MK-Kliniken-Patriarch Ulrich Marseille Abschied mit Hindernissen

Der Hamburger Unternehmer hat den größten Teil seines Seniorenheimkonzerns verkauft.
Berlin Viel besser hätten die vergangenen Wochen für den Hamburger Unternehmer Ulrich Marseille nicht laufen können. Er hat den größten Teil seines Seniorenheimkonzerns für mehrere Hundert Millionen Euro verkauft. Nun bleibt dem 61-Jährigen mehr Zeit für seine minderjährigen Kinder. Außerdem steht am heutigen Donnerstag die Hauptversammlung an. Marseille, der gemeinsam mit seiner Frau mehr als drei Viertel der Aktien an der MK-Kliniken AG hält, will den Aktionären eine satte Dividende von 1,16 Euro ausschütten. In den vergangenen Jahren gab es nur 20 oder 50 Cent. Mit anderen Worten: Auch privat macht die Familie Kasse.
Doch in die glücklichen Tage hinein platzt ein Spielverderber. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Patriarchen eingeleitet. Wie die Behörde dem Handelsblatt bestätigte, ermittelt sie gegen Marseille wegen des Verdachts der Untreue. Die Staatsanwaltschaft führt den umtriebigen Unternehmer als Beschuldigten. Marseille teilt über seinen Anwalt mit, dass er von einem Ermittlungsverfahren bislang nichts wisse. Die Vorwürfe seien unbegründet. Er vermutet, dass die Bezichtigungen kurz vor der Hauptversammlung in die Welt gesetzt worden sind, „um eine Skandalberichterstattung zu provozieren, bevor die Ermittlungsbehörden Gelegenheit zur Überprüfung hatten“.
Hier könnte sich Marseille irren. Die Staatsanwaltschaft hatte einige Monate Zeit zu prüfen, ob ein Anfangsverdacht besteht. Eine anonyme Strafanzeige gegen Marseille ging schon Ende April beim Landeskriminalamt ein. Auf sieben DIN-A4-Seiten sind diverse Sachverhalte aufgelistet. Der oder die Verfasser scheinen mit Firmeninterna gut vertraut zu sein. Unter den Punkten haben sie mögliche Zeugen genannt.
In der Anzeige wird dem Aufsichtsratsvorsitzenden vorgeworfen, er habe Ressourcen der MK-Kliniken missbraucht. Angeblich hätten Architekten der MK-Kliniken AG die Sauna im Landhaus der Familie Marseille auf Usedom geplant. Zu diesem Punkt äußert sich Marseille auf Anfrage nicht im Detail. Wer die Sauna geplant, gebaut und bezahlt hat, teilt er nicht mit.
Andere Ausführungen in der Anzeige könnten zwar einen Untreue-Verdacht der Sache nach nicht begründen, zeigen aber wie undurchsichtig und ungewöhnlich die Geschäfte der Kliniken offenbar geführt werden. Ein Beispiel: Der Rechtsstreit zwischen den MK-Kliniken und dem afrikanischen Staat Äquatorialguinea.
Im Jahr 2009 hatte ein Tochterunternehmen der MK-Kliniken aus der Schweiz mit der Staatsführung von Äquatorialguinea einen Vertrag geschlossen, die regierungseigene Poliklinik in der Stadt Bata zu managen. Die Zusammenarbeit endete in einer Krise. Zwar habe es nie eine Kündigung gegeben, teilten die MK-Kliniken ihren Aktionären später mit, jedoch seien Mitarbeiter auf „eigenwillige“ Weise aus dem Land gedrängt worden. Sie hätten sich vor Ort nicht mehr sicher gefühlt.
