Wie Vok Dams mit Grohe das Netflix der Eventbranche aufbaut
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Vok DamsEin Veranstalter und ein Sanitärausrüster wollen gemeinsam die Eventbranche digitalisieren
Die Agentur Vok Dams hat sich radikal digitalisiert. Das Vorzeigeprojekt mit Sanitärausrüster Grohe vergleich sich gar mit Netflix – und findet Interessenten.
„Entdecken Sie die Zukunft schon heute“: Unter diesem Motto hat die Grohe-Mutter Lixil im März die digitale Erlebnisplattform Grohe X gestartet.
(Foto: obs)
Düsseldorf Die Ablösung des alten Geschäftsmodells seiner Firma nimmt Colja Dams stoisch lächelnd hin. Der 49-Jährige ist CEO des Event-Spezialisten Vok Dams, der über Jahre steigende Umsätze verzeichnen konnte. Das erste Jahr der Coronakrise hat das gesamte Marktumfeld verändert – fast alle Veranstaltungen wurden ins Netz verlegt. Beinahe täglich stornierten Kunden des Familienbetriebs Aufträge.
„Im vergangenen Sommer war uns klar, dass wir unser Geschäftsmodell ändern mussten“, erzählt Dams, der das Unternehmen in zweiter Generation seit 1997 führt. Gegründet hatte es sein Vater Volkwart– Rufname Vok – im Jahr 1975. Damit gilt Vok Dams als Urgestein der Eventbranche. Im ersten Coronajahr half Tradition nichts, der Umsatz ging um zehn Prozent auf 45 Millionen Euro zurück.
Der Firmenchef nahm die Herausforderung an. Vok Dams hat sich in den vergangenen zwölf Monaten als Spezialist für digitale Events positioniert. Rund 400 dieser Veranstaltungen hat das Unternehmen bisher gestemmt. Besonderes Augenmerk bekam ein Projekt: Acht Monate lang arbeitete Vok Dams an der Digitalplattform Grohe X, mit der der Sanitärausstatter einen gänzlich neuen Weg in Sachen Kundenansprache gehen will.
„Wir nennen es das Netflix der Sanitärbranche“, preist Firmenchef Dams sein neues Kundenprojekt an. Tatsächlich ist das Plattformprinzip dahinter auch die Basis des erfolgreichen Streamingdienstes. Grohe X bietet Inhalte über das Unternehmen und die Marke an. Es ist Showroom, Ratgeber und Kontaktplattform zugleich.
Das Programm sieht je nach Zielgruppe anders aus: Ein Architekt bekommt andere Inhalte angezeigt als ein Handwerker, ein Journalist andere als ein Großkunde. Der Handwerker will beispielsweise schnell herausfinden, wie eine bestimmte Badarmatur installiert wird, ein Großkunde will ein Gefühl für die Vision des CEOs bekommen. Und der Architekt wiederum will sehen, wie die Armaturen in einer 360-Grad-Optik im Raum wirken.
Möglich wurde die Plattform durch eine Kooperation von Vok Dams mit dem Tech-Konzern IBM. Mit der Architektur der IBM-Cloud können die Eventmanager Daten und Technologien nutzen, die auf unterschiedlichen Plattformen betrieben werden.
Mit der cloudbasierten KI-Plattform, die IBM Watson Media entwickelt hat, läuft das Angebot nach Angaben Vok Dams extrem stabil. Zeitgleich könnten Zigtausende Nutzer auf die Inhalte zugreifen. Auch die Oberflächengestaltung, das User-Interface, weist Ähnlichkeiten zu Netflix’ Oberfläche auf.
Plattform ersetzt Branchenleitmesse
„Grohe X ist ein sehr innovativer Weg“, findet Dirk Hagen, Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Eventmanagement an der Berlin University of Applied Sciences. „Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Firmenplattform Schule macht.“ Gerade wenn Events digitalisiert werden, müsse man sich etwas Neues ausdenken, statt Eins-zu-eins-Übertragungen der Inhalte zu machen, erklärt Hagen.
