Tisenkopfa-Iltnere: „In Lettlands Kultur sind Paare lange gleichgestellt“
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Serie: Unternehmerinnen weltweitLettische Star-Unternehmerin: „Bei uns dauert die Gründung rund zehn Minuten“
Lotte Tisenkopfa-Iltnere war mit dem Thema Nachhaltigkeit ihrer Zeit voraus. Das erschwerte zunächst die Gründung ihrer Kosmetikfirma. Inzwischen ist sie der Stolz des Landes.
„Klar, es gibt auch bei uns Geschlechterrollen. Aber vielleicht nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Ländern.“
Foto: PR
Stockholm „Ein Hautpflegeprodukt muss so gut sein, dass man es auch essen könnte“ – die Lettin Lotte Tisenkopfa-Iltnere weiß, wovon sie spricht. Im Teenageralter reagierte ihre Haut allergisch auf einige Kosmetika. Es gab Unverträglichkeiten mit chemischen Substanzen, die in fast allen kosmetischen Produkten zu finden sind.
Da sich die Lettin gleichzeitig für gesunde Lebensmittel, Umweltschutz und „ganz generell für Nachhaltigkeitsfragen“ interessierte, entstand die Idee, zusammen mit ihrer Schwester und einigen Freundinnen ein Unternehmen für nachhaltige Kosmetika zu gründen.
Zuvor musste Tisenkopfa-Iltnere aber noch intensiv recherchieren und Fachpersonal anheuern. „Wir waren ganz einfach verrückte junge Girls“, erinnert sie sich an die Geburtsstunde von Madara Cosmetics. Vor nunmehr fast genau 15 Jahren startete das Unternehmen in Marupe, einem Vorort der lettischen Hauptstadt Riga. Die Anfangsjahre waren schwierig, räumt die Gründerin ein.
„Ich wollte organische Hautpflegeprodukte entwickeln, es war ein persönliches Interesse“, sagt die heute 38-Jährige im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Ich interessierte mich für nachhaltiges Leben, lange bevor das Thema auf die Tagesordnung kam.“ Das sei nicht immer einfach gewesen, schmunzelt sie. „Meine Familie brachte ich manchmal zum Wahnsinn mit all meinen Forderungen in Bezug auf Ernährung, Umweltbewusstsein und so weiter.“ Aber die resolute Lettin setzte sich durch, bekam sogar Hilfe von der Familie beim Aufbau der damals noch kleinen Firma.
Mittlerweile führt Tisenkopfa-Iltnere ein erfolgreiches Unternehmen mit 160 Mitarbeitern. Madara entwickelt, produziert und vertreibt von organischer Mascara über Hautpflegeprodukte und Lippenstifte die gesamte Palette moderner Kosmetik- und Körperpflegeprodukte bis zu Shampoos und Babycremes.
Doch sie hat ihr Geschäftsmodell längst weiterentwickelt. Denn Madara bietet anderen Unternehmen die Möglichkeit, eine eigene Beauty-Marke zu starten. Eine Tochtergesellschaft von Madara übernimmt die Auftragsfertigung. „Wir haben eine der modernsten Fabriken in Nordeuropa“, berichtet Gründerin Tisenkopfa-Iltnere stolz.
Madara ist inzwischen in 26 Ländern aktiv
Ihr Unternehmen ist mittlerweile in 26 Ländern aktiv – zumeist mit eigenen Tochtergesellschaften. Dazu kommt der globale Onlineshop. Im vergangenen Jahr machte Madara 16 Millionen Euro Umsatz – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von knapp 40 Prozent. Das ist im Vergleich zu den ganz Großen der Branche immer noch nicht viel, gibt auch die Unternehmerin zu. Aber sie sieht deutliches Aufwärtspotenzial. Der Gewinn stieg gegenüber 2019 sogar um 120 Prozent.
Und das Unternehmen ist der ganze Stolz des kleinen baltischen Landes. Die lettische Ausgabe des Magazins „Forbes“ wählte Tisenkopfa-Iltnere zu den zehn erfolgreichsten Unternehmerinnen des Landes. „Als Madara startete, wollten alle hier arbeiten“, erzählt eine Mitarbeiterin. „Es war ganz schön schwierig, einen Job bei denen zu bekommen.“
Dass aller Anfang schwer ist, kann Tisenkopfa-Iltnere bestätigen. „Wir begannen mit ganz wenig Geld“, erinnert sie sich. Auf die Frage, ob es staatliche Hilfen gab, antwortet sie, es habe ein Unterstützungsprogramm für Entrepreneurinnen gegeben, „sodass wir die erste Laborausrüstung kaufen konnten“.
Serie: Unternehmerinnen weltweit
Noch immer gibt es weltweit weniger Unternehmerinnen als Unternehmer. In einigen Ländern aber liegt der Anteil über dem Schnitt der OECD-Länder. Unsere Korrespondenten spüren ihre Geschichten auf und analysieren die Gründe, warum es dort mehr Frauen gibt, die ihr eigener Chef sind, als in Deutschland.
