Vom-Fass-Chef Thomas Kiderlen Frisch geölt

Der Junior baut das Unternehmen radikal um.
Waldburg Thomas Kiderlen läuft durch die große Halle seiner Firma, vorbei an hohen Stahltanks voller Wein aus Spanien und Italien. „Die zwei Maschinen hier produzieren daraus Essig“, sagt der 34-Jährige und läuft schnell weiter. Aus Äpfeln vom Bodensee machen sie Saft, Cidre, Apfelessig. „Und hier“, es riecht wie in der Küche einer Soziologie-Studenten-WG, „stellen wir Hanf- und Leinöl her.“ Dann zeigt Kiderlen in eine andere Ecke: Chutneys, Soßen, Fruchtaufstriche, „rund 20 neue Produkte“. Künftig will er auch noch Edelbrände und weitere Gin-Sorten destillieren.
Kiderlen ist kaum zu bremsen. Seit er Vom Fass vor sechs Jahren von seinem Vater übernommen hat, arbeitet er daran, die Marke aus Waldburg bekannter zu machen – und das weltweit. Dem Franchiseunternehmen mit 72 Mitarbeitern haftete lange das trutschige Image des Hausfrauenladens an, der in den Fußgängerzonen der Biberachs und Friedbergs dieses Landes tapfer die Fahne des Einzelhandels hochhält.
Dabei gibt es inzwischen weltweit 280 Geschäfte, in denen Kunden Weine, Öle, Essige und Spirituosen probieren und sich abfüllen lassen können. Kiderlen setzt auf globales Wachstum, jede zweite Filiale steht bereits im Ausland.
Wohl auch, weil der Firmenchef selbst in der Welt zu Hause ist. Sieben Jahre lebte er im Ausland, viereinhalb davon in Hongkong, lernte dort seine Frau kennen, eine Amerikanerin. Auch in den USA hat er gelebt. Vielleicht alles eine Gegenreaktion auf die Jugend in der Provinz, wo die Läden um 17 Uhr zumachten. In Waldburg sah Kiderlen dort, wie sein Großvater edle Tropfen aus dem Süden importierte, wie sein Vater später aus dem Weinfachhandel einen Getränkemarkt formte – und dann auf die Idee mit der Fassabfüllung kam. Schon als kleiner Junge half er mit im Familienbetrieb, besserte sein Taschengeld mit dem Abpacken von Flaschen auf.
Showküche und 4D-Kino
Später studierte Kiderlen Weinbau und Getränketechnologie, er ist wie Vater Johannes diplomierter Ingenieur. Dann zog der Junior in die Welt hinaus. In Hongkong arbeitete er für die Watson-Gruppe, einen der größten Einzelhändler im Land. „Ich mochte das Konzernding, die Aufstiegsmöglichkeiten“, erinnert sich Kiderlen. Doch dann reizte ihn die Aufgabe in der Heimat.
Der Vater setzte ihn mit der Nachfolge nicht unter Druck. Zur Not hätte der Senior die Firma verkauft, sein Sohn wäre ausgezahlt worden. Das wollte der aber nicht. „Ich war der Meinung, dass ich viel bewegen kann.“
In der Produktionshalle in Waldburg bleibt Kiderlen an einer Abfüllanlage stehen, schnappt sich eine der Flaschen, fährt mit dem Finger über die Prägung. „Seit gerade mal einem Jahr ist die Marke darauf zu erkennen“, sagt er. Auch die Deckel: einheitlich, im Firmentürkis. Zehn bis 15 Jahre hätte das Unternehmen nur Wert auf die Produkte gesetzt, „aber nicht auf unsere Marke“. Die Zeiten sind jetzt vorbei.
Kiderlen hat Vom Fass ins Internet gebracht, ein neues Shopkonzept entwickelt, viele Details geändert. Es gibt jetzt keine Plastikfolie mehr in den Läden, nur noch wiederverwertbares Papier. Im Onlineshop lässt er „Same-Day Delivery“ testen, ähnlich wie Amazon. Kiderlen sucht Kontakt zu seinen Kunden. Vor zwei Jahren eröffnete er eine Showküche in Waldburg, die Zentrale soll erlebbar sein, mit Kochkursen, Rundgängen durch die Produktion, einem 4D-Kino, in dem man die Filme auch riechen kann. Den Umsatz hat er so auf 130 Millionen Euro getrieben, zehn Jahre zuvor waren es noch 75 Millionen.