Der Badeinrichter selbst schwärmt, es sei mehr als nur ein Ersatz für die Teilnahme an der Branchenmesse ISH, der Leitmesse für Wasser, Wärme und Klima in Frankfurt. Die Messe war schließlich der Auslöser für die neue Plattform gewesen. Als im vergangenen Jahr klar wurde, dass die ISH nur digital stattfinden würde, wollte Grohe einen eigenen Weg für sich finden, statt nur einer von zig Ausstellern auf der digitalen Messe zu sein.
„Auf Grohe X haben wir alles zusammengebracht, was das Unternehmen sonst auf der Leitmesse ISH gezeigt hätte, und außerdem noch deutlich mehr Inhalte, die vor allem kontinuierlich ergänzt werden“, beschreibt Eventexperte Dams den Ansatz.
Best Practice: Vok Dams
Teilnehmer sind keine Zuschauer. Sie schätzen die Möglichkeit, sich aktiv an dem Event zu beteiligen und ziehen daraus einen emotionale Mehrwert. Menschen wollen mitmachen.
Wenn Teilnehmer Inhalte oder Features wie Kameraperspektiven individuell wählen können, erhöht sich nicht nur der Nutzwert. Die Veranstaltung bekommt für sie einen exklusiven und wertschätzenden Charakter.
Der zeitliche Ablauf ist von zentraler Bedeutung. Bei virtuellen Events verringert sich die Aufmerksamkeit der Teilnehmer im Laufe der Veranstaltung tendenziell deutlich. Die Taktung muss deutlich kürzer sein als bei analogen Veranstaltungen.
Die Teilnehmer erwarten exklusive Inhalte vor, während und nach der Veranstaltung. Professionell und zielgruppengerecht aufbereiteter Content hält sie in der Session und entscheidet darüber, wie sie ihren persönlichen Gewinn bemessen.
Die Ansprache mehrerer Sinne kreiert auch im Digitalen außergewöhnliche Erlebnisse und differenziert den Event vom Wettbewerb. Zur Kür der Eventplanung gehört es daher, den Teilnehmern im Vorfeld ein Event-Package mit den entsprechenden Utensilien zuzustellen.
Gespräche und Networking bleiben auch im virtuellen Raum eine Hauptmotivation, um an einem Event teilzunehmen. Dafür bieten sich im digitalen Kontext vielfältige Möglichkeiten wie Chat-Funktionen, die im Ablauf eingeplant werden sollten.
Dazu gehört auch Austausch: Nutzer können beispielsweise mit Grohe-Experten in Kontakt treten. Darüber hinaus integriert die Plattform bestehende Netzwerke wie Twitter oder Youtube. Das Ziel soll sein: „Grohe X wird für das Unternehmen die Marktplatzfunktion übernehmen, die vorher die ISH hatte“, wie Dams es formuliert.
In den vergangenen vier Wochen kamen 63.000 Besucher (Unique Visitors) auf die Website. In der Launch-Woche Mitte März war Grohe mit einem Live-Programm gestartet, das sich rund 12.000 Nutzer angesehen hatten. Am Messestand der ISH im Jahr 2019 hatten rund 2000 Besucher die Live-Präsentationen von Grohe verfolgt.
„Grohe X bringt uns also näher zusammen in einer Zeit, in der wir physisch auf Distanz bleiben müssen“, sagt Jonas Brennwald, Co-CEO der Grohe AG, die zum Baustoffkonzern Lixil gehört. „Das positive Feedback, das ich von Kunden aus der ganzen Welt erhalten habe, hat mir erneut bestätigt, dass wir vor acht Monaten die richtige Entscheidung getroffen haben.“ Nach Ansicht des Schweden hat die „digitale Reise“ gerade erst begonnen.
Präsenzmessen stehen vor Bedeutungsverlust
Die Kosten des Aufbaus der digitalen Plattform liegen Grohe zufolge im mittleren einstelligen Millionenbereich. Das ist ungefähr so viel, wie Grohe in einem Jahr für Messepräsenz ausgegeben hat. Das Unternehmen will daher an der digitalen Plattform festhalten und Messe-Engagements kritisch hinterfragen.
Das liegt im Trend. „Wir gehen davon aus, dass hybride Events die Zukunft sein werden“, sagt Agenturchef Dams. Vor Corona habe der Anteil in seiner Agentur bei zehn Prozent gelegen, in den nächsten Jahren werde er 60 Prozent betragen.
