Friederike Welter: „Schaut beim Klimawandel nicht nur auf die Kosten“
Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
Friederike Welter im InterviewMittelstandsforscherin: „Schaut beim Klimawandel nicht nur auf die Kosten“
Die Chefin des Instituts für Mittelstandsforschung spricht über Chancen durch die Klimadebatte, den Umbau der Autoindustrie und chinesische Investitionen.
Die Mittelstandsforscherin beklagt die Marktmacht der Autohersteller.
(Foto: IfM)
Kaum jemand weiß so gut, was den deutschen Mittelstand bewegt, wie Friederike Welter. Die Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) sieht Deutschlands Mittelständler zum Auftakt des Jahres 2020 vor zahlreichen Herausforderungen: Aktivisten drängen auf strengen Klimaschutz, die Digitalisierung verändert etablierte Geschäftsmodelle, und der Handelskonflikt zwischen den USA und China erschüttert Lieferketten und Exportmärkte.
Frau Welter, die Fridays-for-Future-Bewegung fordert von der Industrie einen klaren Fokus auf Nachhaltigkeit. Hat der deutsche Mittelstand dieses Thema verschlafen? Hat er nicht. Wir haben in einer Vergleichsstudie zwischen Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen festgestellt, dass ökologische Ziele nur bei den Familienunternehmen als sehr wichtige Unternehmensziele gelten, bei den anderen nicht.
Ziele sind ja gut und schön … Tatsächlich hat das Thema an Bedeutung und Tempo gewonnen. Für mich zeigt sich, dass hier ein Thema wieder einmal ganz typisch negativ besetzt wird. Es ist klar, dass Klimawandel und der Kampf dagegen mit Kosten einhergehen, die kleineren Unternehmen stärker belastet werden als die großen. Aber wir haben hierzulande auch eine Tendenz, die Herausforderungen zunächst nur als Problem zu sehen – und nicht als Chance.
Meinen Sie die Mittelständler oder die Bürger? Es ist sehr stark ein gesellschaftliches Thema, das die jungen Leute zu Recht beschäftigt. Spricht man mit Mittelständlern, geht es denen oft nur um die Kostenbelastung. Klar ist der Klimawandel ein dicker Brocken. Aber: Es hat in den 70er- und 80er-Jahren in einer ersten Welle schon einmal Klimathemen gegeben und Unternehmen, die sich darauf eingestellt haben. Und es gibt auch Unternehmer, die die Debatte jetzt als Chance sehen. Daher fordere ich die Mittelständler auf: Schaut nicht nur auf die Kosten, sondern auch auf die möglichen neuen Geschäftsmodelle.
Können das alle? Womöglich nicht, daher muss es für kleinere Betriebe vielleicht sogar eine Entlastung geben.
In welcher Form? Bei allen Maßnahmen, die mit Kosten für die Unternehmen einhergehen, sollte der Mittelstand nicht überproportional belastet werden.
Müssen die Firmen sich schneller anpassen als früher? Menschen sind Gewohnheitstiere. Wenn die Dinge gut funktionieren, will man nichts ändern. Es muss manchmal erst eine Krise kommen, um Veränderung zu generieren. Der Weckruf, der da gerade kommt, ist richtig. Und: Die Digitalisierung ist schon so weit, dass man sie nutzen kann, um klimaschonendere Produkte zu fertigen.
Gerade die Automobilindustrie hat die Wirtschaft angetrieben. Doch sie steckt mitten im Umbruch zur E-Mobilität. Wie viele Firmen werden die Transformation nicht schaffen? Zunächst: Es könnte längst Elektroautos geben. Für mich ist der Knackpunkt, dass die Transformation Jahre zu spät kommt. Mich ärgert das.
Nun fordern die Hersteller von den Zulieferern, dass sie schnell CO2-neutral werden … Die Automobilbranche ist ein Beispiel für die starke Einbindung von mittelständischen Zulieferern in die Wertschöpfungsprozesse. Insbesondere die Unternehmen am Ende der Wertschöpfungskette sind in hohem Ausmaß den Vorgaben der Automobilhersteller ausgeliefert. Es geht aber nicht, dass die Endprodukthersteller ihre eigenen Versäumnisse auf andere abschieben. Das ist Ausnutzen von Marktmacht.
