Gründerzentrum Factory in Berlin Das Silicon Valley in Klein

800 junge kreative Köpfe arbeiten im Gründerzentrum an den Ideen von morgen.
Berlin Es gab Zeiten, da hätte sich ein Mensch im Anzug hier nicht reingetraut. Ganz früher wurde in der alten Fabrik mal Bier gebraut. Nach dem Mauerbau lag das Gelände auf dem Todesstreifen. In den wilden Nachwendejahren nisteten sich Rockerbanden ein.
Heute heißt die Fabrik Factory. Konzernvorstände gehen ein und aus. Sie sind auf der Suche nach jungen, vielversprechenden Start-ups. Auch Spitzenpolitiker sind regelmäßig zu Gast. Bundespräsident Joachim Gauck war da, genau wie der französische Wirtschaftsminister und der britische Schatzkanzler.
Die Location in Berlin-Mitte, zu deren Eröffnung 2014 auch Google-Verwaltungsrat Eric Schmidt kam, ist Arbeitsplatz von 800 jungen Menschen, die für 90 verschiedene, meist noch kleine Firmen werkeln.
Hier angesiedelt hat sie Udo Schloemer. Der Immobilienentwickler aus Stuttgart, ein bulliger Typ mit schwäbischem Akzent, kam in den 90er-Jahren nach Berlin. Er erkannte, welches Potenzial die Start-up-Szene hat, nicht nur als Mieter und Investitionsobjekt – sondern als Innovationstreiber für die deutsche Wirtschaft.
Jetzt will Schloemer das Projekt auf die nächste Ebene heben: Er gründet einen Klub für Unternehmen, die mit seinen jungen Kreativen Kontakt aufnehmen wollen. Die Mitgliedschaft soll 120.000 Euro im Jahr kosten. Google ist bereits eingetreten, und der japanische Pharmakonzern Takeda.

Kurz nach dem Mauerfall hausten Rockerbanden in der alten Fabrik.
Die Kontakte, mit denen der Klub wirbt, kommen nicht nur vom eigenen Campus. Die Factory hat Partnerbüros in angesagten Kreativ-Metropolen wie London, Tel Aviv und San Francisco. 50 Mitarbeiter arbeiten für Schloemer. Sie organisieren Veranstaltungen, die Meet-up, Fire-Side-Chat oder Hackathon heißen. Vor allem sollen sie eines tun: Leute zusammenbringen, die von einander lernen können. Start-up-Unternehmer und Konzernlenker, deutsche Industrievertreter und amerikanische IT-Professoren.
Die Deutsche Bank hat schon mit der Factory zusammen gearbeitet, genauso wie VW oder Air Berlin. „Ein Start-up kann sich jeden Tag selbst infrage stellen – ein Konzern darf das nicht. Dafür hat er Prozesse, Strukturen und Geld, das dem Start-up nutzen kann“, sagt Schloemer.
Mit der Factory an Industriekontakte
An einen derart elitären Klub war nicht zu denken, als Udo Schloemer vor ein paar Jahren die Rocker, die auf dem Gelände hausten, mit einem Lastwagen voll Bier zum Auszug überredete. Der Immobilienmann hat früh in Start-ups investiert. „Damals hat das in der deutschen Wirtschaft niemand ernst genommen“, sagt Schloemer. Mit der Factory baute er ihnen ein Büro nach ihren Wünschen, mit WLAN und flexiblen Plätzen, Telefonzellen für vertrauliche Gespräche im Großraum, und Schlafkojen für müde Programmierer.
Richtig revolutionär war die Idee damals schon nicht mehr. 2009 eröffnete das Betahaus in Kreuzberg den ersten Coworking-Space, seit 2011 gibt es Ahoy! Berlin. Internationale Anbieter wie das Rainmaking Loft oder We Work haben inzwischen Filialen in der Hauptstadt. Die Nachfrage scheint ungebrochen. Die Factory in Mitte wird gerade um ein neues Gebäude erweitert. Zusammen mit den Außenstellen in Friedrichshain, Kreuzberg und Treptow will Schloemer bis 2018 rund 40.000 Quadratmeter Fläche bewirtschaften. Start-ups berichten von langen Wartelisten.
Die Factory ist nicht nur beliebt, weil auf dem Gelände so prominente Namen wie Google, die Musikplattform Soundcloud oder der Taxidienst Uber residieren oder Starkoch Tim Raue im Erdgeschoss ein Restaurant betreibt. Es hat sich herumgesprochen, dass man hier an Industriekontakte kommt.
Jackson Bond etwa, einer der Gründer von Relayr, war mit dem Fahrrad auf dem Weg ins Büro, als ihn ein Factory-Mitarbeiter anrief und fragte, ob er kurz mal kommen und sein Start-up präsentieren könne. Leicht verschwitzt hielt Bond seinen Vortrag über seinen Baukasten, mit dessen Hilfe man Daten aus so gut wie jedem Gegenstand auslesen kann – vom Fahrstuhl bis zur Zimmerpflanze. Erst im Anschluss erkannte er, wer vor ihm saß: Thorsten Müller, Chef der Bosch-Sparte Connected Devices and Solutions. Bosch ist inzwischen ein Kunde von Relayr.
Die etablierten Unternehmen suchen branchenübergreifend nach innovativen Ideen und kreativen Lösungen zum Schutz gegen die digitale Disruption. Es gibt kaum einen Großkonzern, der noch kein Start-up im Portfolio hat.
„Jeder Mittelständler weiß, dass er sich digitalisieren muss“, sagt Klaus Hommels. Der Investor, der mit Lakestar einen der größten europäischen Fonds betreibt, und viele Family Offices kennt, hat in Schloemers Projekt investiert und hilft, Kontakte zu machen. Für ihn ist die Factory ein Ökosystem, eine Art Silicon Valley in Klein. In Kalifornien würden die großen Unternehmen alle in kleine Start-ups investieren. Es bringe aber nichts, auf Teufel komm raus irgendwas zu kaufen. Lieber würde er zwei Mitarbeiter für ein paar Monate nach Berlin schicken, um die Szene kennen zu lernen, sagt Hommels. „Blicken Sie ins Auge des Orkans.“