Mittelstand Innovationscluster: Firmen nutzen den Campus als Talentpool

Bei der Suche nach Innovationen und modernen Technologien setzen Mittelständler vermehrt auf Cluster mit Universitäten.
Düsseldorf Die Kreuztaler Industriehalle, in der die Zukunft der regionalen Wirtschaft stattfinden soll, ist ein Gebäude mit Geschichte. Über viele Jahre stand der Bau auf dem Gelände des Anlagenbauers Achenbach Buschhütten leer, bis er im vergangenen Jahr eine Anschlussverwendung bekam. Seither residiert hier auf 2900 Quadratmetern der „Campus Buschhütten“: ein Zusammenschluss verschiedener Einrichtungen und Initiativen, zu denen auch die „Smarte Demonstrationsfabrik Siegen“ (SDFS) gehört.
Es ist der Versuch, die mittelständische Siegener Wirtschaft, die mehrheitlich in der Metallverarbeitung tätig ist, stärker über gemeinsame Innovationsprojekte zu vernetzen.
„Wir wollen mit dem Spitzencluster die regionale Wirtschaft dabei unterstützen, datengetriebene Technologien zu erforschen und dabei neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, erklärt Peter Burggräf, Initiator des Spitzenclusters „Metall + Daten“ und Inhaber des Lehrstuhls für Produktionsingenieurwesen und -management an der Universität Siegen, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Die Demonstrationsfabrik auf dem Campus Buschhütten ist der Nukleus dieser Initiative: „Hier sollen Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Universität neue Anwendungen erproben und zur Marktreife bringen“, so Burggräf. Das Interesse der lokalen Unternehmen ist groß: Neben Achenbach Buschhütten beteiligen sich zahlreiche weitere Firmen an dem Projekt, darunter auch der Autozulieferer Kirchhoff und die Brauerei Krombacher, die jeweils eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet haben.
Für die Unternehmen bedeutet die Initiative dabei einerseits einen niedrigschwelligen Zugang zu neuen Technologien. Andererseits sollen darüber aber auch neue Fachkräfte gewonnen werden, um die der Mittelstand oft mit großen Konzernen und Start-ups konkurriert.
So erklärt Axel Barten, geschäftsführender Gesellschafter von Achenbach Buschhütten: „Um die Attraktivität des Maschinenbaus oder der Metallverarbeitung für IT-Kräfte zu erhöhen, braucht es auch Leuchtturmprojekte, die die notwendige Aufmerksamkeit erzeugen.“ In der Demonstrationsfabrik könnten Studenten die Anwendungsfälle in der Industrie direkt erleben, so der Familienunternehmer. „Das weckt Interesse an der industriellen Digitalisierung und bringt den Unternehmen wiederum neue Impulse aus der Forschung.“
Mittelstand fehlen Softwarespezialisten
Dabei ist der Fachkräftemangel eine Herausforderung, mit der sich viele Familienunternehmen derzeit verstärkt auseinandersetzen. Denn für die Digitalisierung der industriellen Fertigung braucht es nicht nur klassische Ingenieure, sondern auch Softwarespezialisten, um beispielsweise Anwendungen zu entwickeln, in denen Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommt.
Wie schwierig es ist, diese zu akquirieren, zeigt das Ergebnis einer Umfrage, die der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) in Zusammenarbeit mit der DZ Bank im Frühjahr durchgeführt hat. Demnach klagen 73 Prozent der mittelständischen Firmen über Probleme durch Fachkräftemangel. Nur eine Zunahme an Bürokratie (80 Prozent) bereitet den Unternehmen noch größere Sorge.
Universitäres Engagement kommt den Unternehmern daher gelegen. „Wir Unternehmer sind stolz auf die Universität Siegen, deren anwendungsnahe Spitzenforschung in alle Branchen ausstrahlt“, sagt Arndt Kirchhoff, der als geschäftsführender Gesellschafter den gleichnamigen Autozulieferer und Werkzeughersteller leitet und mehrere Führungspositionen in Wirtschaftsverbänden bekleidet. Seine Einschätzung: „Durch Ausbildung und Weiterqualifizierung sichert die Universität unseren Fachkräftebedarf ab.“

Viele Mittelständler kämpfen damit, die erforderlichen Fachkräfte zu finden. Kooperationen können hier helfen.
Innovationscluster sind deshalb für viele Mittelständler ein vielversprechender Weg, junge Talente kennenzulernen und sie gleichzeitig für eine Tätigkeit in der Industrie zu begeistern. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der ostwestfälische Kompetenzcluster „It’s OWL“, der seine Arbeit bereits 2011 aufgenommen hat. Heute sind am Hauptstandort in Paderborn mehr als 180 Unternehmen und Organisationen aus Forschung und Wirtschaft miteinander vernetzt.
