Korruptionsprozess Bestechungsskandal um die Dillinger Hütte: Haftstrafen für Angeklagte

Das Landgericht Saarbrücken ist überzeugt, dass dem Stahlwerk Bauaufträge im zweistelligen Millionenvolumen verschoben wurden.
Saarbrücken Bernd Weidig hatte zur Urteilsverkündung seitenweise Abhörprotokolle mitgebracht. Immer wieder las der Vorsitzende Richter der Kammer des Landgerichts Saarbrücken daraus vor, teilweise minutenlang. Für ihn blieben keine Zweifel: Der Bauunternehmer François Baron von Sass habe ein Korruptionsnetzwerk um das saarländische Stahlwerk Dillinger Hütte „maßgebend gesteuert“.
Die Kammer verurteilte den 69-Jährigen am Mittwoch wegen Bestechung zu drei Jahren Haft. Er sei in allen Punkten von der Schuld des Barons überzeugt, sagte Weidig in seiner Urteilsbegründung. Von Sass beherrsche es, andere Menschen für seine Zwecke einzuspannen und wisse genau, „wie er wen wann zu behandeln hat“.
Nach 237 Tagen Verhandlung, 58 Beweisanträgen und einer Hauptakte mit mehr 3000 Seiten ist das erste Kapitel der juristischen Aufarbeitung einer millionenschweren Korruptionsaffäre um die saarländische Stahlindustrie nun abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zeitweise gegen 23 Beschuldigte, darunter waren auch zwei ehemalige Vorstände und ein früherer Hochtief-Manager.
Zwischen Anfang 2010 und März 2014 sollen sie ein Bestechungsnetz gesponnen haben, um mehr als hundert Aufträge im Wert von über 50 Millionen Euro zu verschieben. Von Sass habe dabei Manager der Dillinger Hütte geschmiert und Preise mit der Konkurrenz abgestimmt, wie die Staatsanwaltschaft ermittelt hatte. Der Bauunternehmer soll mit den Komplizen heimlich entschieden haben, wer die Zuschläge für die begehrten Aufträge erhielt. Kenner der örtlichen Strukturen sprachen von einem „Sumpf“.
Neben dem Baron wurde der ehemalige Leiter der Neubauabteilung des Stahlwerks zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Bei ihm sollen zudem fast 800.000 Euro eingezogen werden. Er und nicht der Vorstand sei verantwortlich für die Willkür bei der Auftragsvergabe gewesen. Das Verfahren gegen den dritten Angeklagten, ebenfalls ein Ex-Mitarbeiter der Hütte, war im Februar vorläufig eingestellt worden, nachdem er sich bereit erklärt hatte, eine Geldauflage von 80.000 Euro zu zahlen.
Verteidigung will zum BGH
Baron von Sass nahm die Ausführungen des Richters ungerührt auf, gelegentlich rieb er sich die Augen. Nach eineinhalb Stunden schüttelte er erstmals merklich den Kopf. Von Sass saß seit seiner Verhaftung Ende November 2019 in Untersuchungshaft. Das sind knapp 17 Monate, die als bereits verbüßt gelten. Die Haftbefehle wurden aufgehoben.
Der Baron und seine Verteidiger haben die Vorwürfe in den vergangenen Monaten immer wieder bestritten und der Kammer einen zähen Prozess geliefert. Auch nach dem Urteil zeigte sich von Sass kämpferisch. Er sei „ungebrochen“, teilte er in einem Statement mit.
Sein Verteidiger Michael Heuchemer aus Bendorf sagte, die Verurteilung sei „rechtsfehlerhaft“. Er kündigte an, „unverzüglich“ Revision beim Bundesgerichtshof einzureichen. Der Verteidiger hatte im Prozess wiederholt argumentiert: Das Stahlwerk habe in den Fällen der Anklage nicht fair und wettbewerbskonform ausschreiben wollen, deshalb sei dem Vergabesystem auch die „strafrechtliche Schutzwürdigkeit abzusprechen“.
