BVB-Chef Watzke im Interview über die finanzielle Situation des Fußball-Bundesligisten
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Fußball-Manager im InterviewBVB-Chef Watzke: „Niemand konnte absehen, dass das Geschäftsmodell plötzlich vollständig zerschossen wird“
Hans-Joachim Watzke skizziert die Folgen der Pandemie und verteidigt den Spielbetrieb in der Profifußball-Blase. Auch zu seiner eigenen Zukunft äußert sich der BVB-Geschäftsführer.
Der Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten sieht den BVB finanziell gut aufgestellt. Die Coronakrise hinterlässt jedoch deutliche Spuren in der Bilanz.
Düsseldorf Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, geht davon aus, dass es noch lange dauern wird, bis sich der Fußball-Bundesligist von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erholt hat. „Ich rechne damit, dass es mindestens fünf Jahre braucht, um hinsichtlich der Verbindlichkeiten den Status quo vor der Coronakrise zu erreichen“, sagte Watzke im Interview mit dem Handelsblatt.
Aktuell weist der BVB Verbindlichkeiten in Höhe von knapp 27 Millionen Euro auf. Der Klub habe im vergangenen Jahrzehnt „sehr konservativ gearbeitet“, erklärte Watzke. „Deshalb kommt uns zugute, dass wir mit Beginn der Pandemie keine Finanzverbindlichkeiten hatten.“
Das laufende Geschäftsjahr wird der Verein voraussichtlich mit einem deutlichen Verlust abschließen. Hauptgrund sind die Umsatzeinbußen aufgrund der vielen Heimspiele ohne Publikum. Bei jedem Heimspiel vor leeren Rängen entgeht dem Verein ein Umsatz von etwa vier Millionen Euro. „Solange die Situation anhält, werden wir keine schwarzen Zahlen schreiben“, erklärte Watzke.
Man strebe nicht zwingend den Verkauf einzelner Spieler aus finanziellen Gründen an, erklärte der BVB-Geschäftsführer. Die Option sei jedoch auch nicht gänzlich ausgeschlossen, sollte auch die gesamte kommende Saison vor leeren Rängen gespielt werden. „Auf Teufel komm raus bei Banken nach Kreditlinien zu fragen, nur um einen Spieler nicht zu verkaufen, wird nicht unser Weg sein“, sagte Watzke.
Sein Vertrag als Geschäftsführer läuft Ende 2022 aus. Denkbar ist, dass er diesen noch mal verlängert. „Ich kenne meine Verantwortung gegenüber diesem Verein“, erklärte Watzke. Er habe noch keine grundsätzliche Entscheidung getroffen, es sei jedoch „völlig ausgeschlossen, dass ich in der größten Krise von Bord gehe“. Ein Abschied zum Ende des Jahres 2022 sei „zumindest nicht mehr so tief“ in seinen Gedanken wie vor Beginn der Pandemie. Der 61-Jährige ist seit 2005 im Amt.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Watzke, es ist mittlerweile ein Jahr her, dass im ausverkauften Dortmunder Stadion Fußball gespielt wurde. Haben Sie sich an leere Ränge schon gewöhnt? Ich werde mich nie daran gewöhnen. Im Gegenteil: Es wird schlimmer.
Ihnen entgeht bei jedem Heimspiel unter Ausschluss von Fans ein Umsatz von vier Millionen Euro. Was schmerzt Sie mehr, die leeren Ränge oder der finanzielle Verlust? Beides, denn es lässt sich nicht trennen. Das Geschäftsmodell des Fußballs besteht seit jeher darin, dass Zuschauer sich an diesem Spiel erfreuen, Eintritt zahlen und für weitere spieltagsnahe Umsätze sorgen. Es gibt meines Erachtens keinen Klub auf der Welt, der ohne diese operative Situation Gewinne machen kann – es sei denn, er verkauft sein Tafelsilber.
Haben Sie konkrete Erwartungen an die Politik? Nein. Ich hoffe natürlich, dass wir noch in dieser Saison zumindest vor ein paar Zuschauern spielen können. Das wäre für uns emotional eine große Befreiung.