Den Konflikt mit dem kleinen Staat an der afrikanischen Westküste entschieden die MK-Kliniken 2014 für sich. Ein Schiedsgericht der Handelskammer in Zürich ordnete an, das Land habe 16,5 Millionen Euro zu zahlen. Marseille soll sich besonders um die Zeugen bemüht haben. So heißt es in der Anzeige, er habe sie im Privatjet zum Prozess nach Zürich geflogen. Was sein gutes Recht ist, aber möglicherweise die Aussage des Zeugen beeinflusst haben könnte. Ein Zeuge soll zudem eine Aufwandsentschädigung von mehreren Tausend Euro erhalten haben. Marseille lässt seinen Anwalt dazu mitteilen: „Das ist so nicht richtig.“
Zumindest ungewöhnlich ist auch eine Millionen-Transaktion vor dem Hintergrund des Rechtsstreits. Marseille sei zu einem angeblichen Anwalt in Paris geflogen, um ihm eine Million Euro zu zahlen, sagen Klinik-Insider. Der Franzose sollte offenbar nach dem Urteil die Zahlung der 16,5 Millionen Euro bewegen. Immerhin: Die Zahlung an den Anwalt bestreitet Marseille nicht und auch eine Rechnung in französischer Sprache haben sich die Kliniken ausstellen lassen. Marseilles Anwalt versichert, dass ihm das Papier vorliege. Die Aufwendungen seien ordnungsgemäß im Jahresabschluss der Kliniken erfasst.
Die Vorwürfe treffen Marseille zur Unzeit. Gerade erst hat er die Details des Verkaufs verkündet. Demnach gibt der Konzern 46 Heime an die französischen Investoren von Chequers Capital ab. 300 Millionen Euro soll das einspielen. In einem zweiten Schritt könnten die dazugehörigen Immobilien veräußert werden. In der Branche wird spekuliert, dass der Gesamtumfang des Deals bis zu einer halben Milliarde Euro betragen könnte.
Zukünftig halten die Aktionäre nicht mehr Anteile an einem der größten privaten Heimbetreiber der Republik, sondern an einem Rumpfunternehmen, das Marseille neu ausrichten möchte. Als neues Geschäftsfeld hat er Entwicklung und Vertrieb von IT für den Klinik- und Heimbetrieb für sich entdeckt. Als „der weiße Hai“ bekannt Marseille ist formal nur der Aufsichtsratschef der MK Kliniken AG. Wie machtbewusst er diese Rolle definiert, hat er in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ durchblicken lassen. „Ich habe keine Lust mehr, mich im harten Tagesgeschäft zu bewegen, und muss auch niemandem mehr beweisen, dass ich es kann“, erklärte Marseille vor wenigen Tagen zu den Gründen des Verkaufs.
Das operative Geschäft liegt – zumindest in der Theorie – beim Vorstand. Das Personal in der Chefetage wechselt jedoch ausgesprochen häufig. Die Firmenkultur der MK-Kliniken gilt als ausgesprochen ruppig. Während anderswo Ex-Vorstände mit Millionensummen abgefunden werden, sehen sich mehrere Ex-Chefs der Kliniken mit Schadensersatzklagen in Millionenhöhe konfrontiert. Seit Jahren kritisieren Ex-Mitarbeiter den Führungsstil des Firmengründers. Tenor: Marseille herrsche über die MK-Kliniken absolutistisch wie ein Fürst über seinen Hofstaat und scheue sich nicht, Macht rücksichtslos durchzusetzen. Hinter dem Rücken werde er deshalb zuweilen „der weiße Hai“ genannt.
Vermutlich werden die Ermittlungen Marseille nicht nervös machen. Er hat in 30 Jahren Karriere viel erlebt, auch Rückschläge. Ein Versuch scheiterte, gemeinsam mit Donald Trump in Deutschland Hochhäuser zu bauen. Seine Leidenschaft als Pilot bekam 2001 einen Dämpfer, als beim Landeanflug das Fahrwerk der Cessna nicht einrastete. Die Maschine erlitt einen Totalschaden, Marseille überstand den Flugunfall und prahlte später, er sei gleich weiter zum nächsten Termin gefahren. Auch eine Bruchlandung in der Politik steckte er weg. Als Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Schill-Partei scheiterte er 2002 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt an der Fünfprozenthürde.
Nachtrag: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat das Ermittlungsverfahren gegen Ulrich Marseille mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
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