Kabel-Unternehmer Matthias Lapp Neu verkabelt

Studierte BWL in Amsterdam und München, arbeitete danach für Coca-Cola in Mexiko.
Wenn das Wetter es zulässt, dann verlässt Matthias Lapp morgens um 6.30 Uhr die Altbau-Stadtwohnung und schwingt sich im beliebten Viertel Stuttgart West auf sein Mountain-Bike. Er radelt aus dem Talkessel hinauf zur Firmenzentrale des Kabelspezialisten im Vaihinger Industriegebiet. In der neuen Zentrale, mit Vitra-Möbeln, offenen Großräumen und Dachterrasse, wartet auch eine Dusche auf den 34-jährigen neuen Lapp-Chef. Lapp ist jetzt über 100 Tage im Amt und gibt sein erstes Interview.
Lapps Büro ist spartanisch eingerichtet – höhenverstellbarer Stehtisch mit zwei Bildschirmen. Zwei Umzugskisten hat er kurzerhand zu einem provisorischen Regal umfunktioniert. „Ein bisschen Start-up-Atmosphäre muss schon sein“, lächelt Lapp. Während des Studiums hatte er mit einem Mitstudenten einen Online-Shop mit aufgebaut. Die Assistentin ist gerade in Mutterschutz. Ersatz braucht er nicht: „Das muss zwei Monate auch so gehen.“ Unprätentiös, pragmatisch ist sein Stil.
Das ist zwar auch eine typisch schwäbisch sparsame Lösung, aber es zeigt, dass bei dem erfolgreichen Mittelständler ein anderer Wind weht. Schneller und flexibler soll auch das Unternehmen mit 900 Millionen Umsatz und 3 500 Mitarbeitern und 40.000 Produkten werden. „In den nächsten Jahren wird sich einiges im Unternehmen verändern“, kündigt Lapp an, ohne schon jetzt konkreter zu werden. Bei seinem Veränderungswillen hat der junge Chef Rückenwind: „Die Geschäfte laufen auch in diesem Jahr sehr gut.“
Lapp studierte BWL in Amsterdam und München. Danach arbeitete er für Coca-Cola in Mexiko. „Wie in so einem Konzern die Markenführung perfektioniert wird, war schon beeindruckend“, erinnert sich Lapp.
Seit 2010 ist er im Familienunternehmen, zunächst als Assistent des Personalchefs, dann als Leiter Export. Er war bereits maßgeblich beteiligt an der Strategieentwicklung vom Kabelhersteller zum Systemanbieter für Verbindungslösungen. Er will das Unternehmen noch stärker am Markt ausrichten. „Alles, was dem Kunden das Leben einfacher macht“, hat bei ihm Vorfahrt.
Lapp ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Unternehmen es durchaus auch mal mit einem frühen Wechsel versuchen sollte. Dafür bedarf es natürlich zweier Seiten, und Stammesdenken darf – wie bei den Lapps – keine Rolle spielen. Das Gesicht des Unternehmens war bisher sein Onkel Andreas Lapp, 61, umtriebig, politisch verdrahtet, mit einem besonderen Faible für Indien. Dagegen hielt sich sein Vater Siegbert Lapp als Produktionschef eher im Hintergrund.
„Digital Natives“ für den Umbruch
Jetzt ziehen sich die beiden zurück und überlassen Matthias Lapp das Tagesgeschäft. So früh treten im Ländle nur selten Unternehmer den Rückzug an. Im Juli wechselte Andreas Lapp im Alter von 61 Jahren in den Holding-Vorstand und Siegbert Lapp, der ältere Bruder, in den Aufsichtsrat der Holding. Formal stehen beide damit noch über dem Sprössling. Aber Junior Matthias Lapp ist als Europachef für 70 Prozent des Umsatzes, 90 Prozent des Einkaufvolumens und den Löwenanteil der Beschäftigten verantwortlich. Sein Bruder ist mit 32 Jahren bereits für das wichtige Thema Digitalisierung verantwortlich.
