Mahle-Chef im Interview: „Wir werden die Elektromobilität neu definieren“
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Mahle-Chef im Interview„Wir werden die Elektromobilität neu definieren“
Der Mahle-Konzern beliefert Autobauer mit Kolben, die für Verbrennungsmotoren gebraucht werden. Chef Wolf-Henning Scheider erklärt im Interview, warum er Bosch verlassen hat, Ferrari sponsert und enge Kurven liebt.
Der Mahle-Chef mit einem Motor in der Hand. „Der Einstieg von Mahle in die Elektronik ist seit vielen Jahren vorbereitet worden“, sagt er.
(Foto: Sebastian Berger für Handelsblatt)
StuttgartWolf-Henning Scheider steht in seinem Arbeitszimmer vor dem Modell eines Ferrari. Seitdem Scheider im Amt ist, prangt der Mahle-Schriftzug auf der Nase des Formel-1-Boliden. Tempo macht der Ex-Bosch-Manager auch bei der Ausrichtung des einstigen Kolbenherstellers auf das Elektrozeitalter. Dem Handelsblatt gibt er das erste Interview seit langem. Nach zwei Jahren ist jetzt seine Handschrift zu erkennen.
Herr Scheider, Sie sind vor zwei Jahren überraschend von Bosch zu Mahle gewechselt. Kurz danach brach der Dieselskandal aus. Haben sie das Unheil für Bosch kommen sehen und sind deshalb geflüchtet? Nein, sicherlich nicht. So eine Chance, zu einem führenden Zulieferer in Deutschland als Vorsitzender der Geschäftsführung zu gehen, gibt es ja ganz selten.
Aber bei Bosch haben sie zuvor die weltgrößte Autozuliefersparte geführt. Mahle hat nicht einmal ein Drittel des Umsatzes. Das sieht wie ein Abstieg aus. Mich hat es gereizt, bei Mahle die Gesamtverantwortung für ein Unternehmen zu übernehmen. Das war der ausschlaggebende Grund. Es hat sich bis heute bestätigt, dass der Schritt richtig war.
Vor kurzem haben sie die Bilanz 2016 vorgestellt. Bei über 12 Milliarden Euro Umsatz nur 60 Millionen Euro Gewinn. Was ist denn schief gelaufen? Es ist nichts schief gelaufen. Wir haben mit dem Wandel in der Automobilindustrie unsere Entwicklungsausgaben deutlich erhöht, und wir mussten und müssen auch weiterhin unser Geschäft restrukturieren. Wir geben Geld in einer guten Phase der Autokonjunktur aus, um für den Wandel der Autoindustrie gerüstet zu sein.
Was sind ihre größten Baustellen? Die neu übernommenen Geschäfte.
Wolf-Henning Scheider
Der gebürtige Saarbrücker Wolf-Henning Scheider studierte in seiner Heimatstadt und an der RWTH Aachen bis 1987 Betriebswirtschaftslehre. Seine Karriere begann der heute 55-Jährige bei Bosch, zunächst als Trainee. Später wurde er Geschäftsleiter für Elektrowerkzeuge in Frankreich. Dann führte er den Vertrieb bei Boschs „Car Multimedia“ in Hildesheim und stieg zum Chef des Bereichs „Gasoline Systems“ auf. Von 2010 bis 2015 gehörte er der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH an. Ab 2013 führte er mit der Kraftfahrttechnik den wichtigsten Konzernbereich von Bosch.
Überraschend wechselte Scheider im April 2015 zu Mahle und übernahm dort drei Monate später den Chefposten von Heinz K. Junker, der in den Aufsichtsrat wechselte. Mahle ist als Kolbenhersteller bekanntgeworden, produziert aber auch Nockenwellen, Ventile und Teile für Klimaanlagen. Weltweit arbeiten rund 76.000 Menschen für das Unternehmen, das sich im Besitz der 1964 gegründeten Mahle-Stiftung befindet.
Also gab es doch Überraschungen nach dem Kauf. Nein, die Themen kannten wir vorher. Aber die Rendite ist eben nicht so hoch wie im bestehenden Mahle-Geschäft. Vor allem die Übernahme der Thermomanagementsparte von Delphi 2015 und auch die elektrischen Kleinmotoren von der japanischen Kokusan Denki erfordern noch Fokus.
