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Serie: Unternehmerinnen weltweit Constanza Levicán: „Warum ich heute nicht mehr mit einer Praktikantin verwechselt werde“

In Chile hat in den vergangenen Jahren ein rasanter Wandel stattgefunden. Nun gehört das Land zu den Ländern mit den meisten Gründerinnen weltweit.
10.10.2021 - 18:42 Uhr Kommentieren
Mit ihrem ersten Start-up ist Constanza Levicán zwar gescheitert, doch sie hat nicht aufgegeben und gehört heute zu den bekanntesten chilenischen Gründerinnen in einer Zukunftsbranche.
Gründerin Constanza Levicán

Mit ihrem ersten Start-up ist Constanza Levicán zwar gescheitert, doch sie hat nicht aufgegeben und gehört heute zu den bekanntesten chilenischen Gründerinnen in einer Zukunftsbranche.

Salvador Der erste Versuch von Constanza Levicán, eine selbst entwickelte technologische Innovation zu kommerzialisieren, ging schief. Das war vor vier Jahren. Die Elektroingenieurin hatte mit Studienkollegen von der renommierten Universidad Católica, also der katholischen Universität in Santiago, ein Warnsystem für Waldbrände entwickelt.

Das Andenland leidet unter zunehmender Trockenheit, Brände bedrohen die wichtige Landwirtschaft und den Weinbau. Dazu kombinierte sie mit ihrem kleinen Team Nasa-Satellitenaufnahmen und Wetterprognosen mit Künstlicher Intelligenz, um punktgenau vor Waldbränden zu warnen.

Die Simulation funktionierte – doch es fand sich niemand, der bereit war, in die weitere Entwicklung zu investieren. „Wir haben zuerst entwickelt und uns dann überlegt, wie wir das verkaufen können“, sagt Levicán. Das würde sie heute anders machen: „Entwicklung, Marketing und Verkauf müssen von Anfang an parallel stattfinden.“

Sie weiß, wovon sie spricht: Mit Suncast hat sie inzwischen ein Start-up gegründet, das die Produktivität von Solaranlagen durch die Datenanalyse steigert. Sie verknüpft Klimaprognosen mit den Produktionsdaten der Solarparks, um genauer vorhersagen zu können, wie viel Strom die Module jeden Tag liefern werden.

„Wenn sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, sinkt die Produktion“, sagt Levicán. Für die Stromhersteller sind verlässliche Prognosen elementar. Auch errechnet Levicán anhand der Regenfälle und des Staubaufkommens, wann die Module gesäubert werden müssen. Bei Laufzeiten von mehr als 20 Jahren sind das wichtige Kostenfaktoren.

Nach zwei Finanzierungsrunden mit Chile Global Ventures und Fundación Chile, die jeweils mit einer Minderheitsbeteiligung eingestiegen sind, hat die inzwischen 27-Jährige rund ein Viertel der Sonnenkollektoren Chiles unter Vertrag. Zuletzt gewann sie ein Großprojekt mit ABB. Außerdem wurde Suncast für die Teilnahme an der Expo in Dubai ausgewählt. Ihr Vorteil: Sie ist in einem echten Zukunftsfeld der Region unterwegs. Das Wachstum der erneuerbaren Energien ist rasant, die Prognosen sind kühn.

Chile will einer der führenden Lieferanten für grünen Wasserstoff weltweit werden

Chile nutzt seine sonnenreiche Atacama-Wüste und das windreiche Patagonien, um bald nachhaltigen Strom in großen Mengen zu produzieren. Chile will einer der führenden Lieferanten für grünen Wasserstoff weltweit werden, gewonnen aus Energie, für die keine Treibhausgase freigesetzt wurden. Doch Levicán will mehr: Sie hat bereits Aufträge für Sonnenparks in Mexiko. Jetzt entwickelt sie ihre Technologie weiter, damit sie auch für Windparks nutzbar sind.

Da sie in Lateinamerika vor allem mit europäischen Energiemultis zusammenarbeitet, expandiert sie jetzt auch nach Europa. Mit der Technischen Universität München sowie dem Karlsruher Institut für Technologie passt sie gerade ihr Modell an die europäischen Normen an, um auch diesen Energiemarkt besser zu verstehen. Deutschland sei als ein Pionier der Nachhaltigkeit weltweit führend, erklärt sie ihren Fokus auf Deutschland. Diese enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Unternehmen, wie sie in Deutschland bestehe, vermisst die Gründerin in Chile.

