleibt. Die Unternehmerin könne sich Dallmayr als Vorbild nehmen, meint der Modeexperte Franz Maximilian Schmid-Preissler. Das Kaffee- und Delikatessenhaus habe sich in ganz Deutschland als Münchener Institution einen Namen gemacht. Das sollte auch Roeckl anstreben, meint der Berater. Doch klar sei auch: „Mit Handschuhen allein geht es nicht.“ Es sei überlebenswichtig, dass die Accessoires einen größeren Teil zum Umsatz beisteuern als bisher – und Roeckl weniger abhängig vom Winter werde.
Annette Roeckl ist eher widerwillig in die Familienfirma eingestiegen. Aus Prinzip trug sie bis zu ihrem 20. Lebensjahr keine Handschuhe. 2003 übernahm sie dann doch den Chefposten. Sie trieb die Internationalisierung voran, baute das Filialnetz aus, erweiterte das Sortiment um teure Tücher und hochwertige Taschen. Produziert wird in eigenen Werkstätten in Rumänien. Doch das alles reichte nicht, um Konkurrenten wie Hermès oder Louis Vuitton zu trotzen. Der Umsatz schrumpfte zuletzt um sechs Prozent auf knapp 18 Millionen Euro.
Die Unternehmerin sieht die Entwicklung bis hin zur Insolvenz auch selbstkritisch. Sie weiß, dass sie schon viel früher hätte durchgreifen müssen. „Lange habe ich darauf vertraut, dass sich alles zum Besseren wendet – auch aus Loyalität zu den Mitarbeitern“, sagte Roeckl kurz nach der Insolvenz.
Das Insolvenzverfahren brachte einige Vorteile. Am wichtigsten war, dass Roeckl Kosten schnell und massiv senken konnte. Acht unprofitable Läden in ganz Deutschland machte sie dicht. Ohne die Insolvenz hätte sie die Mietverträge kaum kündigen können. Zudem hat sie 50 Mitarbeitern gekündigt, ein Viertel der Belegschaft. Mit den verschiedensten Beratern habe sie das Unternehmen komplett durchforstet und neu organisiert. Inzwischen weiß sie: „Wegschauen hilft nicht, sondern genau hinschauen.“
Sichtbarstes Zeichen, dass es wieder aufwärtsgeht, ist die Neueröffnung des „Roeckl-Ecks“ in München, in Toplage in der Münchener Fußgängerzone. Mehr als 60 Jahre lang hatte ein Partner das Geschäft für die Marke betrieben, nun hat Roeckl die Regie selbst übernommen. Im Inneren zeigt Roeckl, was ihre Handschuhmanufaktur so alles kann. „Das Geschäft hat eine hervorragende Werbewirkung“, meint Berater Schmid-Preissler. Neben einheimischen Kunden kämen auch viele Touristen vorbei. Fürs Frühjahr ist gar ein neuer Laden in Zürich geplant.
Die Anspannung der vergangenen Monate ist ein wenig gewichen. Für das laufende Geschäftsjahr, das im März endet, hat Roeckl zwar noch einmal rote Zahlen eingeplant. Doch wenn es gut laufe, könne am Ende auch eine schwarze Null stehen, meint die Fabrikantin. Das Wetter hat sie momentan jedenfalls auf ihrer Seite. Jeder Tag mit Temperaturen um den Gefrierpunkt ist für Roeckl ein guter Tag.
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