Hörmann und 1Aim Wie ein Start-up und ein Familienunternehmen die Tür der Zukunft erfinden wollen

„Die ideale Tür ist keine Tür.“
Berlin Der Raum, in dem Torben Friehe seinen Investor Christoph Hörmann gleich empfängt, ist eine Baustelle. Die Wände im Dachboden des Büros sind noch grau, Mitarbeiter von Friehes Start-up 1Aim lümmeln sich auf einem zusammengewürfelten Ensemble aus Balkonstühlchen, weißen Schalensitzen und einem Sofa.
Auf dem Sims hinterm Dachfenster steht ein halb leerer Kasten Oettinger-Bier, aus den Boxen quäkt Cyndi Lauper von der 1980er-Jahre-Playlist: „… just wanna have fu-hun“. An Hörmanns traditionelles Familienunternehmen erinnern allenfalls die Pappkisten mit dem blau-gelben Firmenlogo in der Ecke.
Aber nur in diesem Raum in dem Altbau in Berlin-Tegel haben 1Aims rund 30 Mitarbeiter Platz. An diesem Freitag Mitte Februar kommen Elektro- und Maschinenbauingenieure sowie Marketingexperten wie jede zweite Woche zusammen, um einander ihre Fortschritte zu präsentieren – und zu feiern. Ein paarmal im Jahr kommt Christoph Hörmann dazu.
Seit Mitte 2016 hält sein Unternehmen Anteile an dem Start-up. Während der 27-jährige Friehe, Wuschelkopf und schwarzer Pulli über rot-weißem Hemd, ihn begrüßt, kreist der Familienunternehmer um eine kleine Tür mit einem schwarzen Bildschirm, die auf einem beinhohen Stapel Grobspanplatten steht.
Türen sind eben Hörmanns Leben. Der 50-Jährige führt mit seinem Bruder Martin und seinem Vater Thomas den größten Türenhersteller Europas. Das Familienunternehmen aus dem westfälischen Steinhagen, dessen Logo bei Fußball-Länderspielen auf den Banden prangt, erzielt seine rund eine Milliarde Euro Umsatz mit dem Garagentor-Bestseller „Berry Schwingtor“, gusseisernen Eingangstoren oder Haustüren aus Thermocarbon. Und bald auch mit 1Aims digitalem Schließsystem.
Das kann digitale Zugangsrechte für begrenzte Zeit oder mit begrenzten Funktionen ausstellen – etwa für eine Putzkraft, die damit nur Montagmorgen in die Wohnung kommen kann. Oder Mitarbeitern eines Teams, deren Code für den Meetingraum nur während ihres Teamtreffens funktioniert.
Zudem sammeln die Zugangsmodule Daten, wie stark welche Teile eines Büros tatsächlich genutzt werden. Inzwischen hat ein anderes deutsches Familienunternehmen Interesse an 1Aim entwickelt: Wie das Handelsblatt erfuhr, investiert nun auch der Türklinkenhersteller FSB in das Berliner Start-up.
„Die ideale Tür ist keine Tür“
Als Hörmann da ist, geht die Show los: Während ein gebürtiger Taiwanese aus dem Einkauf über 1Aims Lieferkette spricht, lehnt der Familienunternehmer, der in Jackett und Bluejeans gekommen ist, mit einem Arm an der Minitür.
Die soll er dann öffnen: Friehe reicht Hörmann ein Handy, mit dem der sein eigenes Gerät als Türöffner berechtigen kann. „Wenn ich das hinkriege, ist es wirklich einfach“, kokettiert Hörmann, der einzige Grauhaarige im Raum außer Friehes Vater, der gerade beim Ausbau des Dachbodens hilft. Ein paar Klicks später hält Hörmann sein nun in vielen Farben blinkendes Handy ans Tür-Display. Das Schloss knackt.
Und dafür reist Hörmann von Steinhagen in einen staubigen Berliner Dachboden? „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, glaubt der Unternehmer. Cyndi Lauper säuselt inzwischen „True Colors“, und Hörmann hat sich mit Friehe, dessen Mitgründer Yann Leretaille, 26, und ein paar Hockern in eine ruhigere Ecke zurückgezogen.