Rechnen Sie denn damit? Ich rechne mit gar nichts mehr. Es ist lediglich meine persönliche Hoffnung. Aber die Richtung gibt die Politik vor.
Ab wann ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, das Stadion zu öffnen? Das ist derzeit nicht von Relevanz. Wir würden es – wenn ein positives Signal aus der Politik käme – auch dann für wenige Zuschauer öffnen, wenn wir vorübergehend Verlust machen würden.
Sie haben im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres einen Verlust in Höhe von 26 Millionen Euro eingefahren. Wie hat sich Ihre Kostenstruktur verändert? Wir haben das maximale Geld dort eingespart, wo es möglich war. Unsere Profis verzichten nach wie vor zu einem gewissen Prozentsatz auf ihre Vergütung, damit konnte eine mögliche Kurzarbeit der restlichen Mitarbeiter im Unternehmen bislang vermieden werden. Wir haben auch bei einzelnen Stellen auf eine Nachbesetzung verzichtet und nicht zwingende Investitionen zurückgestellt.
Wie steht es um die finanzielle Situation des BVB? Wir können fürs Gesamtjahr weiterhin keine Prognose abgeben. Solange die Situation anhält, werden wir keine schwarzen Zahlen schreiben. Unsere Verbindlichkeiten liegen aktuell bei 26,7 Millionen Euro. Das zeigt, dass der BVB eine große wirtschaftliche Stärke hat und sehr stabil ist.
Was macht Sie so optimistisch, dass das so bleibt? Wir brauchen in Anführungszeichen „nur“ unser Geschäftsmodell zurück – das ist der entscheidende Punkt. Unser Geschäftsmodell trägt – das haben wir über viele Jahre nachhaltig bewiesen – sobald wir wieder vor Zuschauern spielen. Und irgendwann wird es wieder so weit sein.
Das wird aller Voraussicht nach noch etwas dauern. Ich mache mir dennoch keine Sorgen, dass wir die Situation bewältigen. Das Geld, das wir in der aktuellen Zeit verlieren, werden wir ohnehin so schnell nicht wieder einnehmen können. Ich rechne damit, dass es mindestens fünf Jahre braucht, um hinsichtlich der Verbindlichkeiten den Status quo vor der Coronakrise zu erreichen. Wir haben im vergangenen Jahrzehnt jedoch sehr konservativ gearbeitet. Deshalb kommt uns zugute, dass wir mit Beginn der Pandemie keinen einzigen Cent Finanzverbindlichkeiten hatten.
Vita Hans-Joachim Watzke
Seit Februar 2005 ist Hans-Joachim „Aki“ Watzke Vorsitzender der Geschäftsführung von Borussia Dortmund. Nach seinem Amtsantritt bewahrte er den Verein vor der Insolvenz und trug entscheidend dazu bei, Borussia Dortmund als sportliche und wirtschaftliche Nummer Zwei hinter dem FC Bayern München zu etablieren.
Vor seiner Zeit beim BVB führte Watzke die Firma Watex, einem Hersteller für Arbeitsschutz- und Berufsbekleidung, den er Anfang der 1990er-Jahre in seiner Heimatstadt Marsberg im Sauerland selbst gegründet hatte. Inzwischen wird das Unternehmen von seiner Frau Annette und seinem Sohn André geführt.
Die Pandemie hat gezeigt,wie gering die finanziellen Reserven vieler Klubs sind. Wie konnte der Profifußball so lange über seine Verhältnisse leben? Es ist zu früh, um mit dem Finger auf andere Klubs zu zeigen. Schließlich konnte niemand absehen, dass das Geschäftsmodell plötzlich vollständig zerschossen wird. Man kann ja auch der Lufthansa nicht vorwerfen, dass plötzlich keine Flugzeuge mehr am Himmel sind.
Die Verbindlichkeiten vieler Klubs sind jedoch beachtlich. Ich glaube, dass wir deutschen Klubs – auch im Vergleich – wirklich gut dastehen, von einzelnen Beispielen abgesehen. Es ist nicht so einfach, im Fußball kühlen Kopf zu bewahren. Das Umfeld fordert den maximal sportlichen Erfolg, sodass man ein Stück weit zum Getriebenen wird.