Trotz einer höheren Gründerinnenquote haben es Frauen in Mexikos Wirtschaft noch immer schwer. Gabriela León hat es mit viel Durchhaltevermögen dennoch geschafft.
Israel gehört zu den Ländern mit den meisten Gründerinnen im OECD-Vergleich. Eynat Guez ist die erfolgreichste Unternehmerin in der israelischen Start-up-Szene.
Nach ihrem Abgang bei Tinder startete Whitney Wolfe Herd mit ihrer Dating-App Bumble erst so richtig durch – und wurde zu einer der wenigen Selfmade-Milliardärinnen in den USA.
Lotte Tisenkopfa-Iltnere war mit dem Thema Nachhaltigkeit ihrer Zeit voraus. Das erschwerte zunächst die Gründung ihrer Kosmetikfirma. Inzwischen ist sie der Stolz des Landes.
Kristel Groenenboom übernahm mit 23 Jahren das Familienunternehmen ihres Vaters. Das ist lange her, doch noch immer fällt es manchen Männern schwer, sie als Unternehmerin zu akzeptieren.
Zudem haben sich in den vergangenen Jahren mit den „Riga Tech Girls“, dem „SheXo Club Latvia“, der Beratungsfirma Deloitte und der Vereinigung „Lidere“ mehrere Organisationen herausgebildet, die Frauen bei der Gründung eines Unternehmens helfen.
Im SheXo Club treffen sich regelmäßig rund 40 Managerinnen und Firmengründerinnen, tauschen Erfahrungen aus und geben auch Frauen Tipps, die vor der Firmengründung stehen. Die Riga Tech Girls vermitteln Mentorinnen und Mentoren aus dem In- und Ausland und bieten Onlinekurse vor allem im IT-Bereich an. Lidere unterstützt Unternehmerinnen durch Mentoring. Die Bedingungen für Firmengründerinnen sind insgesamt also nicht schlecht im kleinen Lettland mit seinen nur 1,9 Millionen Einwohnern.
In Lettland gibt es für Unternehmen weniger Regulierungen
Dennoch unterstreicht die Madara-Gründerin: „Du musst selbst die Initiative ergreifen, aber die Unterstützung durch die Regierung war anfangs wichtig.“ Nach einer Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Lettland auf dem sechsten Platz der Länder mit den meisten Gründerinnen.
11,3 Prozent aller Unternehmen wurden dort von Frauen gegründet. Deutschland kommt mit 5,3 Prozent nur auf den 19. Platz. Joachim Veh von der deutsch-baltischen Handelskammer in Riga wundert das nicht. „Dass in Lettland mehr Frauen als Unternehmerinnen oder in leitenden Positionen arbeiten, hat wohl eher historisch-kulturelle Hintergründe“, sagt er. „Während der Sowjetzeit gab es kaum klassische Frauen- und Männer-Jobs.“
Auch die Rolle einer „Hausfrau“ war während der sowjetischen Besatzung politisch nicht gewünscht. Tisenkopfa-Iltnere kann das bestätigen. Der Erfolg vieler Frauen sei in der lettischen Kultur begründet, sagt sie. „Seit Langem sind Paare bei uns gleichgestellt. Mann und Frau sind Partner. Klar, es gibt auch bei uns Geschlechterrollen. Aber vielleicht nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Ländern.“ Sie selbst geht mit gutem Beispiel voran: Die dreifache Mutter und Firmenchefin engagiert sich in ihrer knappen Freizeit in einer NGO gegen häusliche Gewalt und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung.
Die Madara-Gründerin sieht auch noch einen anderen Grund, warum Lettland vergleichsweise viele Unternehmensgründerinnen hat. „In Lettland ist es einfach, ein Geschäft aufzubauen“, sagt sie. Die Verwaltung sei nicht überbürokratisiert, nicht überreguliert. „Man kann vieles digital machen.“ Ähnlich wie beim Nachbarn Estland kann ein neues Unternehmen binnen weniger Minuten online registriert werden. „Hier bei uns dauert es rund zehn Minuten“, lacht sie.
Kann Deutschland etwas von Lettland lernen? „Wir haben in mehreren europäischen Ländern Tochtergesellschaften. Deshalb habe ich den Vergleich: Es gibt in Lettland für Unternehmen weniger Regulierungen“, erklärt sie. In Deutschland müsse sie bei behördlichen Dingen immer noch persönlich vorsprechen, also vor Ort sein. „Dazu kommt der ganze Papierkram. Das ist schon alles sehr komplex.“ Andererseits: „Sobald man das System in Deutschland verstanden hat, kann man sich darauf verlassen, dass es auch funktioniert.“
Tisenkopfa-Iltnere, die zwischenzeitlich im japanischen Osaka asiatische Kultur und Wirtschaftsmanagement studiert hat, wünscht sich, dass junge Menschen bereits in der Schule mehr über Wirtschaft und wirtschaftliche Zusammenhänge lernen. „Da ist auch hier in Lettland noch Luft nach oben.“
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