YouMawo-Gründer Die Nerds der Brillenbranche wollen die Welt erobern

Das Geschäft ist weltweit skalierbar.
München Im Halbkreis läuft Stephan Grotz mit einem iPad in der Hand um die Testperson herum. Auf dem Tablet steckt ein Infrarotscanner, nach und nach erscheint ein perfektes 3D-Abbild des Gesichts auf dem Display. Extrem genau, jede kleinste Erhebung der Nase ist zu sehen. Auf Basis der Daten errechnet die Software nun die perfekte Brillengröße – und schickt sie an den 3D-Drucker. Ein paar Wochen später liegt das individuelle Modell abholbereit im Laden.
Was nach Zukunftsmusik klingt, ist längst Alltag bei vielen deutschen Optikern. Dank YouMawo. Das Start-up aus Konstanz, das der 38-jährige Grotz gemeinsam mit Daniel Miko, 31, Daniel Szabo, 32, und Sebastian Zenetti, 30, gründete, ist einer der Überflieger auf dem deutschen Optikmarkt.
Und längst auch darüber hinaus. In mehr als 20 Ländern gibt es die Brillen bereits zu kaufen, selbst an exotischen Orten wie Taipeh oder Brisbane. Was vor gut drei Jahren als Idee in Mikos WG-Küche entstand, ist heute ein Millionengeschäft mit 44 Mitarbeitern.
Anfangs hatten die vier jungen Herren nur einen kleinen Raum im Konstanzer Start-up-Zentrum, mittlerweile besetzen sie hier einen ganzen Flügel, 22 Mitarbeiter sitzen allein am Rande des Bodensees. Das Gründerteam ist ein bunter Haufen, der an die Nerds der TV-Serie „The Big Bang Theory“ erinnert. Da ist Grotz, der Entwickler und IT-Mann, der eigentlich als System Engineering Manager bei Cloudera arbeitet und für einen Kasten Bier anfing, an der Scansoftware zu programmieren.
Da ist Szabo, VWLer, der sich um die Finanzen, strategische Innovationen und Marketing kümmert – und hauptberuflich beim Pharmakonzern Merck arbeitet. Und da sind Miko und Zenetti, beide gelernte Optikermeister, beide Co-Geschäftsführer. Miko ist zudem Chefdesigner, Zenetti kümmert sich unter anderem um den Vertrieb.
Mit 75.000 Euro Eigenkapital starteten sie 2016. Schon im ersten Geschäftsjahr verkauften sie knapp 5.000 Brillen. 2017 vervierfachte sich der Wert. „Wir sind noch nie in die roten Zahlen abgerutscht und kommen seit erster Stunde ohne Investoren aus“, sagt Szabo. 500 Optikergeschäfte haben den Scanner bereits, in 17 Ländern sind Sales-Leute aktiv.
Noch mache der deutschsprachige Raum mehr als 50 Prozent aus. Aber allein 2018 kamen Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland, Frankreich, Portugal und Brasilien dazu. Ganz frisch sind die Benelux-Länder, das Vereinigte Königreich, Japan und Thailand.
Der Infrarotscanner stammt vom US-Hersteller „Structure“. Sonst ist nichts eingekauft. „Software, App, Portal, den Algorithmus – das alles haben wir komplett selbst entwickelt“, sagt Grotz. Viele große Firmen hätten das Scannen probiert – und es schnell wieder eingestampft.
Dabei ist der Ansatz naheliegend: „Brillengläser sind extrem individuell“, sagt Miko. „Zylinder, Sphäre, Stärke – das alles wird für jeden Kunden extra angefertigt. Nur bei den Gestellen musste man sich bislang in der Regel von der Stange bedienen.“
Auch bei YouMawo gibt es 45 Standardmodelle, jeweils in zwei Größen und zehn verschiedenen Farben. Die Preise starten bei 390 Euro. Rund 15 Prozent der Kunden entscheiden sich für die Maßbrille, die bei einem UVP von 490 Euro liegt. Auch Übergrößen sind kein Problem. Für Menschen mit Downsyndrom, die wegen ihrer breiten Schläfe bei Optikern selten fündig werden, bietet YouMawo die Brillen zu einem Symbolpreis von einem Euro an.