Die überdimensionale Kurbelwelle mit den sechs Kolben vor ihrer Firmenzentrale zeugt vom Aufstieg Mahles mit Motorteilen. Wie weit sind Sie, den Konzern strategisch auf Elektromobilität auszurichten? Grundsätzlich denken wir als Stiftungsunternehmen langfristig. Die Ausrichtung auf die Weiterentwicklung von Verbrennungsmotoren auf der einen Seite und eben davon unabhängige Bereiche auf der anderen Seite, findet bei uns schon sehr lange statt. Durch die aktuelle Diskussion hat sich der Umbau in meiner Amtszeit nur noch beschleunigt.
Hilft es, dass Mahle kleiner ist als Bosch? Entscheidend ist, dass man die Umsetzung beherzt angeht und das gesamte Team mitzieht. Jeder Mitarbeiter weiß, wo sein Platz ist und worin sein Beitrag liegt. Ich habe den Eindruck, dass das bei Mahle sehr gut gelingt.
Inwiefern? Wir haben einen schlanken mittelständischen Charakter bewahrt. Der Spielraum für unsere Führungskräfte weltweit ist bewusst sehr hoch. Und das hilft, wenn neue Spieler auftauchen, nicht nur Google, Tesla oder Apple, sondern auch die in China. Da ist unsere flexible Kultur eine Unterstützung.
Wie stark ist Mahle noch vom Verbrennungsmotor abhängig? Die Abhängigkeit liegt heute bereits unter 50 Prozent. Wir wollen diesen Anteil bis 2030 auf 30 Prozent senken. Das soll durch Ausbau neuer Felder geschehen und nicht durch Reduktion der Erzeugnisse für den Verbrennungsmotor.
Wie soll das gehen? Die absolute Zahl der Verbrennungsmotoren wird bis 2030 eher noch zunehmen.
Klingt dennoch anspruchsvoll. Bei Motorteilen sind sie Weltspitze. Bei Elektromobilität trifft man sich mit vielen Wettbewerbern. Ist da der Wertschöpfungsanteil überhaupt zu halten? Beispielsweise beim Thermomanagement haben wir Stärken gegenüber dem Wettbewerb.
Warum ist das so wichtig? Thermomanagement ist einer der Wegbereiter für die Elektromobilität. Denn alle Komponenten erfordern die richtige Temperierung, um die Reichweiten zu schaffen und Komfort im Winter zu bieten.
Dann haben Sie mit der Übernahme von Behr vor acht Jahren einen Glücksgriff getan. Oder war das Absicht? Ich war damals noch nicht da. Aber es war sicher ein sehr guter Griff, Thermomanagement ins Haus zu holen.
Welchen Anteil hat das Thermomanagement an einem Elektroauto? Ich will da keine einzelne Zahl nennen. Aber insgesamt einschließlich Elektromotoren und Nebenaggregate ist der Wertschöpfungsanteil von Mahle beim Elektroauto gleich oder sogar höher als beim Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.
Und der wäre? Heute ist es ein gut dreistelliger Eurobetrag pro Fahrzeug.
ZF-Chef Sommer hat kürzlich gesagt, dass er bei seiner Strategie 2025´, was die Produkte betrifft, richtig gelegen habe, nur würden die Kunden jetzt schon die Produkte für 2020 bestellen. Wurden Sie ähnlich überrascht? Wir lassen uns nicht überraschen. Wir denken schon seit geraumer Zeit in Szenarien, die beinhalten, dass die Elektromobilität viel schneller kommen kann, als es unsere Basisplanung vorsieht. Es gibt eine Beschleunigung; aber wir wurden bislang nicht überrascht.
Aber was heißt das? Im Moment sind Elektroauto und Plug-in-Hybrid die favorisierten Antriebskonzepte. Aber ich möchte nicht ausschließen, dass die Brennstoffzelle irgendwann in den Vordergrund tritt, und auch Gasmotoren mit einem Einsparpotenzial von 25 Prozent bei CO2 werden eine Rolle spielen, um die Klimaziele erreichen zu können.
