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Serie: Ostdeutsche Erfolgsgeschichten Wie der Rasierpinsel-Hersteller Mühle seine Nische erobert hat

Das Familienunternehmen stellt seit 1945 Rasierpinsel her. Die Marke bedient erfolgreich die Trends Nachhaltigkeit und Achtsamkeit.
07.08.2020 - 04:00 Uhr Kommentieren
Die Brüder eint eine klare Arbeitsteilung, die auf ihren unterschiedlichen Mentalitäten und Kenntnissen basiert. Quelle: Amac Garbe
Christian (r.) und Andreas Müller

Die Brüder eint eine klare Arbeitsteilung, die auf ihren unterschiedlichen Mentalitäten und Kenntnissen basiert.

(Foto: Amac Garbe)

Stützengrün In Stützengrün, dieser 3500-Einwohner-Gemeinde im Erzgebirge mit dem 815 Meter hohen Kuhberg, liegen Vergangenheit und Zukunft unter einem Dach, jedenfalls am Stammsitz des Familienunternehmens Mühle. Die moderne Firmenzentrale aus viel Glas und schwarzen Kunststoffplatten beherbergt nicht nur die Büros und Fertigungsstätten, sondern auch einen historischen Herrenfriseursalon mit rund 2000 liebevoll gesammelten Utensilien und Details aus den 1930er-Jahren.

In einer Glasvitrine steht etwa eine Barttasse. Sie ist aus feinstem Porzellan, und sie besitzt innen einen horizontalen Steg, der verhindert, dass der Trinkende seinen Schnurrbart ins Getränk taucht. „Zu Kaisers Zeiten sehr beliebt“, kommentiert Andreas Müller und nimmt die Tasse in die Hand. Bei ihm selbst ergibt sie keinen Sinn. Er ist glatt rasiert. Und dennoch liest er voller Ehrfurcht den Tassensatz in Sütterlin vor: „Es ziert der Bart gar sehr den Mann, drum schont man ihn, so viel man kann.“

Um mehr oder weniger geht es nicht in dieser Unternehmensgeschichte: Um den Mann und seinen Bart – und das seit 75 Jahren. Andreas Müller führt gemeinsam mit seinem Bruder Christian (48) in dritter Generation die Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG, besser bekannt durch die Marke „Mühle“ und den Zusatz „Rasurkultur“.

Das Herzstück der Produktion ist nach wie vor der Rasierpinsel. Er wird von Hand gefertigt, seit 2011 zunehmend aus einer synthetischen Faser, die den echten Dachshaaren nach Unternehmensangaben in der Funktion überlegen ist. Auch Rasierhobel und Rasierer werden manuell gefertigt, Letztere auch mit Klingen von Gilette. Eigene Rasierseifen und Aftershave-Lotions ergänzen das Sortiment.

Ihr Unternehmen ist eine jener kleinen Erfolgsgeschichten, die Altkanzler Helmut Kohl wohl meinte, als er in der deutschen Wendezeit die „blühenden Landschaften“ in Aussicht stellte. Und es ist eine Erfolgsgeschichte, die nicht nur die DDR und die schwierige Nachwendezeit überlebte, sondern nun auch die Coronakrise.

„Es war wie eine Achterbahnfahrt“, erzählt Andreas Müller, mit 44 Jahren der jüngere der beiden Brüder. „Im April brachen unsere Umsätze um 25 Prozent ein. Und wir hielten die Luft an. Seit Mai verzeichnen wir aber eine überproportionale Nachfrage. Wir sind deshalb zuversichtlich, auch dieses Jahr wieder mit rund 15 Prozent zulegen zu können.“

Neustart nach dem Rückschlag

Müller, der einst aus Stützengrün ausgezogen war, um Theologie zu studieren, erzählt das in einem ruhigen Ton. So wie er im April nur die Luft angehalten haben mag, so gerät er aktuell auch nicht in Euphorie. Dafür war die Firmengeschichte von Mühle wohl zu extrem, dafür haben er, sein Bruder, und ihr Vater wohl schon zu viele Tiefs er- und überlebt.

Ihr Großvater Otto Johannes Müller hatte die Manufaktur 1945 erst gegründet und etabliert, da brannte sie 1949 ab. Der Mut der Verzweiflung ließ ihn neu starten. Mit Erfolg. Nach seinem frühen Tod übernahm sein Sohn Hans-Jürgen das Geschäft und formte in den 1960er-Jahren einen mittelständischen und international erfolgreichen Betrieb.

Im Jahr 1973 wurde die Firma schließlich verstaatlicht. Die Müllers verließen das Unternehmen, sie wussten nicht, für wie lange. Direkt nach der deutschen Wiedervereinigung kehrten sie zurück. Hans-Jürgen Müller löste die Manufaktur aus dem volkseigenen Betrieb heraus und baute sie wieder auf. Aus 30 Mitarbeitern wurden erst vier. Heute sind bei Mühle wieder 80 Menschen beschäftigt.

Die wechselvolle Geschichte hat die Müllers geprägt. Ihr Ziel ist auch vor diesem Hintergrund nicht das Höher, Schneller, Weiter. „Wir möchten nicht um jeden Preis wachsen“, sagt Müller und fährt fort: „Wir möchten in erster Linie aus einer lästigen Pflicht, der täglichen Rasur, ein schönes Alltagsritual machen.“ In ihrer Nische hätten sie es sich gut eingerichtet. Zur Hardware, den Rasierpinseln und Rasierern, gehöre inzwischen auch die Software, die eigene Pflegeserie.