Vom Fass bietet auf der ganzen Welt das gleiche Sortiment an. Kiderlen gibt die Infrastruktur vor, den Ladenbau, IT-Lösungen. Europäische Lebenskultur, das sollen alle Läden vermitteln. Daher ist die Werbung global, der Name überall identisch. „Die großen Städte der Welt ticken gleich“, meint Kiderlen. Neue Franchisenehmer zahlen anfangs eine Gebühr von 6 800 Euro – für Schulungen und die Ausstattung des Ladens mit Produkten. Danach werden 200 Euro Lizenzgebühr pro Monat fällig.
Vor wenigen Jahren noch arbeiteten die großen Handelstrends, E-Commerce und verödende Innenstädte, gegen Vom Fass und ließen Umsatz und Zahl der Filialen stagnieren. Heute hat Kiderlen sein Unternehmen darauf eingestellt, zudem besinnen sich viele Konsumenten auf Qualität und den Einkauf als Erlebnis. Kiderlens größtes Pfund sind seine weltweit 30 Produzenten, die meisten davon Familienbetriebe aus Südeuropa. „Ich kenne alle persönlich, weiß, woher die Produkte kommen.“ Mit jedem Lebensmittelskandal sei sein Umsatz gestiegen. Auf „bio“ setzt er dagegen kaum. „Viel wichtiger als ein Bio-Siegel ist doch, dass man einer Marke vertrauen kann“, sagt Kiderlen.
Mittlerweile hat er auch Nahrungsergänzungsmittel im Programm, setzt auf Wellness. Der Bereich boomt – und Kiderlen will mitwachsen. „Wir wollen eine Lifestyle- und Genussmarke werden“, sagt er. Von den Produkten her seien sie das schon längst. „Aber leider nicht in der Wahrnehmung.“
Die Zweifel des Vaters
Das sollen die neuen Standorte ändern. Früher konzentrierte sich die Marke auf Randlagen, die mit dem Auto gut erreichbar sind. Nun strebt Kiderlen in die Stadtzentren. Seit kurzem betreibt Vom Fass auch eigene Filialen, etwa in Bonn, seit Sommer in Trier. „Der Einzelhandel stirbt nicht“, sagt Kiderlen. „Er verändert sich nur.“ „Event“ und „Erlebnis“, das sind für ihn die Schlüsselworte. „Durch unser Konzept mit der Beratung, dem Probieren und dem Abfüllen bieten wir schon jetzt genau dieses Erlebnis“, sagt Kiderlen. Und das soll bald noch intensiver werden: Derzeit realisiert Kiderlen in Hamburg ein In-Store-Gastro-Konzept. Bald können die Kunden zum Aperitif kommen, Bruschetta und Antipasti essen, frischen Aufschnitt und Käse.
Seine Ideen kann Kiderlen recht ungehindert durchsetzen. Er hält 90 Prozent der Anteile, seine Mutter den Rest. Sein Vater, Firmengründer Johannes Kiderlen, kümmert sich heute noch um die Produktion. Nicht alles, was sein Sohn ändern wollte, fand der 66-Jährige gut. Merchandising, neues Marketing, der Lifestyle-Fokus: „Um Gottes willen, das geht nicht gut“, habe Kiderlen senior anfangs gesagt.
Auch unter den Franchisepartnern sind nicht alle zufrieden mit dem Kurs der Zentrale. „Klar, die Produkte sind gut“, sagt ein Ladenbesitzer. „Aber sonst spüren wir wenig Unterstützung aus Waldburg.“ Die Veranstaltungen, Tastings am Wochenende, fast das komplette Marketing wälze Vom Fass auf die Partner ab. Andere Franchisegeber, die Tierfutterkette Fressnapf etwa, würden sogar TV-Werbung schalten. „Eine Showküche in Waldburg mag ja schön und gut sein“, sagt der Ladenbesitzer. „Aber das bringt mir für mein Geschäft hier herzlich wenig.“
Die Sorgen des Franchisepartners wirken klein verglichen mit dem, was Kiderlen noch vorhat: Jüngst hat in Kolumbien der erste Markt eröffnet, Australien soll dazukommen, auch Peking ist geplant. Allein China habe das Potenzial für bis zu 15 weitere Standorte. In Las Vegas machte Vom Fass direkt im Luxushotel Venetian auf, wo es einen künstlichen Wasserlauf mit Gondoliere gibt – und Öle aus Waldburg.
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