Ist es ausgeschlossen, dass der BVB einen Spieler aus finanzieller Notwendigkeit verkauft? Ich schließe inmitten einer Pandemie mittlerweile gar nichts mehr aus. Es ist aber nicht zwingend angestrebt. Über allem steht die finanzielle Balance: dass wir eine starke Mannschaft auf dem Feld haben und parallel dazu wirtschaftlich stabil sind. Wenn wir die gesamte nächste Saison ohne Zuschauer spielen, müssen wir sicher auch mal darüber nachdenken, einen Spieler abzugeben. Auf Teufel komm raus bei Banken nach Kreditlinien zu fragen, nur um einen Spieler nicht zu verkaufen, wird nicht unser Weg sein.
Der BVB liegt aktuell sechs Punkte hinter dem ersten Qualifikationsrang für die Champions League – dem klar erklärten sportlichen Ziel. Wie würde sich eine verpasste Qualifikation auswirken? Dadurch bessert sich unsere Situation natürlich nicht. Aber wir würden es aushalten.
Die Verteilung der nationalen TV-Erlöse ist ein wiederkehrendes Diskussionsthema. Manche Konkurrenten fühlen sich in ihrer Konkurrenzfähigkeit beschränkt. Wir haben eine noch relativ frische Einigung und dieser sind gute, zielführende Gespräche der Klubs vorausgegangen. Am Ende des Tages sollten wir natürlich auch immer über Marktwirtschaft sprechen und einen Mittelweg finden zwischen Ursache und Wirkung. Bayern München und Borussia Dortmund bringen der Bundesliga letztlich schon viel Input. Das ist keine Theorie, sondern zum Beispiel anhand der Einschaltquoten eindeutig feststellbar. Es ist fair, dies in irgendeiner Art und Weise zu honorieren. Im Gegensatz zu Ihnen sehe ich es aber so, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Klubs in Deutschland immer das Gemeinsame betont hat.
Sie sehen also keine Notwendigkeit, die Verteilung in irgendeiner Form zu verändern? Nein. Noch einmal: Die aus meiner Sicht sehr solidarische Einigung ist sehr frisch. Eine noch gleichmäßigere Verteilung ist in meinen Augen kaum möglich. Ich habe außerdem den Eindruck, als könne die deutliche Mehrheit der Liga mit dem aktuellen Kompromiss gut leben.
Würde eine gleichmäßigere Verteilung dem ruinösen Wirtschaften vieler Vereine entgegenwirken? Zum einen möchte ich Ihnen hier widersprechen, ich sehe kein ruinöses Wirtschaften vieler Vereine in der Bundesliga. Zum anderen würde auch eine noch gleichmäßigere Verteilung wenig ändern. Der jeweilige Mehrertrag für einzelne Teams würde zu einem hohen Prozentsatz in den Ausgaben für Spieler und Berater aufgehen.
Und eine Aufhebung der 50+1-Regel, gemäß der die Stimmenmehrheit immer beim Verein liegt? Wir müssen aufhören mit dieser scheinheiligen Diskussion. Wir können nicht darüber klagen, dass die Dinge wirtschaftlich aus dem Ruder laufen und parallel über diese Regel diskutieren. Die finanziellen Sorgen sind dort besonders extrem, wo 50+1 nicht gilt.
Was würde sich für Borussia Dortmund ändern, sollte diese Regel eines Tages fallen? Rein gar nichts. Ich weiß, wie die Menschen in Dortmund ticken. Hier ist niemand, aber auch wirklich niemand bereit, seinen Klub zu verkaufen. Für 50+1 lohnt es sich immer zu kämpfen. Ich werde mein Leben lang ein leidenschaftlicher Verfechter dieser Regel bleiben.