„Insgesamt deutet sich an, dass Messen an Bedeutung verlieren könnten, zumindest in der reinen Präsenz-Variante“, sagt Eventmanagement-Professor Hagen. Gerade bei Messen, die sich an Endkunden richten und weniger das Netzwerken unter Geschäftskunden im Fokus haben, seien digitale Formate ein Ersatz. Bei Messen für Geschäftskunden stünde oft der Netzwerkcharakter im Vordergrund – der sei digital schwer zu kopieren.
Für Eventspezialisten wie Vok Dams bedeutet dies eine tief greifende Transformation. Die Live-Event-Agentur ist Vorreiter einer Branche, die Kleinstfirmen definieren. Veranstaltungen und Konferenzen sind selten skalierbar, die Gegebenheiten von Region zu Region unterschiedlich. Agenturen sind entsprechend in ihren Nischen eingerichtet.
„Zum Glück haben wir uns schon vor dem Coronajahr mit der Digitalisierung auseinandergesetzt“, sagt Dams. Vor der Krise habe der Anteil der digitalen Geschäfte bei 20 Prozent gelegen, heute bei 100 Prozent. Auch das Thema mobiles Arbeiten sei in seiner Firma schon vor der Pandemie gelebt worden. „Dadurch konnten wir vor einem Jahr schnell umstellen.“
Und doch war eine „Schockstarre“ zu spüren, als ein Kunde nach dem anderen Aufträge stornierte. Firmenchef Dams sagt heute selbstkritisch, in den ersten Monaten sei viel ausprobiert worden: „Da fanden viele Eins-zu-eins-Übertragungen ins Digitale statt.“ Erst später kamen strategische Ansätze dazu. „Da ging es dann nicht mehr nur um technologische Fragen, sondern vor allem darum, von den Zielen der Kunden her konzeptionell neu zu denken.“
Mitarbeiter brauchten anderes Know-how
Vok Dams hat aus der eigenen Lernkurve eine Art „How to“ entwickelt. Dabei schöpft es aus Projekten mit Kunden wie Vodafone, L’Oréal und Porsche. Die Mitarbeiterzahl ist zwar bei etwa 300 stabil geblieben – aber es sind andere als noch zuvor. Das Unternehmen brauchte deutlich mehr Mitarbeiter mit IT-Know-how und weniger mit den klassischen Eventfertigkeiten.
Colja Dams
Der CEO der Agentur Vok Dams will auch nach der Corona-Pandemie auf digitale Veranstaltungsformate setzen.
(Foto: Colja M. Dams)
Alle Mitarbeiter sitzen im Homeoffice, auch der Firmenchef. In einem Zimmer hat sich Dams ein Studio eingerichtet: Die Wände sind bis auf den „Greenscreen“ für Projektionen im Hintergrund schwarz gestrichen, mehrere Monitore und professionelle Beleuchtung hat er aufgebaut. Dams sendet bald täglich. „Meine Frau meint, ich übertreibe ein wenig“, sagt er lächelnd.
Dieses tägliche Senden ist ein Kern der neuen Eventstrategie. Immer mehr Unternehmen kauften oder mieteten Roadshow-Trucks, um damit zu ihren Kunden zu fahren und dort ihre Markenwelt zu präsentieren. Auch hier sieht Dams ein neues Geschäftsfeld. In den Lkws bauen die Eventspezialisten Studios, die in der Übertragungsqualität mit Fernsehsendern mithalten können.
Auch Badeinrichter Grohe hat fünf solcher Roadshow-Trucks. „Früher haben Unternehmen viele Menschen zu einem einzelnen Event gebracht, heute geht es umgekehrt: Es finden viele kleinere Veranstaltungen an vielen unterschiedlichen Orten statt“, beschreibt Dams den Trend. Die rollenden Sendezentren eigneten sich etwa auch für Führungskräftetagungen.
Er sei zudem mit einigen Unternehmen im Gespräch, die ebenfalls eine Firmenplattform wie Grohe X aufbauen lassen wollen, erzählt Dams. Es soll den Turnaround für seine Agentur bringen: In diesem Jahr rechnet Dams wieder mit einem Umsatzwachstum von 15 Prozent.
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