Interview Ulrich Bettermann: „Die Familienunternehmer haben keine Lobby in Berlin“

„Viele Familienunternehmer werden ihre Firmen verkaufen, wenn sie die Erbschaftsteuer nicht bezahlen können.“
Düsseldorf Herr Bettermann, wir sind am Ende der Ära Merkel, Sie schauen als international aktives Familienunternehmen aus der Vogelperspektive auf Deutschland. Wo stehen wir?
Die ersten vier Jahre hat Frau Merkel von der „Agenda 2010“ gelebt. Deutschland ist seitdem stetig zurückgefallen. Wir standen damals hinter den Amerikanern und vor den Japanern. Heute sind wir Mittelmaß. Die Chinesen, die Südkoreaner, die Briten und sogar die Franzosen sind dabei, an uns vorbeizuziehen.
Was sind die Hauptgründe dafür?
Wir werden nicht nach vorn regiert, uns ging es zu gut. Wir haben den Status quo gemanagt. Auch die Energiewende nach Fukushima hat dazu beigetragen. Wenn wir die Atommeiler noch hätten, wäre unsere Klimabilanz besser.
Was bleibt von der Ära Merkel?
Die Kunst, die sie beherrschte, war, Dinge auszusitzen. Zweimal hat sie aktiv agiert, bei der Energiewende und 2015 mit dem Satz „Wir schaffen das“ in der Flüchtlingskrise. Beides waren große Fehler. Wir haben beim Weltwirtschaftsforum einmal eine Aufstellung gemacht, dass seit 2005 rund 230 Milliarden Euro verbrannt wurden, für die Energiewende und für den Sozialstaat. Was fehlte, waren Exportförderung und Steuersenkungen. Dabei haben die Unternehmen dieses Geld erwirtschaftet.
Wie blicken Sie auf den CDU-Kandidaten Armin Laschet?
Ich verstehe nicht, warum Armin Laschet nicht angreift. Cum-Ex, Wirecard, es gibt da doch viele Themen, mit denen man Gegner wie Olaf Scholz konfrontieren kann. Man kann nicht aus einem lahmen Gaul ein Springpferd machen.
So verlief das erste Kanzlerkandidaten-Triell
Glauben Sie, dass Markus Söder es besser machen würde?
Ich weiß es ehrlicherweise nicht.
Mit der Schwäche der CDU wird auch eine rot-grün-rote Koalition mit einem Kanzler Olaf Scholz wahrscheinlicher. Wie würden Sie reagieren?
Wenn das so sein sollte und sie verwirklichen ihre Pläne auch mit einer Vermögensteuer, dann bin ich in Deutschland nicht mehr anwesend – weil ich es kann. Ich bin seit 40 Jahren Schweizer Staatsbürger, ich zahle aber in Deutschland Steuern. Unser Unternehmen würde in Menden bleiben, aber die Holding würden wir nach Ungarn verlegen. Dort beschäftigen wir bereits heute mehr Mitarbeiter als im Sauerland.
Warum?
Die Familienunternehmer haben keine Lobby in Berlin. Viele Familienunternehmer werden ihre Firmen verkaufen, wenn sie die Erbschaftsteuer nicht bezahlen können. Unsere Familie hat vor 20 Jahren zwei liechtensteinische Stiftungen gegründet, denen das Unternehmen seitdem gehört. Dadurch ist das Unternehmen vor der alle 30 Jahre anfallenden Erbschaftsteuer bei deutschen Stiftungen geschützt.
Macht Ihnen außer der Steuer noch etwas anderes Sorgen?
Die Reglementierungen. Ein Beispiel: Wir wollten in Menden eine Großgalvanik bauen. Die Baugenehmigung dauert hierzulande dreieinhalb Jahre. Wir haben es international ausgeschrieben, da wäre Russland vorn gewesen. Wegen der besseren Logistik und einer Genehmigung in sechs bis acht Monaten haben wir uns für Ungarn entschieden. Wir sparen dort 1,8 Millionen Euro an Energie, und da sind die Löhne noch nicht mit eingerechnet. Und noch etwas anderes: Wir sind aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Wir haben in Menden die 40-Stunden-Woche. Wir versuchen, so zu rationalisieren, zu automatisieren und mit spitzem Bleistift zu kalkulieren, dass wir die steuerlichen Nachteile und die hohen Energiekosten ausgleichen, aber es gibt da Grenzen. Kurzum: Wenn das alles unter Rot-Rot-Grün noch schlimmer wird, fehlt uns die Luft zum Atmen.
Was machen Sie, wenn die Ampelkoalition kommt?
Man könnte versuchen, damit zu leben. Mir ist ein rechter SPDler lieber als ein linker CDUler.
Wie ist die Stimmung bei den Familienunternehmern?
Viele Unternehmer sind in großer Sorge. Mich haben bereits sieben Briefe erreicht, in denen mich Unternehmer fragen, wie man Schweizer oder Österreicher wird. Aber: Wir können nicht alle weglaufen. Außerdem gibt es für in der Schweiz lebende Deutsche eine fünfjährige Nachlauffrist für Steuerzahlungen, also zahlt man fünf Jahre noch die deutschen Steuern. Aber ich finde, die Unternehmer müssen mehr Flagge zeigen und sich öffentlich äußern, damit sich etwas ändert. Doch davor scheuen sich viele.
Wenn Sie aus Sicht der Familienunternehmer ein Drei-Punkte-Programm für die Zeit nach der Wahl gestalten würden, was stünde da drin?
Erstens: keine Steuererhöhungen. Zweitens: eine punktuelle Entlastung, sodass die Firmen mehr Luft zum Atmen bekommen. Drittens: dass man Baugenehmigungen leichter bekommt.
Was erwarten Sie von der FDP?
Das Programm ist wirtschaftsnäher als das der CDU. Herr Wissing ist fähig, Herr Lindner müsste offensiver auftreten, er müsste mehr Menschenfänger sein, wie damals Hans-Dietrich Genscher.
Hat sich Ihr Verhältnis zu den Grünen verändert?
Mit ihren Plänen schütten sie das Kind mit dem Bade aus. Wir heilen die Welt nicht mit unseren CO2-Einsparungen. Wir brauchen Augenmaß, aber ich bin schon für CO2-Neutralität. Das ist richtig.
Wann werden Sie diese als Unternehmen erreichen?
Das weiß ich noch nicht. Wir beziehen zwar bereits komplett regenerativen Strom und produzieren auch schon einen Teil, aber noch nicht genug.
Herr Bettermann, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Der Schlagabtausch beim Kanzler-Triell bleibt freundlich
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.