Levicán ist inzwischen in Chiles Unternehmerlandschaft bekannt. Sie ist im Zukunftsfeld erneuerbare Energien eine wichtige Ansprechpartnerin auch für die Medien geworden. So wurde sie beim chilenischen Fernsehkanal La Red als Expertin befragt. Früher wurde sie wegen ihres jugendlichen Aussehens häufiger als Praktikantin statt als Unternehmerin begrüßt. Das kommt aufgrund ihrer Bekanntheit mittlerweile nur noch selten vor.

Levicán ist, wie sie selbst sagt, in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater, ein Philosophie-Lehrer, habe sie immer zum Denken angeregt, konnte sie aber nicht ausreichend unterstützen. Sie brauchte Stipendien, um sich sowohl die Schule als auch die renommierte Universität leisten zu können.

Vor allem in der traditionell männerdominierten Energiebranche fiel die damalige Studentin mit Helm und aufgeschlagenem Notebook inmitten von Technikern und Ingenieuren auf. Dabei sind im Andenland Frauen in der Start-up- und Gründerinnenszene deutlich stärker vertreten als im Durchschnitt der OECD-Länder.

Im Start-up-freundlichen Chile ist der Anteil an Erfinderinnen mit 27 Prozent weltweit am höchsten unter den OECD-Ländern. Zum Vergleich: In Deutschland werden gerade mal sieben Prozent der Erfindungen von Frauen angemeldet.

Auch bei den Soloselbstständigen liegt Chile mit einem Anteil von 20 Prozent Frauen weltweit in Führung. In Deutschland sind es gerade mal vier Prozent. Das lasse sich zum Teil damit erklären, dass alleinerziehende Mütter in Ländern wie Chile mit einem großen informellen Sektor selbstständig würden, weil sie keine andere Wahl hätten, um ihre Existenz zu sichern, erklärt Levicán. Andererseits liegt auch die Quote der Unternehmerinnen, die Angestellte beschäftigen, mit 2,4 Prozent knapp über der in Deutschland (2,2 Prozent).

„Diversität ist Alltag geworden“

Der hohe Frauenanteil in Chiles Wirtschaft ist neu. Bis vor Kurzem galt die Unternehmerschaft des Landes auch innerhalb Südamerikas als besonders konservativ. „Doch Chiles Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren einen riesigen Sprung gemacht“, beobachtet Tina Rosenfeld, die in mehreren Aufsichtsräten sitzt und Chile Global Angels führt, also Investoren leitet, die in Start-ups investieren. Als sie vor 25 Jahren nach Chile kam, seien Unternehmer fast durchweg politisch rechts gewesen. „Das ist heute völlig anders, Diversität ist Alltag geworden.“

Wie anstrengend jedoch dieser gesellschaftliche Wandel ist, das hat Levicán selbst erlebt. Sie wurde vom Energieministerium als jüngstes Mitglied in ein staatliches Komitee berufen. Die Mitglieder kümmern sich um Anpassungen der Regulierung im Energiemarkt. „Alle zwei Wochen sind wir jeden Punkt des Regelwerkes durchgegangen und haben stundenlang diskutiert, bis wir einen Konsens gefunden haben.“ Viele Mitglieder in dem Komitee hätten überhaupt das erste Mal über soziale Dimensionen der Energiepolitik debattiert. „Statt über technische Details wie Kabelgrößen haben wir den Zugang zu Strom für alle Gesellschaftsschichten erörtert“, sagt Levicán. Inzwischen sei es auch in Chile Konsens, dass Energiepolitik nicht nur technisch diskutiert werden dürfe, sondern dass es dabei auch um Bürgerrechte gehe.

Im Prinzip hat Levicán das bereits erlebt, was die chilenische Gesellschaft gerade mit dem Verfassungskonvent durchführt: Da verhandeln 155 Gewählte bis mindestens Mitte nächsten Jahres über ihre neue Verfassung. Jeder Artikel muss mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden. Der Druck zu einer Veränderung hat sich in den vergangenen Jahren aufgestaut, in denen Chile immer liberaler geworden ist.

Für die Start-up-Investorin Rosenfeld ist Levicán eine Vertreterin der zweiten Gründerinnen-Generation des Landes. „Ich bewundere sie für ihre Offenheit, dass sie von Anfang an über die Grenzen hinaus nach Europa schaut.“ Viele Vertreter der traditionellen Elite kämen gar nicht auf die Idee.

Für Levicán gibt es dazu keine Alternative: Statt nur Rohstoffe wie Kupfer zu verkaufen, hätte Chile mit dem Energiewandel nun die einzigartige Gelegenheit, Wissen und Dienstleistungen zu exportieren. „Diese historische Chance müssen wir nutzen.“

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