Niels Stolberg Haftstrafe mit Rabatt?

52 Verhandlungstage hat der 56-Jährige schon hinter sich.
Bremen Gebeugte Haltung, der schwarze Anzug hängt sichtlich zu groß an den Schultern, nur noch ein marineblauer Binder sendet einen letzten Funken Optimismus. Für Niels Stolberg, der an diesem Morgen zum 52. Mal vor der getäfelten Holzwand im Bremer Landgerichtssaal Platz nimmt, könnte es der vorletzte Verhandlungstag sein. Dazu aber müsste der 56-Jährige akzeptieren, dass er für drei Jahre und sechs bis neun Monate hinter Gitter geht.
Genau diesen Vorschlag hat dem Pleite-Reeder jetzt die Große Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Monika Schaefer unterbreitet. Stimmt der Ex-Chef der untergegangenen Schwerlast-Schiffsfirma Beluga bis zum 23. August zu, werden die bislang noch ungeklärten Betrugsvorwürfe zu den Akten gelegt.
Noch allerdings steht der Kompromiss, mit dem die Richterin einen der längsten Wirtschaftsprozesse in Bremens Geschichte abkürzen will, vor hohen Hürden. „Das Strafmaß ist überzogen“, poltert Verteidiger Bernd Groß, der seinem Mandanten weiterhin eine Bewährungsstrafe verschaffen will. Die Staatsanwaltschaft dagegen hatte zuletzt eine Haft von vier bis fünf Jahren gefordert.
So dramatisch wie der Gerichtsprozess waren auch Aufstieg und Fall des gebürtigen Niedersachsen aus Brake an der Unterweser. Der Sohn eines Schiffslotsen und einer Buchhändlerin hatte 1980 nach dem Abitur ein Fachhochschulstudium als Wirtschaftsingenieur gemeistert, war einige Jahre als Kapitän zur See gefahren und entschied sich dann 1995, eine Frachtvermittlung zu gründen.
Die Anfänge blieben bescheiden. Bis zu seinem ersten eigenen Frachtschiff sollte es noch drei Jahre dauern. Zu Beginn betrieb Stolberg die Beluga Shipping GmbH gemeinsam mit einem Kompagnon aus einer Zweizimmerwohnung auf der Bremer Weserhalbinsel Teerhof heraus. Einen Blick auf die unheilvolle Zukunft hätte der spätere Großreeder von hier aus schon werfen können: Seit Januar 2016 prüft das Bremer Landgericht, nur einen Steinwurf vom Teerhof entfernt, wie das maritime Wirken Stolbergs strafrechtlich zu bewerten ist.
Investiert in eine Nische
Schließlich verlief die Karriere des ehemaligen Seemanns ebenso rasant wie dubios. Während weltweit Reedereien das Wettrennen um immer größere Containerschiffe starteten, investierte Stolberg in eine Nische. Mit geborgtem Geld kaufte er sich eine Flotte von Schwergutfrachtern zusammen, die alles transportierten, was nicht in die Container passte: Turbinen, Brückenteile, Rotorblätter für Windkraftanlagen.
Das Geschäft schien zu florieren. Zuletzt steuerten 500 Mitarbeiter seiner neu errichteten Konzernzentrale in Bremen 72 Frachter. 1.500 Seeleute waren für Beluga auf den Weltmeeren unterwegs.
Ende 2007 glänzte Stolbergs Reederei, indem sie Frachter mit Zugdrachen bestückte, um den Spritverbrauch zu drosseln. Als sozial engagierter Entrepreneur gründete er in Thailand die Beluga School for Life, die Jugendlichen nach der Tsunami-Katastrophe Ausbildungschancen bot. Auf der Nordseeinsel Spiekeroog stieg er mit investierten 20 Millionen Euro nicht nur zum größten – und umstrittensten – Gastronomen auf. Sein „Künstlerhaus“ machte das kleine Eiland auch zum Treffpunkt illustrer Prominenz.
Das eigene Ansehen wuchs kräftig. Es verschaffte Stolberg einen Aufsichtsratsposten beim Fußball-Erstligisten Werder Bremen, schon 2006 ernannte ihn die Hansestadt zum „Unternehmer des Jahres“.
Geblieben ist dem Vater von vier Kindern von alldem nichts. 2011 folgte die Privatinsolvenz, die Ehe zerbrach, das Spiekeroog-Imperium kam unter den Hammer. Den inzwischen in Oldenburg lebenden Ex-Reeder ereilte zudem vor Monaten eine bedrohliche Krebserkrankung, die zeitweise auch den Prozess vor dem Bremer Landgericht gefährdete. Ein Luxus, der ihm blieb, ist die Verteidigung. Die erledigt die Frankfurter Kanzlei Feigen-Graf, die bereits Promis wie Uli Hoeneß oder Klaus Zumwinkel vor Gericht vertrat.
Herbeigeführt hat Stolberg seinen Abstieg selbst. Und zwar ebenso fantasievoll, wie er einst sein Imperium aufbaute. Nur eben nicht so clever. Als in der Finanzkrise 2008 die Aufträge ausblieben, schrieb sie sich der Reeder selbst – über fünf eigene Scheinfirmen aus Panama und von den Jungferninseln. Um 150 Millionen Euro soll er so den Umsatz aufgebläht haben. Sein Ziel: einen potenten Geldgeber an Bord zu holen, der ihm als Mitgesellschafter aus der Finanzklemme hilft.
Der schien im Oktober 2010 gefunden, als der Hedgefonds Oaktree mit 37,5 Prozent bei Beluga einstieg und einen Kredit über 160 Millionen Euro zusagte, zum Zinssatz von zwölf Prozent. Oaktree hatte Stolberg zusätzlich mittels der Orderbücher getäuscht, die er mit simpel kopierten Fälschungen um dreistellige Millionenbeträge aufblähte.
Überhöhte Preise
Das alles hat Stolberg inzwischen weitgehend gestanden. Hinzu kommt, dass die Reederei gegenüber dem neuen Investor Oaktree angeblich die Dieselbestände schönte. Oaktree erstattete 2011 Strafanzeige. Die juristische Aufarbeitung begann.
Dass Stolberg darüber hinaus bei der niederländischen Werft Volharding zu überhöhten Preisen vier Schiffe bestellte, um üppige Bankkredite zu ergattern, anschließend aber heimlich zehn Millionen Euro Kickback-Zahlungen kassierte, ist dabei nur noch eine Episode.
Die Frachter gab er schon während der Bauzeit überteuert an den Charterreeder Heino Winter weiter. Der sieht sich aber inzwischen nicht mehr betrogen, weil Beluga die Dampfer von ihm ebenfalls zu überhöhten Charterraten zurückmietete. Dieser Betrugsvorwurf könnte nun sogar, falls Stolberg einwilligt, zu den Akten gelegt werden.
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