Wird sich der Konzernumbau negativ auf die Beschäftigung in Deutschland auswirken? Die Hybride werden eine größere Bedeutung als Brückentechnologie bekommen, mit größeren Stückzahlen als das reine Elektroauto. Das ist für Mahle ein Vorteil, denn der Plug-in braucht unsere Technologien. Dadurch entsteht genug Zeit, um die Beschäftigten auf die Zeit vorzubereiten, wenn die Elektroautos 2030 einen signifikanteren Anteil übernehmen.
Stellen sie überhaupt noch Spezialisten für Verbrennungsmotoren ein? Ja, selbstverständlich. Wir werden den Verbrennungsmotor noch kräftig weiter entwickeln. Allein in den nächsten drei bis fünf Jahren sind allein durch Mahle-Komponenten CO2-Reduzierungen von zehn Prozent pro Fahrzeug möglich. Und wir haben weitere Ideen.
Welche ? Wichtige Themen sind Reibungsminimierung und thermische Optimierungen sowie elektrische Nebenaggregate. Langfristig sehen wir auch Potenzial im Verbrennungsverfahren mit der Mahle Jet Ignition, bei der anstelle der Standard-Zündkerze eine Zündstrahl-Einheit verwendet wird, die ultra-magere und damit schadstoffarme Gemischbildung ermöglicht.
Aber das ist doch Technologie aus dem Rennsport. Ja, es ist auch noch ein längerer Weg bis zur Serie. Wir bauen mit der Technologie komplette Demo-Motoren auf, um unseren Kunden die Vorteile zu zeigen.
Sponsert Mahle deshalb seit Ihrem Amtsantritt Ferrari in der Formel 1? Wir sind schon länger als Sponsor dabei, haben aber unser Engagement ausgebaut. Wir zahlen nicht nur den Sponsorenbeitrag, sondern wir entwickeln und liefern auch innovative Technik.
Die Formel 1 ist nicht gerade ein Protagonist für die E-Mobilität? Aber sie ist technisch die Königsklasse im Motorenbau. Unsere duale Strategie bedeutet ja, dass wir auf der einen Seite den Verbrennungsmotor optimieren wollen und auf der anderen Seite mit hohem Aufwand in die Elektromobilität einsteigen. Der Rennsport ist der Bereich, in dem man unter sehr harten Bedingungen Erfahrungen sammeln kann. Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans waren wir mit den Diesel-Aggregaten unterwegs, in der Formel 1 sind es Benziner.
Zucken Sie eigentlich zusammen, wenn der Volvo-Chef sagt, dass er keinen neuen Dieselmotor mehr entwickelt? Eher nicht. Volvo hat ja aktuell einen guten Dieselmotor, den die Schweden auch noch länger einsetzen werden. Ich erwarte, dass die Hersteller zur Erreichung der CO2-Ziele auch noch in der nächsten Dekade auf den Diesel setzen werden, um im Gesamtmix die Klimaziele zu erreichen. Die Aufträge unserer Kunden weisen darauf hin, dass der Diesel absehbar nicht sterben wird.
Warum verkaufen Sie dann das Turbolader-Geschäft? Wir wollen die Komponenten im Verbrennungsmotor stärken, in denen wir führend sind. Wir stellen aber die Felder auf den Prüfstand, bei denen wir nur mit sehr hohem Aufwand in die führende Marktposition kommen können. Dazu zählt der Turbolader.
Wie läuft der Verkaufsprozess? Er läuft nach Plan. Wir erwarten im zweiten Halbjahr einen Abschluss.
Aber da muss ich Ihre vorige Argumentation gegen Sie verwenden. Bei dem Elektromotor zählt Ihr Argument mit der Weltspitze nicht. Irgendwie ist das nicht schlüssig? Es gibt auch in der Elektromobilität Bereiche, in denen wir führende Positionen erreichen können. Das bedeutet vielleicht, dass wir in einigen Feldern unkonventionelle Wege gehen werden.
Und das wäre? Wir gehen Partnerschaften ein, beispielsweise bei Hochvolt-Motoren mit einem anderen Zulieferer.
