Risikokapital Pandemie schürt Existenzangst bei Start-ups

Das Unternehmen aus dem Silicon Valley stellt pflanzliche Fleischimitate her.
San Francisco/Hamburg David Lee ist erleichtert: „Wir wollten selbstbestimmt bleiben“, sagt der Finanzchef von Impossible Foods dem Handelsblatt: „Nur so können wir die besten nächsten Schritte für das Unternehmen gehen.“ Und das ist ihm gelungen. Mitte März – als die Corona-Pandemie sich schon weltweit ausbreitete – schloss sein Unternehmen, ein Hersteller von pflanzlichen Fleischimitaten, noch eine Finanzierungsrunde über 500 Millionen Dollar ab.
Selbstbestimmung ist bei schnell wachsenden Start-ups gleichbedeutend mit Geld. Viele scheitern nicht an einer schlechten Geschäftsidee, sondern schlicht an Geldmangel, bevor die Idee überhaupt den Massenmarkt erreicht. Und die Suche nach Geldgebern ist schon in normalen Zeiten eine Herausforderung. In einer so tiefen Wirtschaftskrise wie sie derzeit die Welt infolge der Corona-Pandemie erfasst, ist sie noch ungleich schwerer.
Lee ist sich dessen bewusst. Zwar liefen die Verhandlungen mit den potenziellen Geldgebern schon seit Herbst. „Trotzdem hätten unsere Investoren bis Ende der ersten Märzwoche noch mit ihrem Geldbeutel abstimmen und gehen können“, sagt der Finanzchef.
In der Coronakrise trennen sich bei den Start-ups eben Spreu und Weizen umso schneller. Zwar gibt es noch immer Unternehmen wie Impossible Foods, die zwei- oder dreistellige Millionenbeträge für weiteres Wachstum einsammeln. Bei anderen Unternehmen ziehen sich die Geldgeber aber zurück - und zwar dies- und jenseits des Atlantiks.
Auf dem deutschsprachigen Markt zählte die Investmentbank GP Bullhound von Anfang bis Mitte April nur 13 Finanzierungsrunden von insgesamt 100 Millionen Dollar. Im Januar waren es noch 69 Deals mit insgesamt 500 Millionen Dollar, im Juli 2019 sogar 95 Deals mit 1,9 Milliarden Dollar.
Investoren stellen Gründer auf eine lange Zeit in der Wüste ein: „Den wahren Schmerz haben wir noch gar nicht gespürt“, sagte Investor Mark Suster von Upfront Ventures kürzlich dem Branchenmedium „Protocol“. „Den wahren Schmerz spüren wir im ersten Quartal des nächsten Jahres.“
Angesichts der in die Rezession rutschenden Weltwirtschaft sind Anleger aller Klassen vorsichtig: Trotz zweiwöchiger Zwischenerholung liegt der US-Aktienindex S&P 500 rund 20 Prozent unter dem Stand von Mitte Februar. Die Start-up-Szene trifft es eher noch härter: Investments in private, oft verlustträchtige Firmen sind illiquide und schon in guten Zeiten oft nur Hoffnungswerte.
Für manche Jungunternehmen sieht es, falls die Pandemie lange anhält, ziemlich hoffnungslos aus: „Wir haben Firmen im Portfolio, deren Umsatz wortwörtlich auf null gesunken ist“, sagt Albert Wenger, Partner beim Risikokapitalgeber Union Square Ventures (USV).
Ein Beispiel sei Sofar Sounds, ein Start-up aus London, das Musiker auf Gigs in privaten Wohnzimmern vermittelt. Andere Unternehmen im USV-Portfolio wie Outschool seien seit Beginn der Krise um mehr als das Zehnfache gewachsen – kein Wunder, das Unternehmen bietet Onlinekurse für Kinder und Jugendliche an.
Aus der Not wird eine Tugend
Es gibt inzwischen viel beschriebene Coronagewinner wie den Videokonferenzanbieter Zoom oder den Streamingdienst Netflix. Aber es gibt auch Unternehmen, denen Investoren eine goldene Zukunft zutrauen, obwohl ihr Geschäft leidet – weil ihre Dienste auch in einer Krise gebraucht werden oder weil sich die Gründer angesichts wegbrechender Umsätze als findig erweisen.
Impossible Foods konnte so auch in der Krise die Geldgeber überzeugen. Investoren von dem südkoreanischen Fonds Mirae Asset Global Investments bis zu Promis wie Katy Perry und „Herr der Ringe“-Regisseur Peter Jackson bewerteten das Unternehmen aus dem Silicon Valley mit knapp vier Milliarden Dollar. Das ist doppelt so viel wie bei der letzten Finanzierung, die noch kein Jahr her ist. Sogar der bekanntere, börsennotierte Konkurrent Beyond Meat ist mit aktuell 4,7 Milliarden Dollar Bewertung inzwischen in Reichweite.
Dabei bedeuten Ausgangs- und Kontaktsperren für Impossible Foods auch nichts Gutes: Statt in ihren Labors in Redwood City neue Fleischimitate zu entwickeln, sitzen die Forscher zu Hause und kümmern sich um Papierkram: wissenschaftliche Aufsätze schreiben oder Patentanmeldungen einreichen.
Impossibles Fabrik im kalifornischen Oakland steht seit Wochen still. Das Unternehmen dürfte sie zwar mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen jederzeit wieder öffnen, weil die Lebensmittelproduktion in Kalifornien als lebensnotwendiges Gewerbe gilt. Aber die Nachfrage kann aus Auftragsfabriken gedeckt werden.
Viele Restaurants, in denen der aus Soja entwickelte „Impossible Burger“ serviert wird, mussten schließen. Die Leute essen stattdessen zu Hause. Also macht Impossible Foods aus der Not eine Tugend: Das Unternehmen beschleunigt die Expansion in Supermärkte. Ab dieser Woche verkaufen rund 1000 US-Supermärkte Impossibles Produkte, fünfmal so viele wie in Vor-Coronazeiten.
Auch das Berliner Start-up Choco musste kreativ werden, als überall in Europa und den USA Restaurants schließen mussten. Choco ermöglicht Lebensmittelbestellungen für Gastronomen beim Großhandel über eine Chat-App. Mit den Coronabeschränkungen brach das Geschäftsmodell in allen neun Ländern, in denen Gründer Daniel Khachab aktiv ist, zusammen.
Dennoch: Eine bereits kurz vor der Coronakrise verabredete Finanzierungsrunde hat Bestand. Khachab teilte am Donnerstag mit, dass der US-Investor Coatue Management 30,2 Millionen Dollar in das Unternehmen steckt. „Ein Fonds mit solch einer Reputation zieht einen geschlossenen Deal nicht zurück“, ist Khachab überzeugt. Den Amerikanern, die unter anderem Uber und Snapchat mitfinanziert haben, dürfte die Entscheidung erleichtert haben, dass Choco die Corona-Herausforderung rasch angenommen hat.
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