Zulieferer Knorr-Chef Jan Mrosik setzt auf Wachstum – auch ohne Hella

Der Manager des Zulieferers will das Zukunftsgeschäft besetzen.
München Reichlich turbulent ging es in diesem Jahr bei Knorr-Bremse zu. Im März verstirbt mit Heinz Hermann Thiele der Patriarch und Großaktionär des Zulieferkonzerns. Im Juli scheitert Vorstandschef Jan Mrosik mit dem Versuch, Hella zu kaufen und sich neben Bosch, ZF und Conti als vierte große Macht im Konzert der Zulieferer zu etablieren. Ende Oktober erklärt schließlich Truck-Chef Peter Laier seinen vorzeitigen Abgang zum Jahresende.
Zeit für die Flucht nach vorn für Mrosik. Der ehemalige Siemens-Manager ist selbst erst seit Januar Vorstandschef und branchenfremd. Den Investoren verspricht er jetzt eine Perspektive: Bis 2025 soll Knorr jedes Jahr mit 5,5 bis 6,5 Prozent wachsen, eine operative Marge von 14 bis 16 Prozent sei möglich, erklärte Mrosik auf dem Kapitalmarkttag Ende November.
Das ist viel für eine Branche, in der immer mehr Zulieferer ums Überleben kämpfen. Doch Knorr spielt in einer anderen Liga und wird auch in diesem Jahr bis zu 13,5 Prozent Rendite machen „Wir unterliegen nicht den Skaleneffekten der großen Autozulieferer“, begründet Mrosik seinen Optimismus. „Im Truckgeschäft mit seinen im Vergleich kleinen Serien gelten andere Gesetze, und Züge sind geringe Stückzahlen“, sagt Mrosik dem Handelsblatt.
„Die Nachfrage im Nutzfahrzeugbereich ist wieder hoch. Durch die Lieferprobleme werden viele Aufträge aber in das nächste Jahr verschoben. Zurzeit können 20.000 Fahrzeuge wegen fehlender Teile in Europa nicht ausgeliefert werden“, sagt Mrosik. Stahl, Kunststoffe und Chips bleiben noch länger knapp.
Den massiven Kurssturz nach der gescheiterten Hella-Übernahme konnte Mrosik mit dem Kapitalmarkttag dennoch nicht kompensieren, gut drei Milliarden Euro Marktkapitalisierung sind seit Juli weg. Der Kurs dümpelt dem Emissionsniveau von 2018 entgegen, als der mittlerweile verstorbene Thiele sein Lebenswerk an die Börse brachte.
Der selbstfahrende Lkw ändert die Spielregeln
Damals nahm man den hochspezialisierten Weltmarktführer aus München gerne auf, Knorr gilt als gut positioniert. Die Hälfte des Geschäfts machen Zugbremsen, Türen und Klimaanlagen vom deutschen ICE bis zum japanischen Shinkansen – der Weltmarktanteil liegt bei 50 Prozent.
Der zweite Teil des Geschäfts sind Bremssysteme für Lastwagen, auch hier ist Knorr global die Nummer eins. Allerdings ändern sich die Spielregeln: „Wir rechnen damit, dass 2025 die ersten hochautomatisierten Lkw auf den Markt kommen“, sagt Mrosik. „Ein Truck lässt sich auf dem Highway leichter autonom steuern als ein Taxi in Manhattan“, erklärt der Knorr-Chef. „Wir sind heute Systemlieferant und wollen beim automatisierten Fahren auch in eine führende Rolle gehen.“
Weltweit fehlt es an Fahrern, täglich wächst der Druck, autonom fahrende Trucks zuzulassen. Technisch ist das zumindest auf Autobahnen kein großes Problem mehr. Für die Truckhersteller und Zulieferindustrie wäre die Zulassung allerdings eine Zeitenwende. Für Knorr heißt das: Kameras und Sensoren ersetzen die Sinne des Fahrenden, Bremse und Lenkung werden ein System. Hier ist Knorr nicht mehr allein. Im Mai 2020 übernahm der ZF-Konzern den US-Bremsenhersteller Wabco und kann damit ein Gesamtsystem anbieten.

