Heinz Hermann Thiele Das unvollendete Lebenswerk des Knorr-Bremse-Eigentümers

Jahrelang hat der 78-Jährige mit sich gerungen, wie er sein Lebenswerk mit 28.000 Beschäftigten in eine sichere Zukunft führt.
Stuttgart, München Der Aufsichtsrat tagte den ganzen Dienstag, doch die wichtigste Mitteilung stand schon zur Mittagspause fest. Klaus Deller, seit 2015 Vorstandschef von Knorr-Bremse, geht mit sofortiger Wirkung von Bord. Binnen Minuten brach die Aktie ein, mehr als sechs Prozent Minus musste der Kurs verkraften.
Die Nachricht traf die Anleger unvorbereitet: Ein halbes Jahr nach dem milliardenschweren Börsengang steht der Zulieferer auf einmal ohne Anführer da.
Offiziell teilte Knorr-Bremse nur das Nötigste mit: Die Trennung sei „im gegenseitigen Einvernehmen“ erfolgt. Der Aufsichtsrat habe die Suche nach einem Nachfolger bereits eingeleitet. In der Übergangszeit würden die Vorstandsmitglieder Ralph Heuwing, Peter Laier und Jürgen Wilder die Aufgaben Dellers gemeinschaftlich wahrnehmen.
Aufsichtsratschef Klaus Mangold fand höfliche Worte: „Ich danke Klaus Deller im Namen des Aufsichtsrats für die außerordentlich erfolgreiche Arbeit.“ Er ergänzte: „Besonders hervorheben möchte ich den erfolgreich durchgeführten Börsengang.“ Solche Formulierungen entstehen, wenn man sich zumindest finanziell geeinigt hat.
Es soll aber ein tiefes Zerwürfnis zwischen Deller und den restlichen drei Vorständen gegeben haben, heißt es in aufsichtsratsnahen Kreisen. Es ist davon die Rede, dass Deller nach dem Börsengang zunehmend abgehoben reagiert habe.
Was er sich wirklich zuschulden hat kommen lassen und die restlichen, vergleichsweise erst kurz im Amt befindlichen Vorstände so aufgebracht haben soll, bleibt unklar. Nach Informationen des Handelsblatts war der Beschluss des Aufsichtsrats einstimmig, also auch mit den Stimmen der Arbeitnehmervertreter.
Der Abgang ist ein schwerer Schlag für den MDax-Konzern. Erst vor zwei Wochen präsentierte der 57-Jährige die operativ sehr erfolgreiche Bilanz in München. Es wirft erneut kein gutes Licht auf Haupteigentümer Heinz Hermann Thiele. Jahrelang hat der 78-Jährige mit sich gerungen, wie er sein Lebenswerk mit 28.000 Beschäftigten in eine sichere Zukunft führt.
An Angeboten für sein hochprofitables Unternehmen mangelte es nicht, alleine die chinesische Bahnindustrie hätte ihre Rolle des Großkunden gerne mit der des Eigentümers getauscht. Doch Thiele gibt das Heft nicht gerne aus der Hand.
So hatten es externe Manager traditionell schwer bei Knorr-Bremse, wo Thiele als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats auch ohne offizielles Stimmrecht am Ende immer noch das letzte Wort hat. Die Familienlösung schied aus, nachdem sich Thiele mit Sohn Henrik überworfen hatte und der Filius 2017 Knall auf Fall sein Büro geräumt und seine Anteile verkauft hatte.
Auch ein Zusammengehen mit dem großen Konkurrenten ZF erwog Thiele, doch irgendwie fanden das Stiftungsunternehmen vom Bodensee und der kantig dominante Unternehmer aus München nicht zusammen.
Schließlich entschloss sich Thiele zum Börsengang, und ein Garant für eine erfolgreiche Emission war Klaus Deller. Der eloquente Diplomingenieur blieb auch dann noch in Thieles Gnade, als er 2014 Chef beim wesentlich größeren Zulieferkonzern Schaeffler werden sollte, dort aber wegen einer Intrige nie antreten durfte.
