Insolvenzrecht: Reform soll Lieferanten besser schützen
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InsolvenzrechtLieferant unter Feuer
Nach der Pleite eines Kunden sollte ein Schweißgeräte-Händler bereits beglichene Rechnungen zurückerstatten. Für die Firma hätte es den Ruin bedeutet. Solche krassen Fälle sind in Deutschland keine Seltenheit. Eine Gesetzesreform soll dies künftig verhindern.
Der Insolvenzverwalter eines Kunden forderte knapp 150.000 Euro von seinem Unternehmen zurück.
(Foto: Frank Beer für Handelsblatt)
Duisburg Den 5. September 2016 wird der Duisburger Schweißzubehör-Händler Dietmar Rapp so schnell nicht vergessen. In seinem kleinen Büro oberhalb der Lagerhalle öffnete er gerade die Post, als seine Sekretärin ein halb zerfleddertes Paket hereinbrachte. Es war so dick, dass der Briefträger es mit Gewalt in den Briefkasten geschoben hatte. Im Umschlag fand Rapp ein 65 Seiten starkes Schreiben einer Berliner Anwaltskanzlei. Dazu eine Daten-CD mit weiteren 1.000 Seiten.
Als er zu lesen begann, traute Rapp seinen Augen nicht: Im Insolvenzverfahren seines früheren Kunden, des Dortmunder Metallkonstrukteurs Capito & Assenmacher, ergäben sich Ansprüche gegen ihn als Lieferanten in Höhe von 148.718,48 Euro, stand in dem Brief. Ein Klageentwurf gegen Rapps Firma Stuch Schweißtechnik lag gleich bei, „um ihm eine vollumfängliche Prüfung der anspruchsbegründenden Sachverhalte zu ermöglichen“. Capito & Assenmacher war schon 2014 insolvent gegangen. Zu der Forderung kämen deshalb nun noch Zinsen von rund 14.600 Euro hinzu.
Die Absender des Briefs führten „Ansprüche aus Insolvenzanfechtung“ ins Feld. Sämtliche von Capito & Assenmacher an Stuch geleisteten Überweisungen der letzten zehn Jahre verlangten die Insolvenzverwalter zurück. Das Wort „Insolvenzanfechtung“ hatte Rapp noch nie gehört.
Seit 18 Jahren führt Rapp zusammen mit einem Geschäftspartner die Firma Stuch. Er beliefert kleinere Firmen wie Capito, aber auch große Kunden wie Thyssen-Krupp, Caterpillar oder die Stadtwerke Duisburg. Mit zwei Millionen Euro Umsatz im Jahr hätten Rapp und sein Partner niemals 155.000 Euro aufbringen können. „Wir hätten dichtmachen müssen. Diese Angst begleitete uns mehrere Monate“, sagt Rapp.
Alles aus dem Unternehmen rausquetschen
So wie Rapp ergeht es nach einer Pleite Tausenden Lieferanten, Handwerkern und Dienstleistern. Sie bleiben nicht nur auf offenen Forderungen sitzen. Häufig verlangt Monate oder gar Jahre später der Insolvenzverwalter auch alles zurück, was der insolvente Schuldner noch bezahlt hat. Für Insolvenzverwalter ist die Anfechtung von Überweisungen, die ein insolventes Unternehmen bis zuletzt noch geleistet hat, eine der besten Geldquellen, um für mehr Insolvenzmasse zu sorgen. Für die Gläubiger aber kann sie den Ruin bedeuten. Ihre Rechtssicherheit soll nun mit einem soeben verabschiedeten Gesetz verbessert werden.
Das Insolvenzrecht verlangt, dass kein Gläubiger sich vor anderen Vorteile verschaffen darf, indem er noch rasch seine Außenstände eintreibt. Standardmäßig lässt deshalb jeder Verwalter die letzten Überweisungen einer insolventen Firma überprüfen.
Eigentlich eine sinnvolle Sache. Im Fall des insolventen Stromlieferanten Teldafax etwa hat der Verwalter 350 Millionen Euro von Gläubigern wie dem Finanzamt oder Netzbetreibern zurückgeholt. Die Netzbetreiber hatten ihre starke Stellung genutzt, um Rechnungen bezahlt zu bekommen. Behörden hatten bis zuletzt Steuern und Abgaben eingetrieben, obwohl sie längst wussten, dass Teldafax zahlungsunfähig war.
