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Jens Thiermann Dieser Spediteur treibt die Digitalisierung des Mittelstands voran

43.000 Firmen nutzen die von Jens Thiermann eingerichtete Frachtbörse. Nun überlässt der Spediteur die Weiterentwicklung des Unternehmens seinen Söhnen.
09.04.2019 - 15:33 Uhr Kommentieren
Mit ihrem Unternehmen erwirtschaftet die Familie einen Jahresgewinn von 20 Millionen Euro. Quelle: Timocom
Jens (links) und Tim Thiermann

Mit ihrem Unternehmen erwirtschaftet die Familie einen Jahresgewinn von 20 Millionen Euro.

(Foto: Timocom)

Erkrath Die Erfolgsgeschichte begann auf Parkplätzen von Aldi. Dorthin hatte Jens Thiermann 1997 seine besten Mitarbeiter abkommandiert, um sich in aller Frühe ganz vorn in die Schlangen einzureihen. Ihre Mission: In vier Filialen des Discounters möglichst viele PCs aus dem Schnäppchenangebot abzugreifen.

Mit ihnen plante der Speditionsgründer, Frachtaufträge über das damals noch junge Internet hereinzuholen. Den Anschluss zur Außenwelt musste ein nervenzehrendes 14.4K-Modem besorgen.

Die Idee zahlte sich für den gelernten Speditionskaufmann aus. Laut Jahresabschluss 2017, den seine Erkrather Firma vor wenigen Wochen vorlegte, verdiente Thiermann damit zuletzt 20,4 Millionen Euro – nach Steuern. Im Jahr zuvor waren es 19,8 Millionen.

Dabei gelten die fünf Lastwagen, die der Firmengründer für sich fahren lässt, heute bestenfalls noch als schmückendes Beiwerk. Die Unternehmenskasse füllt stattdessen Thiermanns Frachtbörse „Timocom“. Sie lockte seit dem Erwerb der Aldi-Rechner nicht weniger als 130.000 fremde Nutzer, die selbst Lkw-Stellplätze für Obst, Spanplatten oder Stahlträger anbieten oder sich per Mausklick Transportkapazitäten besorgen.

Mit täglich 750.000 vermittelten Lkw-Fahrten sind die Rheinländer in Europa zum Marktführer aufgestiegen, längst mussten die PCs vom Discounter zwei umfangreichen Rechenzentren weichen. „Die Firma ist unter den Frachtbörsen heute die Benchmark“, urteilt Oliver Ocker, Prokurist bei der Spedition Schwarz in der Nähe von Ulm.

Mit der Rolle als „Hidden Champion“ hält es Thiermann, blondes Kraushaar, schwarzes Hemd, goldene Halskette, durchaus wörtlich. In der Öffentlichkeit zeigt sich der bald 59-Jährige aus Furcht vor kriminellen Neidern seit Langem nur noch inkognito, Fotos im Internet existieren von ihm nicht.

Sogar von seiner jüngsten persönlichen Entscheidung hat bislang kaum jemand etwas erfahren dürfen. „Zum 1. April habe ich mich aus der operativen Geschäftsführung herausgezogen“, sagte er jetzt dem Handelsblatt. „Nach 22 Jahren Timocom werde ich nur noch im Beirat tätig sein.“ Er bleibe der Logistikbranche allerdings noch mit neuen Projekten erhalten.

Das Unternehmen aber bleibt in Familienhand. Schon seit 2017 steuert sein 29-jähriger Sohn Tim das Unternehmen als Geschäftsführer mit. Auch zwei weitere Sprösslinge, die 27-jährigen Zwillinge Niels und Sven, kümmern sich neben ihrem Studium um IT und Wettbewerbsbeobachtung.

Neu in die Geschäftsführung tritt allerdings Sebastian Lehnen ein, um den Senior zu ersetzen. Der 32-Jährige kehrt dazu nach einem Promotionsstudium zu Timocom zurück.

Kräftig aufgerüstet

Schon seit der weitaus ernster und analytischer als sein Vater auftretende Junior die Geschäftsführung verstärkt, befindet sich Timocom im Umbau. „Es ist einfach, eine Plattform zu entwickeln“, sagt Tim Thiermann. „Sie technisch zu unterhalten aber ist die Herausforderung.“ Tatsächlich war die Frachtbörse bis 2017 kaum mehr als ein schwarzes Brett im Internet, auf dem sich Hersteller und Handelsfirmen passende Lkw-Transporteure besorgten, sobald Engpässe anstanden.

