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Gelatine-Hersteller Gelita Pillen statt Götterspeise

Bei Gelatine denken viele nur an die wabbelnde Masse auf dem Obstkuchen. Der weltgrößte Produzent Gelita aus Eberbach setzt längst auf andere Trends. Doch ein Streit in der Gründerfamilie belastet das Unternehmen.
05.07.2016 - 11:52 Uhr Kommentieren
Aus Häuten, Schwarten und Knochen wird Gelatine. Quelle: Imago
Grüne Götterspeise

Aus Häuten, Schwarten und Knochen wird Gelatine.

(Foto: Imago)

Düsseldorf Es gibt Produkte, über die wird in der Öffentlichkeit eher selten geredet. Schlachtnebenprodukte zum Beispiel. Also das, was vom getöteten Schwein oder Rind neben Fleisch und Organen übrig bleibt. Und von dem eigentlich niemand genau wissen will, was damit geschieht.

In Eberbach am Neckar reden sie relativ offen darüber. Direkt am Flussufer steht der Hauptsitz der Gelita AG. Auf der anderen Seite der Straße liegt die Produktion. Häute, Schwarten und Knochen werden in dem idyllischen Tal zu Gelatine, Kollagen, Peptiden oder Proteinen verarbeitet. Mit einem Anteil von 23 Prozent ist das mehr als 140 Jahre alte Unternehmen Weltmarktführer bei Gelatineprodukten. „Vor allem die neuen Geschäftsfelder wachsen rasant“, berichtet Franz-Josef Konert, seit sechs Jahren Vorstandschef bei Gelita.

Haben viele Menschen beim Stichwort Gelatine nur die wabbelnde Götterspeise im Gedächtnis, so geht der Blick in der Industrie längst in eine andere Richtung, etwa ins Gesundheitswesen. Rund ein Drittel trug der Bereich zum Gesamtumsatz von Gelita von 675 Millionen Euro im vergangenen Jahr bei, 60 Prozent kamen aus dem Lebensmittelsektor, der kleine Rest aus Spezialprodukten, etwa für die Autoindustrie. 

In einer alternden Gesellschaft nehmen Knie- und Gelenkprobleme zu. Und auch junge Leute leiden immer häufiger unter Übergewicht. Deswegen verkaufen sich Mittel, die die Beweglichkeit erhalten und Pillen, die weniger Körperfett und dafür mehr Muskeln versprechen, seit Jahren gut. „In 20 Jahren werden diese Themen dann auch in derzeit noch jungen Gesellschaften wie in China die Menschen bewegen“, ist sich Gelita-Chef Konert sicher.

Vereinfacht gesagt geht es darum, mit tierischem Bindegewebe das allmählich erschlaffende menschliche Bindegewebe zu stärken. Der Einsatzbereich von Gelatineprodukten reicht von Falten bis hin zur Knorpeldegeneration. Richtig angefangen hat Gelita mit dem Segment Wellness und Gesundheit erst Anfang des Jahrzehnts.

Mittlerweile wächst es so stark wie kein anderes. Zur Gewinnmarge, die im Konzern knapp unterhalb des zweistelligen Bereichs liegt, hat es zuletzt überdurchschnittlich beigetragen.

Deswegen soll hier kräftig investiert werden. Das Projekt „Gelita 2015“ hatte Vorstandschef Konert bei seinem Antritt 2010 initiiert. Es wurde mittlerweile durch „Gelita 2020“ abgelöst. Das Ziel: Zehn Prozent des Umsatzes sollen Produkte ausmachen, die nicht älter als vier Jahre sind. Die Hälfte des Gewinns aus neuen Produkten geht gleich wieder in die Forschung.

Den Großteil des Umsatzes erwirtschaftet Gelita außerhalb Deutschlands, der Heimatmarkt spielt aber eine wegweisende Rolle. Das zeigen auch Zahlen des Marktforschers IMS Health. Das sogenannte OTC-Geschäft, also der Absatz von rezeptfreien Pharmaprodukten, wächst deutlich Jahr für Jahr. 2015 wurden Packungen zu Verkaufspreisen von insgesamt 12,4 Milliarden Euro durch Apotheken, Drogerien oder Versandhändler vertrieben. Das waren sechs Prozent mehr als 2014.

