Schwan-Stabilo-Kosmetik-Chef Karas Wie ein Kosmetikhersteller die Digitalisierung meistern will
Heroldsberg Die etwa zehn Meter lange Wand ist ein Mosaik aus 300 Farbpigmenten. Kosmetikstifte in rund 12.000 Farbnuancen wurden bereits aus Kombinationen dieser Farben entwickelt.
Und es geht weiter: Jedes Jahr entstehen rund 200 bis 240 neue Farbtöne. Denn an Kochtöpfen, in denen Chemielaboranten die Pigmente mit Wachs, Ölen und Pflegezusätzen aufkochen und dabei eine neue Rezeptur entwickeln, entstehen die Kosmetiktrends von morgen. Dort entstehen die Farben der Kosmetikstifte, die demnächst in den Drogerien, Parfümerien und Onlineshops erhältlich sein werden.
Vor den Toren Nürnbergs inmitten der grünen Hügel Heroldsbergs, auf denen manchmal die Schafe grasen, liegt ein Industrieunternehmen, das Millionen erwirtschaftet, in 70 Länder exportiert, dessen Produkte vermutlich bei jedem Schminkwilligen hierzulande in den Schubladen liegen – und das doch außerhalb der eigenen Branche keiner kennt: Schwan Cosmetics. Ein Kosmetikstifte-Zulieferer, der für nahezu alle großen Beauty-Marken Eyeliner, Abdeckstifte, Augenbrauenstifte oder Lipliner produziert, ohne dabei selbst als Marke gegenüber dem Endverbraucher aufzutreten.
Schwan Cosmetics gehört zur Schwan-Stabilo-Gruppe, die offiziell unter Schwanhäußer Industrie Holding firmiert und deren Farbstifte im Gegensatz zu den Beauty-Produkten sehr wohl markenprägend sind. Mit den drei Sparten Kosmetik, Schreibgeräte und Outdoor machte die Gruppe, die sich zu hundert Prozent in Familienbesitz befindet, 713,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2017. Rund die Hälfte davon, 364,7 Millionen Euro nämlich, entfällt auf die nahezu unbekannte Kosmetiksparte.
Trendgetriebenes Geschäft
Drei Etagen über den Produktionshallen hat Jörg Karas, der Geschäftsführer von Schwan Cosmetics, sein Büro. Der Chemiker führt die Unternehmenssparte seit 2014, zugleich ist er einer der drei Konzerngeschäftsführer.
Ins Unternehmen kam er 1999, als er gerade frisch promoviert war. Es folgte eine steile unternehmensinterne Karriere: Er übernahm nacheinander die Leitung der Fertigung, des Qualitätsmanagements, der Forschung in verschiedenen Produktgruppen. Anschließend ging er nach Brasilien und baute das Südamerikageschäft mit aus.
Jetzt steht der 48-Jährige an der Spitze des Unternehmens und muss ein klassisches Industrieunternehmen mit langer Tradition für das digitale Zeitalter fit machen und gleichzeitig bei seinen trendgetriebeneren Produkten dem Gesamtmarkt immer einen Schritt voraus sein. Um das zu bewältigen, ist er immer auf der Suche nach Ideen.
Kosmetik ist eine lukrative Branche – und wird immer lukrativer: Der Hype um Beauty-Influencer, die auf Youtube oder Instagram Schmink-Tutorials zeigen, hat dazu geführt, dass sich jüngere Leute heutzutage viel ausgiebiger schminken, als dies bei vorherigen Generationen der Fall war.
Wurden im Jahr 2011 hierzulande 1,4 Milliarden Euro mit dekorativer Kosmetik umgesetzt, waren es 2016 bereits 1,7 Milliarden. 2021 sollen es 2,1 Milliarden sein – in zehn Jahren ein Wachstum von 65 Prozent, wie das Statistikportal Statista prognostiziert.
Bei Körperpflege oder Parfüm liegt das prozentuale Wachstum dagegen im unteren ein- bis zweistelligen Bereich. Durch die Möglichkeiten des E-Commerce hat zudem mittlerweile jeder die Möglichkeit, seine eigene Kosmetiklinie zu entwickeln und im Internet zu vertreiben. Bei einem großen Filialisten gelistet zu werden ist nicht mehr nötig; die Produktion übernehmen ohnehin Unternehmen wie Schwan.
„Es gehört zu den Aufgaben des Lieferanten, uns bei der Umsetzung von Kosmetiktrends zu unterstützen und passende Produkte und Lösungen anbieten zu können“, sagt Mathias Delor, Geschäftsführer des Kosmetikunternehmens Cosnova, zu dem die Marken Essence und Catrice zählen und das auf der Kundenliste von Schwan Cosmetics steht.
„Als Chemiker stellt er die richtigen Fragen“, sagt eine Mitarbeiterin über Karas. Und Kunde Cosnova bescheinigt: „Der Geschäftsführer hat die richtige strategische Sicht auf das Unternehmen und dabei das nötige Fingerspitzengefühl, um Strategie und Bodenständigkeit miteinander zu verbinden. Ihm ist klar, dass Tradition alleine nicht reicht, um zukunftsfähig zu bleiben.“
Denn die Kosmetiksparte des Schwan-Stabilo-Konzerns ist nicht etwa ein neues Geschäftsfeld, sondern wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aufgebaut. Zwei Weltkriege zerstörten zwischenzeitlich das Geschäft – und trotzdem ging es wieder weiter. „Jede Generation hat eine Aufgabe“, sagt Karas.
Die vorherigen Generationen mussten profitable Betriebe aus den Trümmern wiederaufbauen, seine Generation muss die Digitalisierung stemmen. Etwas, bei dem niemand richtig einschätzen kann, wohin und in welchem Tempo es sich entwickelt. Doch kein Grund zu verzagen: „Eine unberechenbare Welt bietet große Chancen“, so das Motto des Geschäftsführers.
Die C-Suite als Ideengeber
Karas ist viel unterwegs: Vorträge, Konferenzen, Meetings zu dem Thema Digitalisierung – er ist gerne dabei. Besonders viel Inspiration holte er sich auf der Handelsblatt-Veranstaltung C-Suite, die einmal jährlich stattfindet und sich als Zukunftswerkstatt versteht. Das Ziel: Aus den Erfolgsgeschichten der anderen zu lernen und so neue Impulse für die eigene Unternehmungsführung zu gewinnen.
Zweimal war Karas Teilnehmer, in diesem Jahr ist er einer der Referenten und erzählt, wie er Schwan Cosmetics umkrempelt. Zum Beispiel: ein hoher Anteil an Anschubinvestitionen, um neue Kosmetiktrends zu setzen. Veranstaltungen wie ein Beauty-Hackathon, bei dem junge Menschen für zwei Tage zusammensitzen und sich die Zukunft der Kosmetik ausmalen.
Ein Mitarbeiter in Berlin, der dort in einem Start-up-Bürokomplex sitzt und neue Kontakte aufbaut. Elf Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen, die eine Ausbildung zum Digital-Transformation-Manager absolvierten und jetzt ein Start-up-Gefühl ins Unternehmen bringen sollen.
Das alles soll helfen, die digitale Transformation voranzutreiben – in diese unbekannte Zukunft mit Produkten wie dem Smart Mirror, einem digitalen Spiegel, der potenzielle Makel erkennt und gleich erklärt, wie man diese überschminkt. Mit Big Data in der Produktion, 3D-Druckern. „Man muss sich davon lösen, eine sich schnell verändernde Welt als Bedrohung zu sehen“, sagt Karas. Stattdessen solle man lieber mit offenen Augen durch sie gehen – und sie entdecken.
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