Im derzeit ausgespielten Achtelfinale der diesjährigen Champions-League-Saison verlegen einzelne Teams angesichts der geltenden Einreisebestimmungen ihre Heimspiele in andere Länder, um dort ihre Gegner empfangen zu dürfen. Warum spielt man den Wettbewerb derart zwanghaft weiter? Sowohl die Uefa (der Europäische Fußballverband als Veranstalter, d. Red.) als auch die Klubs müssen aus wirtschaftlicher Notwendigkeit „spielen“ bzw. den Wettbewerb veranstalten. Die Terminpläne auch mit der Nachholung der Europameisterschaft tun ihr Übriges. Ich sehe darin auch grundsätzlich kein Problem.
Warum nicht? Ich spreche jetzt mal von unserer Reise nach Sevilla in der vergangenen Woche. Alles geschieht unter Einhaltung von Hygienekonzepten und gesetzlicher Vorgaben. Stichpunktartig zu Ihrer Veranschaulichung: In unserem Flugzeug sitzen nur wir, und zwar als Menschen-Blase, die sich seit März 2020 in einer permanenten Dauertestung befindet. Das lässt sich ja nicht im Ansatz mit auch aktuell vollen Business-Fliegern und Shuttle-Bussen voller Menschen vergleichen, die sich nicht kennen. Dazu: Eigene medizinische Abteilungen, eigene Sicherheitsleute, eigener Koch, eigene Fahrzeuge vor Ort, die gewählten Hotels stehen uns in der Regel exklusiv zur Verfügung. Wir kommen nicht einmal im Essensraum mit Angestellten in Kontakt, die kommen nämlich erst rein, wenn die Spieler schon wieder mit Maske auf ihr Zimmer gegangen sind. Und es ist ja nicht so, dass wir die einzigen Berufssportler wären, die aktuell reisen und arbeiten, auch wenn dieser Eindruck medial bedingt oft entsteht. Weltweit wird Berufssport betrieben. Zum Beispiel gerade Wintersport. Im In- und im Ausland. Will sagen: Am Ende geht es um Konzepte. Die sollten allerdings schlüssig sein und funktionieren.
Es ist der Öffentlichkeit aber schwer zu vermitteln. Es geht nicht um die Signalwirkung, sondern um die Gefährdungssituation. Wenn die Politik eine Entscheidung trifft, muss man sie akzeptieren. Das machen wir. Damit erst gar kein falscher Eindruck entsteht: Wir sind sehr dankbar, dass wir arbeiten dürfen. Wobei die Betonung auf „arbeiten“ liegt. Es geht hier nicht um ein Hobby. Wir betreiben einen immensen Infektionsschutz-Aufwand, der im Hobby- und Freizeitbereich leider nicht im Ansatz zu stemmen ist.
Wie ist denn die Kommunikation mit der Uefa? Sehr gut.
Achtelfinale in der Champions League
Vergangene Woche empfing der FC Sevilla den BVB im leeren Estadio Ramón Sánchez Pizjuán. Der Wettbewerb wird wie geplant fortgeführt.
Im vergangenen Jahr hieß es, man wolle sich im Profifußball demütig und vorbildlich verhalten. Vermittelt der Fußball aktuell nicht das exakte Gegenteil? Nein, denn die überragende Mehrheit aller Beteiligten verhält sich vorbildlich. Dann gibt es ein paar Ausreißer – wie immer im Leben. Der Fußball ist keine Sondereinheit der Gesellschaft. Er bildet sie ab. Wenn bei uns etwas schiefgeht, entschuldigen wir uns. Und dann arbeiten wir mit maximaler Energie daran, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Ihr Vertrag läuft bis Ende 2022. Was sind Ihre Pläne? Ich kenne meine Verantwortung gegenüber diesem Verein sehr genau. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich in der größten Krise von Bord gehe.
Gehen Sie denn, bevor der BVB wieder schwarze Zahlen schreibt? Das kann ich nicht sagen, weil coronabedingt keine Prognosen möglich sind. Ich habe noch keine grundsätzliche Entscheidung getroffen.
Es ist also unwahrscheinlich, dass Sie Ende 2022 ausscheiden. Es ist zumindest nicht mehr so tief in meinen Gedanken wie vor der Pandemie.
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