Heuchemer beruft sich unter anderem auf ein Gutachten des Heidelberger Strafrechtsprofessors Gerhard Dannecker, der die Vergabepraxis für die Verteidigung beurteilen sollte. Verantwortliche der Hütte seien bei der Bevorzugung ortsansässiger Partnerfirmen eingebunden gewesen, schreibt Dannecker darin.
Sein Fazit: Es habe sich „nicht um ein schutzwürdiges, an vergaberechtlichen Maßstäben und Strukturen orientiertes Vergabesystem“ gehandelt. Die Vorlage des Professors spitzte Strafverteidiger Heuchemer zu: „Es ist unstatthaft, die Angeklagten zu Sündenböcken für ein System zu machen, das sie nicht erfunden haben.“

Der Bauunternehmer forderte bis zuletzt seinen Freispruch. Sein Anwalt kündigte Revision an.
Richter Weidig ließ sich davon nicht beeindrucken. Der Baron habe nicht im Ruderboot gesessen, „sondern vorn am Steuer“, sagte er bei der Urteilsverkündung. Der Unternehmer sei nicht „in ein System hineingewachsen, an das er sich anpassen musste“.
Besonders hätten die Kammer Audiodateien und Zeugenaussagen überzeugt, in denen es um Geldflüsse ging. Sie hätten mit den passenden Kontoauszügen ein „wunderbar abgerundetes Bild“ ergeben.
Die Tonbänder seien illegal aufgenommen worden und hätten deshalb nicht gegen die Angeklagten verwendet werden dürfen, sagte hingegen Verteidiger Heuchemer. Es sei ein rechtsstaatlich herausragendes Prinzip, „dass strafrechtswidrig erlangte „Beweismittel“ nicht zur Überführung eines Beschuldigten herangezogen werden dürfen“.
Richter Weidig hatte die Einwände offenbar geahnt und in seiner Urteilsbegründung bereits angesprochen: „Wir wissen sehr wohl, dass es andere Rechtsauffassungen gibt. Wenn es der BGH anders sieht, dann ist das so.“
Dillinger Hütte akzeptiert Bußgeld
Die Dillinger Hütte selbst hat ihre schwierige Vergangenheit unterdessen eingeräumt. Laut einer „Settlement-Erklärung“ im Verfahren B10-21/17 des Bundeskartellamts akzeptierte Vorstandschef Karl-Ulrich Köhler im Februar eine „geminderte Geldbuße“ von vier Millionen Euro.
Das Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt, liest sich stellenweise wie ein Geständnis: Die Mitarbeiter der Hütte seien mit „Barzahlungen und unentgeltlichen Bauleistungen an deren Immobilien“ motiviert worden, der Firma des Barons Aufträge von 11,1 Millionen Euro und Hochtief von 40,6 Millionen Euro zukommen zu lassen.
Dillinger Hütte und Hochtief hatten sich nach einer Razzia der Staatsanwaltschaft im Mai 2017 selbst bei der Bonner Behörde angezeigt und als Kronzeuge angedient. Die Hütte teilte am Dienstag mit, dass das „Settlement“ mit den Kartellbehörden noch nicht abgeschlossen sei. „Daher können wir heute kein Statement dazu abgeben.“
Der Essener Baukonzern und das Kartellamt wollten sich zu den Bußgeldverfahren nicht äußern. Der Hauptverhandlung gegen Baron von Sass hat acht Monate gedauert. Die umfassende Aufarbeitung der Korruptionsaffäre um die Dillinger Hütte wird aber deutlich länger brauchen.
Die Staatsanwaltschaft kommt offenbar nur in kleinen Schritten vorwärts. Von den 20 offenen Ermittlungsverfahren aus dem Juni 2020 seien vier weitere zur Anklage gekommen, teilt die Behörde mit, die übrigen laufen weiter. Darüber hinaus geben sich die Strafverfolger schmallippig: „Auskünfte zum Stand der laufenden Ermittlungsverfahren können gegenwärtig nicht erteilt werden.“
Mehr: Wie Hochtief von mutmaßlicher Korruption um die Dillinger Hütte profitiert haben soll.
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