Managementberater im Interview Hermann Simon: „Jede zweite Firma verdient nicht mal ihre Kapitalkosten“

„In einer Krisensituation verstärken sich hier die Gefahren.“
München Wer Hermann Simon in Bonn besucht, stößt sofort auf die Insignien einer akademischen Karriere. 40 Buchtitel in mehr als 20 Sprachen dominieren den Empfangsraum der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners, in seinem Büro sind die Wände mit Urkunden tapeziert.
Der 73-jährige emeritierte BWL-Professor ist so etwas wie eine Instanz der heimischen Wirtschaft. Er ist der einzige Deutsche, der es in die „Thinkers 50 Hall of Fame“ der wichtigsten Managementdenker schaffte. Einst prägte er den Begriff „Hidden Champion“. Die von ihm 1985 mitgegründete Firma wurde über Dienstleistungen für Mittelständler selbst zum gestandenen Mittelständler, mit rund 1.400 Mitarbeitern in 25 Ländern.
Am Mittwoch erscheint sein Buch „Am Gewinn ist noch keine Firma kaputtgegangen“. Darin erklärt der Berater, warum auch früher hierzulande zu wenig auf den Gewinn geschaut wurde – und dass man auch in Zeiten von Purpose-Diskussionen den Gewinn nicht verachten sollte.
Lesen Sie hier das komplette Interview
Herr Professor Simon, der klassische deutsche Familienunternehmer hält es mit Robert Bosch: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“. Wo bleibt da das Gebot der Gewinnmaximierung, von dem Sie in Ihrem neuen Buch predigen?
Die Haltung Boschs ist die Basis für langfristige Gewinnmaximierung. Als Unternehmer erhält man Vertrauen, wenn man sich anständig verhält und die eigene Position kurzfristig nicht ausnutzt.
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Aber genau das passiert ja regelmäßig. Also kann Gewinnmaximierung kurzfristig schädlich sein?
Ja. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen in einer Notlage des Kunden die Preise über Gebühr anhebt. Oder wenn ein Monopolist seine Überlegenheit ausspielt. Das ist sowohl ethisch als auch wirtschaftlich von Nachteil.
Die große Frage ist: Wo verläuft die Grenze, hinter der Gewinnstreben ins Negative kippt?
Ich habe keine klare Trennlinie, die zwischen „kurzfristig“ und „langfristig“ unterscheidet. Es kann auch gewinnschädigend sein, wenn man Entscheidungen immer auf die lange Bank schiebt. Man muss eine Balance finden.
Aber es gibt unmoralische Gewinne?
Sicher. Sie können aus illegalen Geschäften entstehen, etwa mit Waffen oder Drogen. Dabei dürften die größten Gewinne anfallen, weil ja auch die Risiken sehr hoch sind. Korruption und kriminelle Geschäfte kommen in keinem Lehrbuch vor, sind aber Teil der Realität. Und sie werden vermutlich hochprofessionell betrieben.
„Die Leute haben keine Ahnung von Wirtschaft“
Auch das Mantra von der Gewinnmaximierung ist eine Lehrbuchweisheit. Dabei ist die Realität in einer Firma höchst komplex. Es konkurrieren viele Ziele miteinander...
Gewinnmaximierung ist ein theoretisch sauberes Konzept. In der Praxis weiß man nie genau, was das ist. Dreht man etwa an den Preisen, kann das ungeahnte Folgen für die Kundentreue haben. Der Begriff „Gewinnorientierung“ ist da sinnvoller. Es gibt nie nur das eine Ziel. Aber das Gewinnziel ist schon übergeordnet. Dahinter kommen Ziele für Marktanteile, Beschäftigung, Strategie.
Wenn das stimmt: Warum sind Gewinne dann für viele Familienunternehmen ein Tabuthema, über das sie nicht reden?
Das gilt für Deutschland, nicht aber für Amerika und Asien. Man vermeidet hierzulande das Thema, entweder weil der Gewinn hoch oder weil er niedrig ist. Im ersten Fall entsteht Neid, im zweiten Fall Spott. Man traut sich ja nicht einmal, einen privaten Unternehmer nach der Rendite zu fragen. Auch ich rede nur darüber, wenn die im Bundesanzeiger ausgewiesenen Werte einigermaßen in Ordnung sind.
Was ist der Grund für diese Geldscham?
Das hängt mit unserer Wertekultur zusammen. Über Geld redet man nicht, und Neid ist weitverbreitet. Gesellschaftlich wäre eine andere Einstellung sehr wünschenswert. Die Leute schätzen ja die Profitabilität von Firmen rund sechsmal höher ein, als sie wirklich ist. Niemand kann sich offenbar vorstellen, dass die durchschnittliche Nettorendite bei gerade mal 3,24 Prozent liegt.

Hermann Simon:
Am Gewinn ist noch keine Firma kaputtgegangen
Campus Verlag
ISBN 9783593512303
260 Seiten
34,00 Euro
Die Deutschen lesen von Managern, die zwölf Millionen Euro im Jahr verdienen – und schließen von dort auf hohe Gewinne.
Ja, das wird übertragen. Die Leute haben keine Ahnung von Wirtschaft. Was dazu führt, dass nur sechs Prozent der Deutschen Aktien haben.
Die Banken könnten da leicht aufklären…
…und sie sagen: „Das Thema ist uns zu heiß. Wenn die Aktienkurse mal um zehn Prozent sinken, bekommen wir das um die Ohren gehauen.“ Das kollektive Unverständnis darüber, dass man an Gewinnen partizipieren kann, führt zu einem idiotischen Anlageverhalten. Eine weitere Folge der Gewinnphobie in Deutschland ist übrigens, dass sich zu wenige Leute selbstständig machen. Lieber gehen sie zum Staat.
Und das wollen Sie mit einem Buch, das Gewinne durchgehend preist, ändern?
Mein Ziel ist, deutsche Unternehmer dahin zu bringen, gewinnorientierter zu arbeiten.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.