Das Start-up bringt frischen Wind in die sonst eher angestaubte Branche. Auch andere Marken versuchen sich an gedruckten Modellen, etwa das Schweizer Label Viu, das auch eigene Läden betreibt. Bei YouMawo glauben sie hingegen ans B2B-Geschäft. Auch, weil sie nie Werbung machen mussten: Es gibt Optiker, die bekleben ganze Busse mit Reklame für die gedruckten Brillen. Viele Läden hängen Bildschirme samt Apple-TV auf, damit die Kunden das Scannen live vor Ort verfolgen können.
Auch die größten deutschen Brillenhändler investieren in die Digitalisierung. So hält etwa Fielmanns Investmenttochter 20 Prozent an Fittingbox, dessen auf Augmented Reality basierende 3D-Anprobe von Brillen samt Sehtest bald den Onlineverkauf des Filialisten ankurbeln soll. Die 3D-gedruckte Brille sei aber ein Nischenprodukt, das lediglich von „hoch technikaffinen Kunden nachgefragt“ werde, erklärt eine Sprecherin.
„Die 3D-Brille ist noch nicht im Massenmarkt angekommen“, meint auch Apollo-CEO Jörg Ehmer. Seine Firma überlege, langfristig auch ins 3D-Geschäft einzusteigen. Allerdings sieht Ehmer in der Technologie noch deutlichen Optimierungsbedarf. „Auch der Preis ist noch nicht wirklich attraktiv für den Großteil der Konsumenten.“
YouMawos Partner für den 3D-Druck ist Eos aus Krailling bei München, Marktführer im Sinter-Geschäft. Auch der Hersteller des flexiblen Kunststoffs kommt aus Süddeutschland. 18 Stunden wird gedruckt, acht Stunden kühlen die Gestelle ab.
„Danach werden sie geschliffen, gefärbt, nanobeschichtet und montiert“, erklärt Zenetti, der wie Grotz aus Lauingen an der Donau stammt. Erst wollten sie ihr Business dort aufziehen, dann fiel die Wahl auf Konstanz. „Hier gibt es keine Mitbewerber im Optikbereich, wenige Mitbewerber um IT-Leute, dafür aber gute Absolventen von den Unis und Hochschulen.“
Wie schnell die vier Gründer den Aufstieg in die erste Brillenliga geschafft haben, zeigte jüngst ihr Auftritt auf der Opti München, der größten Branchenmesse. 2016 stellten sie noch in einer kleinen Box im Start-up-Bereich aus. „Die erste Version der Software funktionierte damals gar nicht richtig“, erinnert sich Miko. Trotzdem griffen 25 Optiker zum Starterpaket, am zweiten Messetag waren sie komplett ausverkauft.
Auf der Opti 2019 sind die Dimensionen um einiges größer: Sie stehen in der ersten Halle, viel Fläche, sechs Beratungsinseln, die durchgehend von Optikern belagert sind. Gebaut ist der Stand aus Getränkekisten und schwarz angemalten Sperrholzplatten, ein erfrischender, cooler Auftritt. Die Konzerne und Luxuslabels um die Ecke geben Unsummen für ihre Stände aus, mit feinstem Holz und teuren Ledersesseln.
Bei YouMawo bekommen sie im Zweifel sogar Pfandgeld für die Kisten. Für das Geschäftsjahr 2019 planen die Gründer dennoch groß: Ein Umsatz von sechs Millionen Euro ist angepeilt. „Das Geschäft lässt sich beliebig skalieren“, meint Szabo. Ihre Vision: Gestelle nicht mehr um den ganzen Globus zu schiffen – sondern viele kleine Produktionsstätten weltweit. Mit 3D-Druck und Arbeitsplätzen vor Ort, weniger Versand – und vielen neuen Absatzmärkten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.