Wäre es dabei geblieben, hätte der im Neandertal residierenden Firma womöglich dasselbe Schicksal geblüht wie den berühmten Ureinwohnern der Region. Der Vormarsch von Wettbewerbern wie Anyvan, Saloodo oder Teleroute drohte Timocom zu einem Anbieter unter vielen zu machen. Durch Milliardeninvestitionen gepäppelte US-Rivalen wie Flexport oder Uship hätten Timocom am Ende womöglich aus dem Markt gefegt.

Die Firma ist unter den Frachtbörsen heute die Benchmark. Oliver Ocker, Spedition Schwarz

Heute ist die Frachtbörse zwar immer noch ein wichtiger Teil von Timocom, aber die reine Vermittlung von Fahrten macht dabei nur noch einen vergleichsweise kleinen Teil aus. Mithilfe von 140 IT-Spezialisten haben die Thiermanns das System in den vergangenen zwei Jahren kräftig aufgerüstet.

So können sich heute sowohl Verlader als auch kleine Lkw-Transporteure über PC-Schnittstellen leicht auf die Timocom-Plattform aufschalten. Die Frachtabwicklung – von der Auftragsvergabe bis zur Abrechnung – ist seither ohne Medienbruch möglich. „Mit unserer Hilfe können sich selbst kleine Unternehmen digitalisieren“, schwärmt der Seniorchef.

Dass 2018 von dem Angebot 60.869-mal Gebrauch gemacht wurde, verwundert in der Branche keineswegs. „Viele Transportunternehmen arbeiten wie in den 90er-Jahren“, erzählt Ferry Heilemann, Gründer der Berliner Onlinespedition Freighthub. „Aufträge werden in der Mehrzahl immer noch per Fax und Telefon vergeben.“

Lückenloser Marktplatz für ganz Europa

Entsprechend verlockend dürfte es daher für Verlader und Transporteure sein, in Echtzeit zu erfahren, wo sich einsatzbereite Lkws befinden, ob sie es pünktlich zur Entladung schaffen oder ob die Steuerung an der Rampe funktioniert. „Wir planen für die Zukunft sogar, unser Logistiksystem mit der Buchhaltung unserer Kunden zu verknüpfen“, kündigt der Juniorchef.

Durch ihre zurückhaltende Preispolitik haben es die Thiermanns in den vergangenen Jahren erreicht, einen lückenlosen Marktplatz für ganz Europa aufzubauen. Gerade einmal 170 Euro im Monat kostet es ein Transportunternehmen, mit drei Disponenten das System zu nutzen. 43.000 Firmen schalteten sich bis heute auf.

„Lkw-Fahrten von London in den Ural finden sich bei uns genauso wie Touren von Norwegen in die Türkei“, erzählt der Seniorchef. „Sobald sich die Lage im Nahen Osten beruhigt, erwarten wir auch dort eine florierende Nachfrage.“

Logistikexperten wie Michael Lierow von der Beratungsfirma Oliver Wyman halten Angebote wie die von Timocom für durchaus clever. „Noch bis vor zwei Jahren schossen Frachtbörsen wie Pilze aus dem Boden“, berichtet er. „Doch viele haben bitter erkennen müssen, dass sie Kunden einen Mehrwert bieten müssen.“

Die Digitalisierung der Transportabwicklung zähle zweifelsohne dazu – vor allem dann, wenn der Kunde dazu nicht einmal ein eigenes IT-System kaufen und implementieren müsse.

Jetzt sollen noch einmal 100 Millionen Euro bis 2030 in die Forschung und Entwicklung fließen, um das Netz auf 100.000 Firmenkunden auszubauen, kündigt der Junior an. Die Zahl der Mitarbeiter will er von 500 auf 800 ausbauen.

Damit auch die Neuen nicht vergessen, wem sie den Job zu verdanken haben, stellte ihnen der Senior einen blau lackierten Siebentonner von Mercedes ins Foyer – mit einer Ziffer auf dem Nummernschild, hinter der sich das Lkw-Baujahr wie das Geburtsdatum des Firmengründers verbirgt: 1960. Den frühesten Aldi, um Missverständnisse zu vermeiden, gab es erst ein Jahr später.

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