Mit dem frühen Generationswechsel und „Digital Natives“ an der Unternehmensspitze hofft die Lapp-Familie, auch den Umbruch durch Digitalisierung und Vernetzung besser in den Griff als andere Familienunternehmen zu bekommen. „Besonders die Seniorengeneration steht hier in der Verantwortung, in der Außenwirkung deutlich zu machen, dass Entscheidungen gemeinsam abgestimmt sind und mitgetragen werden, selbst wenn diese nicht mehr der ,alten‘ Praxis entsprechen“, weist Professor Tom Rüsen vom Wittener Institut für Familienunternehmen auf einen entscheidenden Punkt bei der Nachfolge hin, der auch für die Lapps gilt.
Die Lapps stehen in diesem Jahr aber nicht zum ersten Mal vor einem frühen Generationswechsel. Firmengründer Oskar Lapp war 1987 im Alter von 66 Jahren gestorben. Daher mussten seine Söhne Andreas und Siegbert mit Anfang 30 schon ran. „Das war im Nachhinein gar nicht so schlecht“, erinnert sich Andreas Lapp heute.
Ende 1955 flüchtet seine Mutter Ursula Ida hochschwanger mit ihm und seinem vier Jahre älteren Bruder Siegbert über Berlin – der damals noch einzig mögliche Weg – in die Freiheit. Die eigentlich aus Thüringen stammenden Lapps verschlug es zunächst auf einen Bauernhof in Leinfelden-Echterdingen. Andreas Lapp kam 1956 zur Welt. Die Familie zog 1958 ins nahe gelegene Stuttgart-Vaihingen, wo der Vater ein Jahr später die Firma gründet. Mutter Ursula Ida wohnt noch heute in dem Haus, das sie vor über 50 Jahren bezog. Die heute 87-Jährige stand bis zum Führungswechsel in diesem Jahr dem Aufsichtsrat vor. Jetzt ist sie Ehrenvorsitzende. Sie zählt zu den Unternehmerinnen-Legenden im Land.
In den 50er-Jahren zeichnete sich mit der zunehmenden Industrialisierung ein hoher Bedarf an Kabeln und Leitungen ab. Oskar Lapp erfand die erste industriell gefertigte ölbeständige und flexible Steuerleitung mit farblicher Unterscheidung der einzelnen Adern. Das bis dahin zeitaufwendige manuelle Einziehen von Einzeladern und Schaltlitzen in Schläuche entfiel. Mit dem sogenannten Ölflex-Kabel eroberte Lapp den Markt.
Heute ist die Verbindungstechnik in nahezu allen Fabrikanlagen nicht nur im Ländle zu finden. Sie sind in modernen Hochgeschwindigkeits-Robotern ebenso verbaut wie bei Ladesystemen für Elektroautos oder Datenleitungen und Verbindungen für Industrie 4.0 und Smart Factories der nächsten Generation. Dass das Geschäftsmodell der Lapps in Zukunft obsolet wird, weil die Verbindungen drahtlos werden, denkt Lapp nicht. „Natürlich haben wir die Veränderungen im Blick. Aber ich glaube wegen der Verlässlichkeit und Sicherheit fest an die Zukunft des Kabels in der Produktion. Wir positionieren uns als Systemanbieter.“
Damit Lapp hier am Puls der Zeit bleibt, ist die junge Führung angetreten. Natürlich kommuniziert Matthias Lapp anders als Vater und Onkel, aber irgendwie ist er dann doch auch Familienunternehmer. Wichtige Dinge werden nicht per Mail oder am Telefon, sondern persönlich besprochen. „Da bin ich irgendwie doch noch analog“, räumt Lapp ein. Von der Firmenzentrale sind es keine zehn Minuten bis zum Flughafen. Bei 17 Werken und 40 Vertriebsgesellschaften weltweit lässt er sich so oft wie möglich persönlich blicken. „Das wird auch in Zukunft unser Stil bleiben.“ Bei allem Jugendstil bleibt Lapp ein Familienunternehmen. Verheiratet ist Matthias noch nicht, aber in festen Händen. Eine vierte Generation in der Kabel-Dynastie scheint alles andere als ausgeschlossen.
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