Während die Gesundheit boomt, hat der hart umkämpfte Lebensmittelbereich bei Gelita nur mehr die Aufgabe, den Konzernumsatz konstant zu halten, auch wenn die Margen deutlich geringer ausfallen. Das gelingt aber nicht immer. Ganz großer Druck – zuletzt im Jahr 2014 – sorgt schon mal für eine deutliche Delle bei Umsatz und Gewinn.

Neue Geschäftsfelder mit Gelatine. Quelle: Bert Bostelmann
Vorstandschef Franz-Josef Konert

Neue Geschäftsfelder mit Gelatine.

(Foto: Bert Bostelmann)

Langfristig könnten beide Bereiche allerdings zusammenwachsen. Das liegt vor allem an den Essgewohnheiten in den Industrieländern, denen die aufstrebenden Staaten nacheifern. Überall stehen große Portionen auf dem Tisch, die mehr Kalorien enthalten, als der Körper am Tag verbrennt. Die Konsequenz: Fettleibigkeit. Weil die Portionen wohl auch in Zukunft wohl nicht kleiner werden, müssen sie kalorienärmer sein. Das geht unter anderem mit Gelatine, beispielsweise in Salatsoße.

Das wären vielversprechende Aussichten, würde Gelita nicht eine chronische Unsicherheit drohen: 600.000 Tonnen Rohstoffe braucht das Unternehmen pro Jahr, größtenteils besagte Schlachtnebenprodukte. Gelita-Chef Konert versichert zwar, dass wegen der Gelatine kein Tier gezüchtet wird. Wenn es am Firmensitz mal unangenehm riechen sollte, dann komme das von der nahe gelegenen Kläranlage. Doch die Tatsache, dass der Fleischkonsum weltweit steigt, führt nicht dazu, dass Tierhäute im Überfluss am Markt sind. Im Gegenteil: Schlachtnebenprodukte sind manchmal stärker nachgefragt als Fleisch.

Hauptkonkurrent der Gelatine- Hersteller sind die Schuh- und Lederwarenindustrie. Der Preis für den Rohstoff ist massiven Schwankungen ausgesetzt. Besonders von den Schwellenländern wurde der Weltmarkt zeitweise leer gekauft. Die Preise verdreifachten sich innerhalb weniger Monate. Derzeit ist etwas Entspannung angesagt.

Die Nachfrage schwankt jedoch heftig. Zudem muss der Umschlag der Ware wegen der Verderblichkeit schnell erfolgen. Die Preise lassen sich so nur für zwei Monate im Voraus festlegen, sechsmal pro Jahr muss neu verhandelt werden. Lediglich Rahmenbelieferungen lassen sich festzurren.

Die ständige Unsicherheit auf der Rohstoffseite ist jedoch nicht Gelitas einzige Sorge. Ein mittlerweile jahrelanger Streit im Familienkreis beschäftigt Management, Mitarbeiter und die gesamte Region.

„Überflüssig wie ein Kropf“ sei das, sagt Vorstandschef Franz-Josef Konert. Vordergründig geht es um die Strategie des Unternehmens. Im Zuge der Neuausrichtung auf das Geschäftsfeld Gesundheit wurde 2011 die Tochterfirma R.P. Scherer verkauft, ein Hersteller von Gelatinekapseln für Medikamente. „Wir konnten keine Wettbewerber von R.P. Scherer mit Rohmaterial beliefern, wenn wir selbst an einem Hersteller von Kapseln beteiligt sind“, begründet Konert den Schritt. „Zu billig“ sei das gewesen, sagt die Gegenseite.

Vor allem aber geht es bei dem Streit um den Einfluss zweier Flügel der Familie auf das Unternehmen. Bis 2011 waren es sogar drei Parteien, doch die drittgrößte verkaufte ihren Anteil an die zweitgrößte, wodurch diese zur Mehrheitseignerin wurde und die einstige Nummer eins nun nicht mal mehr im Aufsichtsrat vertreten ist. Vom „Dallas im Odenwald“ schrieb die Regionalzeitung.

Im Juli wird nun voraussichtlich vor dem Landgericht Heidelberg weiterverhandelt. Eines bleibt indes gewiss: dass es auch bei Produkten, von denen eigentlich niemand so richtig wissen will, was damit in der Verarbeitung passiert, um richtig viel Geld geht.

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