Das Investment sei aber eine Bauchentscheidung gewesen, „wie so oft in Familienunternehmen“, sagt Hörmann. Statt lange den Markt nach dem besten Start-up im Smart-Home-Sektor zu scannen, hätte er nach der erfolgreichen Kooperation gemerkt: „Das passt.“
Nun erforschen der Mittelständler und das Start-up die Zukunft der Tür. Wie sieht die aus, Herr Hörmann? „Die ideale Tür ist keine Tür“, reißt Friehe die Frage an sich – eines Tages seien auch Energiefelder, die Nichtberechtigten den Zugang verweigern, denkbar – wie im Science-Fiction-Film. Worauf der verdutzte Hörmann hinterherschiebt: „Das würde ich so natürlich nicht unterschreiben. Ich hoffe, dass es weiterhin Türen gibt – aber vielleicht nicht mehr Schloss oder Schlüssel.“
Ein ungleiches Duo sind der forsche Gründer und der etablierte Familienunternehmer schon. Sie können aber von vielen Situationen erzählen, in denen sie voneinander profitieren. Auf der weltgrößten Branchenmesse, der BAU in München, führten 1Aims Mitarbeiter 2017 ihr Produkt am zentralen Hörmann-Stand vor, statt selbst einen Stand mieten zu müssen.
Etwa alle zwei Monate sind Friehe und Leretaille in Steinhagen, im Werk für Antriebstechnik, das in Christoph Hörmanns Verantwortung liegt. Dort helfen Hörmanns Ingenieure ihnen bei Zertifizierungen oder lassen sie für den Temperaturwechseltest ihres Zugangsmoduls die firmeneigene Kältekammer benutzen. „Solches Know-how könnte man nicht mal auf dem Markt kaufen“, sagt Friehe.
Nun soll der gemeinsame Vertrieb mit Hörmann auch den kommerziellen Durchbruch bringen. Bislang hat 1Aim von den knapp 1.000 Euro teuren Modulen noch keine 1.000 produziert. Einer ihrer größten Kunden bisher war Lars Hinrichs.
Auch den weißen Gründerzeitbau in Hamburg-Rotherbaum, den der Xing-Gründer zu einem smarten Mietshaus ausgebaut hat, öffnet man mit einem blinkenden Smartphone. Erst kürzlich hat der Internetunternehmer im „Apartimentum“ sein Büro bezogen, im Meetingraum steht, kein Witz, ein gerahmtes Handelsblatt-Werbebild mit seinem Konterfei am Boden.
Der Xing-Gründer nennt sie „Chaoten“ und „Nerds“
Hinrichs lernte die 1Aim-Gründer Anfang 2015 über einen Bekannten kennen. „Die sind damals mit so einem Schloss gekommen“, erinnert er sich. Den klobigen Prototyp hätten sie aber weiterentwickelt und schlanker gemacht.
Gerade die Hardware-Expertise, sagt Hinrichs, unterscheide das Team des Maschinenbau-Abbrechers Friehe und Informatik-Abbrechers Leretaille von Konkurrenten auf dem Markt für smarte Schlösser. „Die bauen aus Stahl, das funktioniert auch nach 30.000 Öffnungen noch“, sagt Hinrichs.
Die beiden Gründer nennt er „Chaoten“ und „Nerds“, was der Internetunternehmer wohl liebevoll meint. Der Auftrag im „Apartimentum“ brachte 1Aim auch mit den Hörmanns zusammen.
Christoph Hörmann erhofft sich von der Partnerschaft Impulse für die Abteilung Visionen: „Wir könnten gemeinsam Plattformen entwickeln, die man einer ganzen Branche anbieten kann“, sagt der Wirtschaftsingenieur.
Da hat Leretaille schon Ideen: „Sagen wir, ich habe einen Termin im Krankenhaus. Der Code, den ich bekomme, öffnet dann die Tiefgarage und lässt mich auf die Station, auf der ich behandelt werde. Und wenn die Behandlung vorbei ist, verfällt er.“ Statt einer schlichten Schlüsselfunktion können Wegbeschreibungen oder Belegarzt-Zugänge organisiert werden.
„Bislang kann jeder, der einen Generalschlüssel besitzt, überall hin“, sagt Leretaille. Diesmal ergänzt Hörmann: „Wenn du den verlierst, werden 500 Schlösser ausgetauscht.“ Und Friehe: „Oder werden sie eben nicht.“
Als das Gespräch vorbei ist, ist die Party in vollem Gange. Gerade zieht ein Mitarbeiter eine Piñata an die Decke, einem anderen verbinden sie die Augen. Hörmann steht in der Nähe der Dachbodentür und sieht sich das alles mit einem Stück Pizza in der Hand belustigt an. „Wenn ich noch mal jung wäre, würde ich nach Berlin ziehen und hier anfangen“, hat er eben noch gesagt.
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