Unternehmen wie der Hausgerätehersteller Miele oder der Baukonzern Goldbeck entwickeln hier in Zusammenarbeit mit der Forschung neue Technologien und Geschäftsmodelle. Dass daraus am Ende auch echter Umsatz entsteht, zeigt ein Beispiel des Verbindungstechnikherstellers Weidmüller: Im Rahmen von „It’s OWL“ entwickelte der eine KI-basierte Software, mit deren Hilfe sich Defekte an Maschinen erkennen lassen, noch bevor sie tatsächlich auftreten.
Solche „Predictive Maintenance“ genannten Technologien sollen dafür sorgen, dass etwaige Stillstände vorhersehbarer und damit planbarer werden. Denn so lassen sich Ersatzteile bestellen, bevor sie benötigt werden. Nach einer Untersuchung der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC) hat Predictive Maintenance das Potenzial, die Kosten im Fabrikbetrieb um zwölf Prozent zu senken – und gleichzeitig die Lebensdauer von Maschinen um bis zu 20 Prozent zu erhöhen.
Weidmüller hat aus der Entwicklung einen eigenen Geschäftsbereich gemacht – und vermarktet seine Software im Lizenzmodell unter dem Namen „Industrial Analytics“. Dabei soll das Produkt den Kunden auch ermöglichen, selbst in die Entwicklung KI-basierter Modelle einzusteigen, indem es eine leicht zu bedienende Plattform bereitstellt, die sich auch ohne tiefere Kenntnisse von Softwareentwicklung oder Datenanalyse nutzen lassen soll. Eingesetzt wird die Technologie vom Kompressorhersteller Boge oder dem Düsseldorfer Anlagenbauer Gea.
Dabei ist die Entwicklung von datengetriebenen Geschäftsmodellen ein Bereich, in dem der Mittelstand derzeit noch großen Nachholbedarf hat. So kommt eine Studie der Beratung Deloitte zu dem Schluss, dass Kompetenzmangel (65 Prozent) und Implementierungshürden (52 Prozent) im Moment für die meisten Mittelständler zu den größten Hürden beim Einsatz von KI zählen.
Intelligenter Schweißroboter
Geht es nach Burggräf, werden Geschichten wie die von Weidmüller künftig auch auf dem Campus Buschhütten geschrieben. „Gerade mittelständische Unternehmen stehen oft vor dem Problem, dass sie nicht jede neue Technologie gleichzeitig erproben können.“ Hier wolle das Projekt mit der Demonstrationsfabrik ansetzen. „Dabei stehen zunächst kleinere Projekte mit engem Praxisbezug im Fokus, die beispielsweise von Studierenden oder Auszubildenden aus den Betrieben durchgeführt werden können.“
Ein erstes solches Projekt lässt sich bereits in der alten Industriehalle in Kreuztal besichtigen: Für einen Autozulieferer werden in der Demonstrationsfabrik derzeit Achsteile geschweißt, wobei die Arbeit des Schweißroboters durch eine gleichzeitige KI-basierte Qualitätskontrolle optisch überwacht wird. Die Anforderungen an die Qualität der Schweißnähte ist hoch: Schon kleinste Abweichungen machen das Bauteil instabil, in der Folge ist es für den Verkauf ungeeignet.
Der eingesetzte KI-Algorithmus soll nun dafür sorgen, dass solche Fehler immer seltener vorkommen. Dabei sucht die Software nach Mustern in den gesammelten Daten und passt daraufhin den Schweißprozess dynamisch an. Das Konzept der Demofabrik zielt darauf ab, dass die auf diese Weise produzierten Achsteile nicht nur zu Forschungszwecken entstehen, sondern am Ende auch tatsächlich in den Verkauf gehen.
Es ist das gleiche Konzept, das auch die renommierte Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) mit ihrer Demofabrik verfolgt – und das ist kein Zufall: An der RWTH hat Burggräf gemeinsam mit Günther Schuh die Leitung des Bereichs Fabrikplanung im Werkzeugmaschinenlabor der Universität inne.
Dabei traten Burggräf und Schuh auch schon selbst als Unternehmer hervor und gründeten den Aachener Elektroautohersteller Ego. Im vergangenen Jahr ging das Unternehmen, auch infolge der Coronakrise, insolvent, es produziert aber mittlerweile unter neuer Eigentümerschaft weiter.
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