Der Zulieferer für Züge und Nutzfahrzeuge setzt auf Wachstum in den kommenden Jahren.
Knorr hatte sich zuvor mit Conti verbündet. Der große Zulieferer aus Hannover liefert die Sensoren und Kameras, Knorr die Bremsen und die Software. Als Anfang des Jahres der Lippstädter Autozulieferer Hella auf den Markt kam, sah Mrosik eine gute Gelegenheit, sich selbst Radare und Sensoren zuzulegen, das Handelsblatt machte die Pläne damals publik. Doch der Versuch scheiterte.
Denn die sieben Milliarden Euro schwere Übernahme drohte nicht nur die Finanzkraft des Konzerns zu sprengen, der maximal fünf Milliarden ohne Kapitalerhöhung stemmen kann. Knorr hätte zugleich eine Autozuliefersparte mit Lichttechnik am Bein gehabt, die deutlich weniger Marge abgeworfen hätte als das Kerngeschäft.
Am Kapitalmarkt kam das Manöver nicht gut an. Knorr, erst seit 2018 an der Börse, verlor binnen weniger Tage 20 Prozent seines Marktwerts. „Zu der nicht erfolgten Übernahme von Hella ist alles gesagt“, schließt Mrosik das Kapitel. Es bleibt die Zusammenarbeit mit Continental.
„Wir haben eine stabile Partnerschaft mit Conti“, betont Mrosik. „Wir suchen weiter nach Akquisitionsmöglichkeiten, aber mit überschaubaren Größen.“ Zehn bis 15 potenzielle Übernahmeziele beobachte man ständig, gesucht werden Spezialisten für Künstliche Intelligenz, Datenintegration, Energieeffizienz, aber auch Unternehmen, die Knorr im Kerngeschäft weiterbringen könnten.
Der Aufsichtsrat unter der Führung von Klaus Mangold steht trotz der verpatzten Übernahme jedoch weiter hinter Mrosik. Kontinuität in der Führung ist bei Knorr mittlerweile ein Wert an sich. Nach dem Abgang von Klaus Deller (2019) und Bernd Eulitz (2020) ist Mrosik schließlich der dritte Vorstandschef in drei Jahren.
Thieles Vermächtnis: Erben sollen wie die Quandts regieren
Ersterer agierte dem verstorbenen Großaktionär Thiele zu forsch, Letzterer zu zaghaft. Auch Mrosik ist mit seinem kantigen Führungsstil nicht unumstritten, nicht alle sind mit dem Neuen und seinem Kurs einverstanden.
Truck-Chef Peter Laier wird Ende Dezember das Haus vorzeitig verlassen – er soll sich selber Chancen für den Chefposten ausgerechnet haben. Ein Nachfolger steht noch nicht fest.
So hängt die Zukunft von Knorr also mehr denn je an dem Branchenfremden Jan Peter Mrosik. Thiele hatte bis zuletzt massiv in das Unternehmen hineinregiert und hinterlässt ein Vakuum, das Mrosik auch Spielräume eröffnet. Thieles Erben, die jüngst erst ihre Beteiligung an Lufthansa verkauft haben, wollen an Knorr jedenfalls festhalten. Mit fast 60 Prozent der Anteile haben sie ein größeres Gewicht als die benachbarten Quandts bei BMW.
Thiele hat die Rolle der Quandts bei BMW stets als Vorbild für Knorr gesehen. Dort gilt das Motto: Der Aktienkurs ist zweitrangig, wenn die langfristige Perspektive stimmt. Den Beweis, dass er die nötige Strategie dafür mitbringt, muss Mrosik noch antreten.
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