„Wir haben in den vergangenen zehn Jahren natürlich auch stark von einer neuen Bartkultur profitiert, die sich etwa in den Barbershops niederschlägt. Der deutsche Mann hat sich selbst entdeckt und gönnt sich jetzt auch Pflegeprodukte“, sagt Andreas Müller.

Das Herzstück der Produktion wird nach wie vor von Hand gefertigt. Quelle: Mühle
Mühle-Rasierpinsel

Das Herzstück der Produktion wird nach wie vor von Hand gefertigt.

(Foto: Mühle)

13 Millionen Euro Umsatz haben sie eigenen Angaben zufolge im vergangenen Jahr gemacht. Ihr Portfolio reicht von Einsteigersets für unter 100 Euro bis zu exklusiven Serien wie der, die sie gemeinsam mit der Porzellanmanufaktur Meissen designt haben. 70 Prozent ihres Umsatzes erzielen sie inzwischen im Ausland.

Ihre Produkte gibt es bei ausgewählten Barbieren, Parfümerien, in Unverpacktläden sowie im eigenen Onlineshop zu kaufen. Zudem betreiben die Müllers in Berlin und London zwei eigene Geschäfte sowie den Onlineshop Heldenlounge.de, in dem sie auch andere Männerpflegeprodukte vertreiben.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) kennt das Familienunternehmen Mühle. Er sagt auf Nachfrage: „Andreas Müller ist für mich ein sympathischer Machertyp, der die große Tradition seines Familienunternehmens in eine moderne Manufaktur transformiert hat. Er ist für mich die beste Verbindung zwischen Tradition und Zukunft, zwischen traditionellem Handwerk und Innovation.“

Die Müller-Brüder eint eine klare Arbeitsteilung, die auf ihren unterschiedlichen Mentalitäten und Kenntnissen basiert. Andreas Müller, der Jüngere und Theologe, ist eher der, der neue Dinge anstößt, sich für Design interessiert, viel unterwegs ist und Menschen trifft. Er ist denn auch in der Geschäftsführung für Entwicklung und Marketing zuständig. Christian, Bürsten- und Pinselmacher-Meister und fortgebildeter Kaufmann, verantwortet Einkauf und Produktion. Er vertieft sich gern in Excel-Dateien und steuert das Tagesgeschäft im Betrieb.

Hohe Fertigungstiefe

„Sie sind ein kongeniales Team“, sagt Mark Braun. Der Designer mit eigenem Studio in Berlin arbeitet seit Jahren mit den Müllers zusammen. Inhaltlich lobt er die „sehr konsequente Markenführung“. „Die Müllers bringen nicht jede Saison ein neues Produkt auf den Markt. Sie machen lieber alles einfach immer noch besser.“ Sie agierten weniger gewinnorientiert, mehr ganzheitlich.“ Im persönlichen Umgang schätzt er ihre „hohe Verbindlichkeit und Empathie“. „Was abgesprochen war, gilt. Sie folgen natürlich ihren eigenen Interessen, bedenken dabei aber auch die ihrer Geschäftspartner.“

Wie es sich für eine Manufaktur gehört, ist die Fertigungstiefe der Müllers sehr hoch. „Wir machen möglichst viel selbst“, sagt Müller. Dabei profitieren sie von modernster Technik wie einer eigenen CNC-Anlage, ihrem regionalen Umfeld und seit 2011 auch von eigens entwickelten synthetischen Fasern, die die echten Dachshaare zunehmend ersetzen.

Das Erzgebirge ist schließlich eine traditionelle Hochburg der Pinsel- und Bürstenindustrie und auch stark in der Feinmechanik. Fachkräftemangel herrscht dort eher nicht, die Randlage in Deutschland ist für Mühle deshalb „eher Vor- als Nachteil“.

Das Signet „Handmade in Germany“ wird ergänzt durch eine nachhaltige Strategie. Die Produktion läuft mit Ökostrom, die Waren sind minimal und nur in Papier verpackt, und die Führungsphilosophie von Andreas Müller könnte aus einem Managementlehrbuch stammen. Tut sie aber nicht. Sie spiegelt seine theologische Ausbildung wider. „Wir dürfen nicht uns selbst oder unsere Mitarbeiter unser Druck setzen. Das macht uns alle fertig. Und: Man kann nichts geben, was man nicht selbst empfängt.“ Anders als bei vielen Topmanagern klingen die Worte glaubhaft.

Müller argumentiert mit nichts Geringerem als dem Evangelium. „Der erste Tag der Woche ist nicht der Montag. Der erste Tag der Woche ist der Sonntag. Wir beginnen die Woche also mit dem Innehalten und Ausruhen.“ Eine Lebens- und Arbeitseinstellung, die sicherlich auch beim Rasieren hilft: mit klarem Kopf und ruhiger Hand gelingt es besser.

Familienunternehmen sind in den neuen Bundesländern eine feste Größe. Dort wirtschaften mit 92 Prozent sogar mehr als in den alten Bundesländern. Das Handelsblatt präsentiert in Kooperation mit der Stiftung Familienunternehmen bis zum 2. Oktober zehn Erfolgsgeschichten. Die einzelnen Serienteile sowie Hintergründe finden Sie hier.

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