Tipps für Gläubiger
Weiß ein Lieferant oder Dienstleister von der Zahlungsunfähigkeit seines Kunden, darf er keine Forderungen mehr auf Kosten der übrigen Gläubiger eintreiben. Der Verwalter verlangt sie später wieder zurück. Eine, höchstens zwei Mahnungen gelten als normales Geschäftsgebaren. Kritisch wird es, wenn der Lieferant mehrfach erhöhten Zahlungsdruck ausübt, etwa wenn er den Gerichtsvollzieher schickt.
Generell gilt: Bloß nicht zu viel Schriftliches. E-Mails oder böse Briefe liefern dem Verwalter regelmäßig die besten Beweise, dass der Gläubiger Druck gemacht hat.
Stellt der Gläubiger auf Vorkasse um oder lässt er sich jede Leistung einzeln binnen drei Wochen bezahlen, ist das ein Bargeschäft. Es ist nicht anfechtbar. Die im Rahmen solcher Bargeschäfte geleisteten Zahlungen dürfen aber auf keinen Fall mit alten Außenständen verrechnet werden.
Der Insolvenzverwalter kann sie künftig nicht mehr als Indiz verwenden – im Gegenteil: Sie bestätigen ebenso wie Stundungen, dass der Gläubiger an die Zahlungsfähigkeit seines Kunden glaubte.
Bei einer Auskunftei Informationen einzuholen, ist Standard. Fragt ein Lieferant oder Dienstleister aber bei Mitarbeitern des Kunden nach, ob sie ihre Löhne noch bekommen, ist das schon zu viel. Eigene Erkundungen lassen darauf schließen, dass der Gläubiger Verdacht geschöpft hat.
Auch kommt es vor, dass Firmenchefs kurz vor Insolvenzanmeldung rasch noch überhöhte Rechnungen von Tochterunternehmen begleichen, um so Geld verschwinden zu lassen. Wenn Gläubiger absichtlich noch das Letzte aus einem Unternehmen rausquetschen, bevor es zu spät ist, sind Insolvenzverwalter verpflichtet, die Zahlungen anzufechten. Andernfalls haften sie selbst.
Dietmar Rapp aber war sich keiner Schuld bewusst. Er ahnte nichts von der bevorstehenden Pleite seines Kunden. „Capito & Assenmacher hat über viele Jahre schleppend bezahlt“, erinnert er sich. „Aber sie haben irgendwann immer bezahlt.“ Gegen Ende wurden die Außenstände dort zwar höher, aber sein Kunde hatte ja auch mehr bestellt, weil ein Großauftrag anstand.
„Ich hatte mich noch im Herbst 2013 nach der Bonität meines Kunden erkundigt“, sagt er, „da war noch alles in Ordnung.“ Bis wenige Wochen vor der Pleite hatte sein Kunde ein gutes Rating. Rapp war auch nichts von Lohnstundungen oder anderen Schwierigkeiten zu Ohren gekommen. Ende 2013 schließlich traf man sich mit den zahlungssäumigen Kunden zum Gespräch. Danach wurde wieder etwas pünktlicher bezahlt. Vier Monate später war Capito & Assenmacher pleite. Rapp blieb auf Forderungen über 40.000 Euro sitzen.
In seinem opulenten Schreiben beteuerte das Insolvenzverwalter-Team, dass Rapps Forderungen nicht infrage gestellt würden. Vielmehr solle die Vermögensmasse an alle gleich verteilt werden. Dazu gehörten eben alle bereits von Capito an Stuch bezahlten Rechnungen. Rapp hätte also mehr als 150.000 Euro an den Verwalter zahlen sollen, um vielleicht nach Jahren ein paar Tausend Euro davon wiederzusehen.