Mit wem? Das kann ich Ihnen heute mit Rücksicht auf den Kunden nicht sagen.
Dann ein anderes Beispiel bitte? Wir werden zur IAA zeigen, wie wir ein Fahrzeug mal ganz anders gedacht haben.
Da sind wir aber gespannt? Es kann doch für den Stadtverkehr sinnvoll sein, kostengünstig ein E-Fahrzeug zu bauen, dass nur 100 Stundenkilometer schnell ist, mit einem hocheffizienten Motor plus Thermomanagement ausgestattet ist und das entsprechend leicht ist. Mit diesem Fahrzeug werden wir die Elektromobilität neu definieren.
Da sind sie aber nicht der einzige der das versucht. Das Fahrzeug wird von zwei 48-Volt-Motoren angetrieben. Das ist kostengünstiger als ein Hochvolt-Antrieb. Wir sehen da durchaus Chancen, Mahle zu positionieren. Insbesondere, weil die etablierten Zulieferer dieses Feld bislang nicht belegen.
Und was ist mit der Elektronik? Das ist der zweite Bereich. Da haben wir uns gerade mit unserer Übernahme von Nagares in Spanien verstärkt. Den Entwicklungsstandort in Valencia wollen wir kräftig ausbauen.
Wollen sie aus Mahle einen Mini-Bosch machen? Elektronik spielt heute eine wesentliche Rolle. Beispielsweise der Klimakompressor wurde bislang vom Keilriemen angetrieben. Künftig wird er elektrisch sein und braucht damit eine eigene Leistungselektronik. Wir wollen das System aus einer Hand anbieten, weil wir unsere marktführende Stellung bei Klimakompressoren ausbauen wollen.
Reicht denn ihre Elektronik-Kompetenz überhaupt aus? Wir werden weiter in Elektronik investieren; zunächst organisch an allen Standorten. Da muss man auch mal experimentieren. Nicht alles wird sich durchsetzen. Das gehört dazu. Aber wir werden auch einige Durchbrüche erreichen.
Kommen sie da nicht etwas sehr spät? Der Einstieg von Mahle in die Elektronik ist seit vielen Jahren vorbereitet worden. Auch die konkrete Übernahme in Spanien.
Da hat ihr Vorgänger und heutiger Aufsichtsratschef Heinz K. Junker aber nie darüber geredet. Wie ist ihr Verhältnis zu ihm? Gut, wir haben eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Junker hat Mahle 18 Jahre geführt. Kann er denn loslassen? Wir haben als Geschäftsführung durchaus den Spielraum, der erforderlich ist, um den Herausforderungen der Autoindustrie begegnen zu können.
Sind Stiftungsunternehmen im Umbruch im Vorteil oder im Nachteil? Ganz klar im Vorteil. Wir können langfristiger denken und im Zweifelsfall schneller handeln, weil wir schlanke Strukturen haben. Wir müssen keine Rücksicht auf den Kapitalmarkt und die Analysten nehmen oder etwa andere Aktionäre. Bei uns gibt es nur den kurzen Weg zu den Aufsichtsratsgremien.
Der Abstand zu den großen drei Bosch, Conti und ZF ist sehr groß. Mit der Stiftungskonstruktion und damit der limitierter Kapitalbeschaffung dürfte es aber schwer werden, die Lücke zu schließen. Wichtiger als die Gesamtposition ist es mir, dass wir in den einzelnen Geschäftsfeldern vorne sind und wir die Kompetenz für Innovationen haben.
Aber privat sammeln Sie Oldtimer? Ich habe einen Faible für alte Autos, aber sammeln wäre zu viel gesagt. Ich besitze einen 30 Jahre alten 911er Porsche.
Jagen Sie damit über die Nordschleife des Nürburgrings? Nein, ich bevorzuge Alpenpässe. Kürzlich hab ich die Vogesen ausprobiert. Das war eine schöne Sache.
Trotz Motorradfahrer? Das Auto ist noch schmaler, als die heutigen Modelle. Da erschrickt einen der Motorradfahrer auf der Mittellinie nicht. Da hat man noch genug Platz auf seiner Spur zum weiter Gas geben.
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