Thiele verzieh seinem Topmanager den Seitensprung und machte ihn zum Vorstandschef. „Das war wohl eher eine Hassliebe“, heißt es im Umfeld. Die Liebe hat Thiele ihm jetzt wieder entzogen.
Für Außenstehende schien in den vergangenen Monaten dagegen alles in bester Ordnung: Mit Klaus Mangold fand Thiele einen Mann seines Vertrauens, nachdem Hans-Georg Härter aus gesundheitlichen Gründen im vergangenen Jahr als Aufsichtsratschef abtreten musste.
Es muss im persönlichen Bereich gekracht haben. Erst zwischen Deller und den restlichen Vorständen; danach mit Mangold, als er davon erfuhr, sowie am Ende mit dem Mehrheitseigentümer. „Grund für das Ausscheiden von Herrn Deller sind unterschiedliche Auffassungen von Führung und Zusammenarbeit“, erklärte Knorr-Bremse.
Mit anderen Worten: Industriell hat Deller nichts falsch gemacht. Keineswegs seien strategische Fragen der Grund für den Knall gewesen. „Der Aufsichtsrat steht uneingeschränkt hinter der erfolgreichen Unternehmensstrategie der Knorr-Bremse AG. Die Geschäftsentwicklung liegt auch in diesem Jahr voll im Plan“, erklärte das Unternehmen.
Das strategische Dilemma
Das kann nicht die ganze Wahrheit sein. Denn trotz guter Zahlen steht Knorr-Bremse strategisch vor einem schwer lösbarem Dilemma. Mit dem Aufkommen der Elektromobilität und dem autonomen Fahren verschiebt sich die Tektonik in der Zulieferindustrie. Die lukrative Nische, die sich der Weltmarktführer für Lastwagen- und Zugbremsen in den letzten Jahren gesichert hat, ist bedroht.
Das liegt vor allem an dem Riesen vom Bodensee. ZF, mit 37 Milliarden Euro Umsatz mehr als fünfmal so groß wie Knorr, sucht seit Längerem den Einstieg in das Geschäft mit Bremsen.
2016 wollte der Stiftungskonzern den schwedischen Lkw-Bremsenhersteller Haldex übernehmen. Haldex hätte mit der Vertriebs- und Finanzpower von ZF an der Seite Marktanteile vor allem auf Kosten von Knorr gewinnen können. Ein strategischer Angriff auf das Kerngeschäft.
Aus Sicht von Thiele hätte Deller diese Gefahr vielleicht früher sehen können. So blieb nur noch die offene Attacke. Knorr überbot ZF in einem irrwitzigen Bietergefecht. Der Einstieg von ZF in das eigene Terrain war zwar mit viel Geld verhindert, doch Knorr konnte mit der Neuerwerbung nichts anfangen. Wegen nicht unerwartet hoher Kartellauflagen musste Marktführer Knorr die Haldex-Übernahme wieder absagen.
Thiele trieb in der Folgezeit die eigenen Börsenpläne voran und erlöste vier Milliarden Euro im vergangenen Herbst. Die vor Selbstbewusstsein strotzenden Münchener erlaubten es sich sogar, ZF abblitzen zu lassen, als deren Chef, Wolf-Henning Scheider, zwei Wochen vor dem Börsengang die Königslösung einer Liaison von ZF und Knorr anbot. Mit der Abfuhr machte sich Knorr ZF endgültig zum Feind. Nicht ohne Folgen. Scheider bietet jetzt für die Nummer zwei auf dem Bremsenmarkt, Wabco.
Kommt das Angebot durch, und danach sieht es derzeit aus, dann bekommt Knorr mit ZF/Wabco bei den Lastern einen mächtigen Konkurrenten. Zumindest dieses Spiel haben Thiele und sein CEO verloren.
Deller ist der dritte Vorstandschef in Folge, der seinen Vertrag nicht erfüllt. Dass das Unternehmen trotz dieser Fluktuation so erfolgreich ist, überrascht die gesamte Fachwelt.
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