Die Digitalisierung wird als Heilsbringer gepriesen. Aber wie weit sind die Firmen in dem Bereich? Rund 14 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) setzten heute Big Data ein, also jedes siebte Unternehmen. Im EU-Schnitt sind es zwölf Prozent. Das ist einerseits immer noch zu wenig, andererseits braucht auch nicht jedes KMU Big Data. Schauen wir auf die großen Mittelständler, sind es 34 Prozent hierzulande und 33 Prozent EU-weit. Wir liegen also beide Male über dem europäischen Schnitt.
Viele Mittelständler misstrauen US-amerikanischen und chinesischen Cloud-Anbietern. Sie warten lieber auf die europäische Cloud Gaia X, die Deutschland anstoßen will. Ist das die richtige Strategie? Ich finde das Gaia-X-Projekt klasse, weil Datensouveränität wichtig ist. Ob es tatsächlich Realität wird, wissen wir noch nicht. Das Interessante daran ist, dass es bereits Clouds gibt, die sicher und in Europa beheimatet sind. Von den KMU nutzen 22 Prozent Cloud-Dienste, im EU-Schnitt sind es 25 Prozent.
Vita Frederike Welter
Friederike Welter ist seit 2013 Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn. Zugleich hat sie den Lehrstuhl für Management von kleinen und mittleren Unternehmen und Entrepreneurship an der Universität Siegen inne.
Das IfM nahm 1958 seine Arbeit auf und entstand auf Initiative des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard. Er hatte bereits 1955 gesagt: „Es ist kein politisches, sondern ein wirtschaftliches Anliegen, die Mittelstandsfrage von einem besonderen Institut durchleuchten zu lassen.“
Bei den Großunternehmen, zu denen auch die großen Mittelständler zählen, sind es 49 Prozent, aber auch sie liegen unter dem EU-Schnitt von 56 Prozent. Deutschland hinkt da hinterher. Ganz vorne liegt Finnland, dort nutzen neun von zehn Unternehmen kostenpflichtige Cloud-Dienste. Offenbar haben wir hierzulande ein Vertrauensproblem mit digitalen Diensten.
Sind die Mittelständler durch die Digitalisierung agiler geworden? Viele Mittelständler können per se flexibler agieren als Großunternehmen, weil in eigentümergeführten Unternehmen Entscheidungen aufgrund der Organisationsstruktur schneller getroffen werden können. Die digitalen Technologien tragen dazu bei, dass viele Prozesse noch schneller werden. Um mit der digitalen Transformation Schritt halten zu können, sind Fachkräfte aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) nötig – die fehlen jedoch vielfach. Um mal konkrete Zahlen zu nennen: Nur jedes sechste KMU beschäftigt eigene IKT-Fachkräfte, bei den großen sind es 77 Prozent.
Deutsche Firmen brauchen schnelles Internet. Aber gerade auf dem Land gibt es oft Funklöcher. Was können Firmen unternehmen? Leider ist der Aufbau der digitalen Infrastruktur weiterhin ein Dauerthema. Er wird aber sowohl in der Industriestrategie als auch in der Mittelstandsstrategie als notwendige Aufgabe genannt – also sollte man die Regierung auch mal machen lassen.
2019 gab es Kritik an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. In seiner ersten Industriestrategie hatte er den Mittelstand weniger im Blick. Sie forderten eine spezielle Mittelstandspolitik – in allen Ministerien. Was war die Reaktion? In der ersten Fassung der Industriestrategie hatte er zwar die Hidden Champions erwähnt, aber er hat nicht die Bedeutung dieser Familienunternehmen als globale Champions gewürdigt. Unsere Anmerkungen sind vor allem in die Mittelstandsstrategie aufgenommen worden – aber auch im Hinblick auf die Industriestrategie angekommen. Ich finde den Diskussionsprozess, der hinter der neuen Strategie liegt, sehr gut.
