KfW-Studie GroKo will Start-up-Standort Deutschland stärken

Die Lust der Deutschen am Gründen geht zurück.
Hamburg, Düsseldorf, Berlin Es war ein erboster Tweet, mit dem Christian Miele in dieser Woche eine rege Diskussion auslöste: „Die Politik unterschätzt das Risiko, dass Start-ups auswandern könnten. Habe in den letzten Wochen viel mit sehr erfolgreichen Gründern gesprochen. Denen ist es egal, wo ihr Stammsitz ist. Je mehr Steine Gründern in den Weg gelegt werden, desto eher sehen wir sie wegziehen.“
Miele ist nicht irgendwer. Der Spross der Waschmaschinen-Dynastie hat sich als Partner des Berliner Risikokapitalgebers eVenture einen Namen in der Gründerszene gemacht.
Tatsächlich droht im Land der Dichter und Denker ausgerechnet der Gründungsgeist zu erlöschen. Das zeigt eine Studie, die die Förderbank KfW am Donnerstag veröffentlichte. Demnach wäre 2018 nur ein Viertel der Erwerbsbevölkerung gerne sein eigener Chef gewesen. Damit hat der Wunsch nach Selbstständigkeit in Deutschland ein Rekordtief erreicht. Im Jahr 2000 hatte der Anteil laut der Studie noch bei 45 Prozent gelegen, bevor er zunächst allmählich und nach der Finanzkrise deutlich zurückging.
„Der Rückgang der Gründungstätigkeit in Deutschland hat viel mit der sehr guten Arbeitsmarktentwicklung zu tun, dazu kommt der schwindende Gründergeist in der Bevölkerung“, erklärte Georg Metzger, Gründungsexperte bei KfW Research.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus kündigte an, gegenzusteuern. „Wir müssen die Zukunftsfähigkeit des Landes sichern. Das Thema hat in meiner Fraktion Priorität“, versprach er. „Die Konjunktur trübt sich ein, aber wir dürfen nicht allein an Krisenverwaltung denken – wie die SPD und Arbeitsminister Hubertus Heil es tun.“ Gründer zu fördern sei auch „die beste Sozialpolitik“, es gehe darum, in Deutschland „ein solides wirtschaftliches Fundament“ zu erhalten.
Auch Bernd Westphal, Wirtschaftspolitiker der SPD, sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wir brauchen mehr Offenheit für technologischen Fortschritt. Der Staat muss den Gang in die Selbstständigkeit erleichtern, indem der die Rahmenbedingungen für junge Unternehmen verbessert.“ Konkrete Beschlüsse der Großen Koalition lassen aber auf sich warten, die Start-up-Branche ist von der Politik tief enttäuscht.
Eine Ursache für den Rückgang ist nach Meinung von Experten die mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung für Gründer – die sich eben auch in der von Miele beklagten komplexen Bürokratie widerspiegelt. „Es geht gar nicht so sehr um die konkrete Regulierung oder die Höhe eines Steuersatzes“, sagte Peter Jungen dem Handelsblatt. „In Deutschland fehlt das grundlegende Verständnis für die entscheidende Rolle der Unternehmer.“
Jungen selbst ist ein Veteran der deutschen Wirtschaft. In diesem Monat wird der Ex-Chef des Baukonzerns Strabag 80 Jahre alt. Seit Jahrzehnten ist er als Start-up-Investor aktiv.
Migranten sollen schneller gründen können
Jungen warnt: Seit 1995 zeige die KfW-Statistik durchgängig, dass die Zahl der Vollerwerbsgründungen zurückgeht – also die Zahl derjenigen Gründer, die nicht nur nach Feierabend etwa als Amazon-Händler aktiv sind. „Bemerkenswert ist, dass in Deutschland darüber überhaupt keine Diskussion stattfindet“, klagt er. Überschlägig gerechnet entfielen jährlich nur noch 1,5 Prozent der weltweiten Gründungen auf Deutschland – bei vier Prozent Anteil an der Weltwirtschaftsleistung.
„Wir müssen als Gesellschaft potenziellen Gründern helfen, in einer Gründung mehr Chancen und weniger Risiken zu sehen, das gelingt uns aktuell zu wenig“, mahnt auch Hendrik Brandis vom Investor Earlybird, der unter anderem die Bank N26 und UIpath mitfinanziert. Bei Menschen aus anderen Ländern sei der Gründungswille ausgeprägter: „Wenn wir Migranten, die Unternehmen aufbauen wollen, leichter Arbeitsgenehmigungen, Startkapital und Kontakte verschaffen würden, würden wir schnell einen positiven Effekt für die Volkswirtschaft sehen“, sagt er.
Dabei sind Gründer in Deutschland recht erfolgreich, zumindest im frühen Stadium: Nach einer Studie des Start-up-Verbands und der Beratung KPMG entwickelt sich die Szene der besonders innovativen Jungunternehmen gut. Zu den wichtigsten Forderungen der darin befragten Gründer gehört aber, die Bürokratie gerade im ersten Jahr auf ein Minimum zu reduzieren.
„Das muss die Politik auch verstehen: Wenn der Erfolg meiner Firma davon abhängt und ich bessere Bedingungen anderswo habe, dann stelle ich die Heimatverbundenheit hintenan“, warnte Miele. Dabei gehe es oft um Details: In Deutschland sei es etwa deutlich schwerer, Programme zur Mitarbeiterbeteiligung aufzusetzen. Dabei sind diese in der Start-up-Szene oft entscheidend: Die jungen Unternehmen locken Talente mit der Aussicht auf hohe Rendite bei einem Exit, selbst wenn anfangs die Gehälter bescheiden sind.
Immerhin hat die KfW-Untersuchung auch einen positiven Aspekt zutage gebracht. „Dass sich zuletzt die jüngere Generation wieder häufiger eine berufliche Selbstständigkeit vorstellen kann, ist aber ein positives Zeichen“, sagte KfW-Experte Metzger. Es könnte also auch wieder eine Trendwende geben.
Mehr: Einerseits florieren Start-ups in den Metropolen, andererseits scheuen die Deutschen das Risiko. Diese widersprüchliche Entwicklung hat ihre Gründe.
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