Maultaschen aus Schwaben Herrgottsb‘scheißerle auf dem Vormarsch

Täglich laufen 1,5 Millionen Maultaschen vom Band.
(Foto: PR)
Crailsheim Osterhasen legen keine Eier, und Maultaschen kommen nicht von Maul. Martin Bihlmaier, Chef des Marktführers Bürger unter den Herstellern der schwäbischen Spezialität, kennt die plausibelste Entstehungsgeschichte des Namens der schwäbischen Leibspeise: Mönche aus Maulbronn erfanden sie.
Maulbronn hat ein weltbekanntes Kloster. Die Mönche waren gottesfürchtig, aber gewitzt. Was tun mit einem Brocken Fleisch in der Fastenzeit? Sie hüllten ihn in einen Teigmantel. So konnte der Herrgott beim Verspeisen das Vergehen gegen die Heilige Schrift nicht sehen. Die „Herrgottsb’scheißerle“ waren geboren und wurden zur beliebtesten Fastenspeise im Ländle. Bürger-Chef Bihlmaier erzählt die Geschichte gerne. Sie illustriert die hiesige Mentalität aus Erfindergeist und einem Schuss Renitenz. Und sie ist Quell des Firmenerfolges.
Am liebsten bescheißen die inzwischen mehrheitlich protestantischen Schwaben ihren Herrn am Gründonnerstag und Karfreitag. Fürs Hochamt der Maultasche hat sich Bihlmaier gut gerüstet. Da kommen schon mal zwei statt der üblichen 1,5 Millionen Maultaschen aus den Maschinen in der Crailsheimer Fabrik. Die Maultaschen steuern über die Hälfte zum Umsatz des 1934 gegründeten Unternehmens bei. Bürger ist aber auch Marktführer bei frischen Spätzle und Schupfnudeln. Bürgers Umsatz wuchs 2015 um 4,6 Prozent auf 185 Millionen Euro. 15 Millionen Euro hat Bihlmaier in den Ausbau der Produktionshallen in Crailsheim investiert. In diesem Jahr nimmt er die 19. Produktionslinie in Betrieb.

Der 42-Jährige führt die Geschäfte in dritter Generation.
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Maultaschen selbst zu machen gilt zwar bei der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau als Ehrensache. Aber weil die häufig heutzutage bei Daimler oder Bosch „schafft“ – wie es hierzulande heißt – und Maultaschen sehr aufwendig zu machen sind, dürfen es immer häufiger auch mal die aus der Fabrik sein. In den vergangenen 15 Jahren verdoppelte sich die Ausbringungsmenge auf 25.000 Tonnen jährlich.
Einen Unterschied sehen nur Kenner, denn Bürger bietet 41 Sorten an, und die Manufaktur-Maultaschen landen häufiger als hausgemachte in der Gastronomie, als sich das so mancher Gast vorstellt. Offiziell sind die Gastronomiekunden allerdings meist Kantinen oder Großküchen. Bürger hat eine große, aber sehr zersplitterte Konkurrenz in den heimischen Metzgereien: Hauseigene Maultaschen – meist eher fleischlastiger – sind ein Muss in allen Läden. Direkte industrielle Konkurrenten, aber deutlich kleiner sind Settele aus Neu-Ulm und Rehm aus Esslingen. Und dann gibt es noch große Konzerne wie die Liechtensteiner Hilcona AG mit über 500 Millionen Schweizer Franken Umsatz. Wegen ihrer breiteren Angebotspalette bei gekühlten Nudelwaren ist Hilcona im Einzelhandel wesentlich präsenter. Italienische Lasagne stellt Bürger zwar auch her, aber nicht unter der eigenen Marke, sondern nur im Auftrag.
Es sind schon etwas andere Dimensionen bei Bürger als in der heimischen Küche: In die gigantische Rührmaschine kommt Mehl tonnenweise direkt aus dem Silo, ein paar Tausend Eier, Wasser und Salz. Gleich nebenan werden die Container mit Fleisch und Spinat gemischt, ein paar Schaufeln Gewürz und Dill kommen dazu. Die Melange drückt eine Maschine in die Teigtaschen. Jede Nacht wird der Betrieb komplett unter Wasser gesetzt und geputzt.
Im Norden tun sich die Schwaben schwer
Eine Armee von 1,5 Millionen Maultaschen wandert täglich über die Bänder, wird anschließend in riesigen Bottichen gebrüht, und dann geht’s ab in die Packstation. Vier Wochen sind sie haltbar, wenn die Kühlkette eingehalten wird. So wird die mühsamste aller schwäbischen Leibspeisen dank Bürger zum „Fast Food“ für jeden Tag. Eine vegane Linie gibt es auch schon, eine vegetarische ebenso und sogar bio. Aber sie führen noch ein Schattendasein.
Im Norden der Republik tun sich die Schwaben bislang schwer. Irgendwo nördlich von Frankfurt ist die Demarkationslinie. Doch es gibt auch jenseits dieser Linie Fans. Der Chef der Edeka-Filiale Essen-Stadtwald, Ralf Schindowski, ordert die Bürger-Maultaschen schon seit Jahren und ist zufrieden, 2015 hat er 324 Packungen verkauft. „Wir sind da auf die Discounter und Lebensmittelhändler angewiesen“, räumt Bihlmaier ein. Immer wieder starten Lidl und Co. Versuche, die Maultaschen auch dort zu verkaufen. Die Eigenmarke von Aldi wird von der Konkurrenz geliefert. Dass man die Köstlichkeit in Brühe zubereiten oder auch einfach anbraten kann, ist dort nicht so leicht zu vermitteln. Und sie als Fertiggericht schon in Brühe anzubieten funktioniert nicht, weiß Bihlmaier. „Dann sehen Maultaschen aus wie Wasserleichen.“
Der 42-Jährige führt die Geschäfte in dritter Generation. Der Großvater hatte den ersten Betrieb noch vom Namensgeber erst gepachtet, dann gekauft. Der heute 78-jährige Vater hat Bürger dann mit Maultaschen groß gemacht. Der Senior wählte einen sanften Übergang. Seit 15 Jahren ist der Sohn in der Geschäftsführung, seit 2008 an der Spitze.
Bihlmaier ist Vorsitzender der „Schutzgemeinschaft schwäbische Maultasche“. So darf seit 2009 nur heißen, was aus Baden-Württemberg und Bayerisch-Schwaben stammt. Und Bihlmaier kann ja vor allem auf eines hoffen: Die Maul-zu-Maul-Propaganda ist zwar langsam, aber sie funktioniert. Denn die Bestellung „Wir nehmen natürlich Maultaschen!“ ist in schwäbischen Gasthäusern immer häufiger auf Nicht-Schwäbisch zu hören. Und diesen Karfreitag kann Bihlmaier sich ja wieder auf seine Landsleute verlassen – damit‘s der Herrgott nicht sieht.
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