Können Sie das konkreter sagen? Den Schwerpunkt auf Rahmenbedingungen zu legen ist richtig, weil man mit Förderungen nur wenig ausrichten kann. Auch nimmt der Mittelstand jetzt eine wichtigere Rolle als zuvor ein. Das sehen Sie daran, dass eine Stabsstelle „Mittelstandsstrategie“ eingerichtet wurde, die direkt Bundesminister Altmaier zugeordnet ist. Das sehen Sie aber auch daran, dass auf dem Titelblatt der Mittelstandsstrategie jetzt „Wertschätzung, Stärkung, Entlastung“ steht. Wenn zudem ein Staatssekretär-Ausschuss eingerichtet wird, der die Vorhaben aller Ressorts auf ihre Mittelstandsverträglichkeit hin überprüft – wie es ebenfalls laut Mittelstandsstrategie geplant ist –, dann wäre dies gut.
Reichen die Nachbesserungen aus? Ja, in der neuen Industrie- und Mittelstandsstrategie stehen viele gute Sachen drin.
Papier ist geduldig. Das stimmt, aber man muss sich daran messen lassen.
Inwieweit sind Mittelständler von den Spannungen zwischen den USA und China betroffen? Der Mittelstand ist stark betroffen. Aber es ist nach wie vor schwierig, dazu Zahlen zu bekommen. Umso wichtiger ist aktuell gerade für die kleineren mittelständischen Unternehmen der EU-Wirtschaftsraum. Insgesamt betrachtet geht es nicht mehr nur um die üblichen Handelshemmnisse, über die in den Medien berichtet wird. Ebenso gewinnt der digitale Protektionismus an Bedeutung: Onlineinhalte werden zensiert, Webseiten blockiert, und die grenzüberschreitende Verarbeitung und Speicherung von produktbezogenen Daten wird behindert.
Wie stehen Sie zu chinesischen Übernahmen im deutschen Mittelstand? Chinesische Direktinvestitionen kann man nicht grundsätzlich verbieten, auch wenn dahinter Staatskapitalismus steht. Dieser widerspricht unseren grundlegenden marktwirtschaftlichen Prinzipien. Schließlich gehört es in Deutschland zur unternehmerischen Freiheit, dass Unternehmer ihr Eigentum ohne staatliche Genehmigungsvorbehalte auch an ausländische Investoren verkaufen können. Nur in sicherheitsrelevanten Bereichen wie beispielsweise Verteidigung und Infrastruktur ist eine staatliche Prüfung basierend auf der Außenwirtschaftsverordnung sinnvoll und wichtig, um mögliche Gefährdungen und einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Im Übrigen wäre ein staatliches Verbot auch wenig effektiv: Schließlich können die Unternehmenseigentümer ihr Know-how auch mithilfe von Joint Ventures in China oder über Lizenzvergaben gewinnbringend veräußern.
Größere Mittelständler in Familienhand werden häufig als Superreiche charakterisiert, etwa durch die neue SPD-Führung. Ist das ein Problem? Ich hoffe nicht, dass dies zu einer Neiddebatte führt. Damit täte man auch den großen Familienunternehmen hierzulande sehr unrecht. Denn sie sind nicht vergleichbar mit superreichen Unternehmern in anderen Ländern, die beispielsweise Konzerne im Family-Business führen. In Deutschland nehmen die reicheren Familienunternehmen vielmehr auch eine gesellschaftliche Verantwortung wahr: So sehen sie sich deutlich mehr in der Verantwortung, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, als angestellte Manager und Managerinnen. Dies hat nicht nur eine unserer diesjährigen Studien belegt, sondern das hat sich auch während der weltweiten Wirtschaftskrise 2008/2009 gezeigt, als die große Familienunternehmen auf Entlassungen verzichtet haben. Hätten sie dies nicht getan, hätte die Krise Deutschland sehr viel schlimmer erwischt.
Worin bestehen die größten Herausforderungen 2020? Erstens in der handelspolitischen Unsicherheit – auch wenn derzeit die Zeichen etwas auf Frieden stehen. Bei den Mittelständlern selbst heißt es: Sie müssen wettbewerbsfähig bleiben. Dafür und für einen sachlichen Umgang mit dem Klimawandel können sie die Chancen der Digitalisierung nutzen. Das haben viele erkannt.
Frau Welter, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen versteht es, die mittelständischen Unternehmen zu umwerben. Die wollen nun aber auch konkrete Verbesserungen sehen.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Von wem wird das Institut finanziert? Doch sicher von der Regierung.
Nur so ist dieses dumme Geschwätz erklärbar...