„Ein reiner Einschüchterungsversuch“
Rapp suchte vergeblich in Duisburg und in Düsseldorf Hilfe. Schließlich fand er im Internet einen spezialisierten Anwalt in Köln. Dort saß Jürgen Baumeister von der Kanzlei Paschen zwei Tage lang über dem Schreiben seines neuen Mandanten. Auf der 1.000 Seiten starken CD standen vor allem Interna aus der Buchführung von Capito & Assenmacher: Gehälter, Zahlungsströme, Kontenführungen. „Das war doch für den Lieferanten Rapp völlig unerheblich“, moniert Anwalt Baumeister. „Ich betrachte dieses Schreiben mitsamt der Klageandrohung als eine Zumutung. Es war ein reiner Einschüchterungsversuch.“
Marc Zgaga vom Mittelstandsverbund ZGV findet, dass die Anfechtung von Zahlungen an Gläubiger in den letzten Jahren „extreme Auswüchse“ angenommen habe. Einige Dienstleister hätten sich regelrecht darauf spezialisiert, sämtliche Zahlungsvorgänge eines insolventen Unternehmens nach Unregelmäßigkeiten zu durchsuchen. Hat ein Gläubiger gemahnt oder irgendwann Ratenzahlungen vereinbart? Sofort würden umfangreiche Zahlungsforderungen und Klageentwürfe verschickt. Der Insolvenzverwalter von Capito & Assenmacher, Christoph Schulte-Kaubrügger, hält dagegen: „Ich bin als Verwalter verpflichtet, mir die Vergangenheit eines Unternehmens anzusehen. Die Überprüfung aller Vorgänge wurde in den letzten Jahren deutlich professionalisiert.“
Die Gläubiger aber haben nach einem Anfechtungsschreiben nicht nur den Schaden unbeglichener Rechnungen, sondern müssen oft auch den teuren Weg durch die Gerichte nehmen, damit sie nicht riesige Summen an den Verwalter zurückbezahlen müssen. Nach der Erfahrung von Zgaga erleben dann häufig auch Gläubiger den Ruin. Verwalter Schulte-Kaubrügger verweist dagegen auf seinen Ermessensspielraum: „Legt ein Gläubiger seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit offen, kann ich einen entsprechenden Vergleich anbieten.“
Auch der Gesetzgeber hat nun die Nöte der Gläubiger erkannt. Der Bundesrat verabschiedete am Freitag eine Neufassung der Insolvenzordnung. Danach wird es für Verwalter schwerer, einem Gläubiger nachzuweisen, dass er von der Zahlungsunfähigkeit seines Kunden wusste. So wird etwa die Vereinbarung von Ratenzahlungen oder eine Zahlungsstundung künftig nicht mehr als Beleg gewertet, dass der Gläubiger sich vorsätzlich das letzte Geld gesichert hat. Sie gelten vielmehr als Indiz, dass der Gläubiger an die Zahlungsfähigkeit seines Kunden geglaubt hat.
„Im Wirtschaftsleben übliche Zahlungserleichterungen können nun nicht mehr ohne Weiteres für eine Vorsatzanfechtung angeführt werden“, kommentiert Zgaga, „die Hürden dafür sind erheblich höher.“ Ebenfalls neu: Zahlungen, die länger als vier Jahre zurückliegen, kann der Insolvenzverwalter nicht mehr zurückverlangen. Bislang ließen sich – wie im Fall Stuch Schweißtechnik geschehen – alle Zahlungen der letzten zehn Jahre anfechten.
Die Reform der Insolvenzordnung gilt nur für neue Fälle, nicht aber für Gläubiger wie Rapp. Sein Anwalt prüfte den gesamten Klageentwurf. Er fand selbst nach altem Recht nichts, woraus sich Ansprüche des Verwalters an seinen Mandanten ergeben. „Ich fand nicht mal eine Ratenvereinbarung. Mein Mandant hat alles richtig gemacht.“ Entsprechend konterte Baumeister: Rapp habe in keiner Weise Druck ausgeübt.
Sofort lenkte die Gegenseite ein und verlangte nur noch die Hälfte des ursprünglichen Betrags. Rapps Anwalt Baumeister schlug dagegen 7000 Euro vor. Man einigte sich auf 10000 Euro, um einen Prozess zu vermeiden. Stuch Schweißtechnik hat überlebt. „Aber“, so beteuert Rapp, „unser Vertrauen in den Rechtsstaat ist jetzt doch ziemlich erschüttert.“
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