Seriensanierer Heinrich und Felix von Nathusius „Industrie funktioniert überall gleich“

„ Es wäre ja töricht, die Erfahrung nicht weiterzugeben.“
Haldensleben Zwischen Helmstedt und Magdeburg liegt das Gelenkwellenwerk Ifa-Rotorion. Stahlmanager Heinrich von Nathusius kaufte und sanierte das marode DDR-Werk nach der Wende. Seit 2013 führt Sohn Felix den Autozulieferer, der heute eine halbe Milliarde Euro Umsatz macht. Vater und Sohn empfangen zum Interview im schlichten Chefbüro. Ein alter Stich hängt über dem Schreibtisch. Darauf zu sehen: Vorfahr Johann Gottlob von Nathusius mit markanter Nase, ein umtriebiger Unternehmer, der Anfang des 19. Jh. die Region prägte. Eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht zu verkennen.
Schon Ihr Urahn Johann Gottlob von Nathusius hat die Wirtschaft von Magdeburg und Haldensleben stark geprägt. Haben Sie beide von ihm das Unternehmer-Gen geerbt?
Heinrich von Nathusius: Unser Vorfahre hatte hier im 19. Jahrhundert einen Konzern mit 30 verschiedenen Industrien aufgebaut. Mit 4000 Menschen hat er sehr modern gewirtschaftet, indem er die ganze Wertschöpfungskette nutzte. Aus Holz seiner Forsten wurden Bretter, die seine Schreinereien zu Möbeln verarbeiteten. Das war eine kleine autarke Volkswirtschaft. Seine Leute hat er zum Teil in eigener lokaler Währung bezahlt. Aber schon mein Großvater war kein Unternehmer mehr, sondern Professor. Nach dem Krieg verschlug es uns in den Westen.
Familie von Nathusius hat nach der Wende die Traditionsfirmen Ifa gerettet und vor einem Jahr die insolvente Mifa gekauft. Sie gelten im Osten schon als „Seriensanierer“. Wie kam es, dass Sie als Stahlmanager Retter ostdeutscher Traditionsbetriebe wurden?
Heinrich von Nathusius: Das war reiner Zufall. Ich war Geschäftsführer des Krupp Stahlhandel, kam einmal im Jahr zur Grabpflege nach Haldensleben in den Osten. Nach der Wende sprach ich beim dortigen Landrat wegen unseres Familienfriedhofs vor. Dabei erzählte er mir vom traditionsreichen Ifa Gelenkwellenwerk, das keiner kaufen wollte. „Das wäre doch ein Signal, wenn jemand aus der Familie Nathusius wieder hierher käme. Wenn Sie das Werk übernehmen, helfen wir Ihnen“, versprach er.
Und da haben Sie Ihr altes Leben im Westen so einfach aufgegeben und sind in den Osten, um ein marodes Werk zu retten?
Heinrich von Nathusius: Das ergab sich gerade gut, da ich 1992 Krupp wegen unternehmenspolitischer Entscheidungen, die ich nicht mittragen wollte, verlassen hatte. Trotzdem hatte ich als Stahlmanager natürlich kein so großes Vermögen, um ein Unternehmen sanieren zu können.
Und wie haben Sie den Kauf finanziert?
Heinrich von Nathusius: Ifa hatte ein großes Verwaltungsgebäude, das wir an das Landratsamt vermieteten. Damit konnten wir den Neustart finanzieren. Der Kaufpreis für Ifa war symbolisch, das Werk war ja nur noch in geringen Teilen funktionsfähig. Die Wettbewerber der Gelenkwellenindustrie hatten alle abgewunken: „Daraus kann man nichts mehr machen. Lassen wir die Firma lieber pleite gehen, dann gibt es einen Konkurrenten weniger.“
Was gab Ihnen als völlig Branchenfremder die Gewissheit, das Werk retten zu können - wo sich das selbst Wettbewerber nicht zutrauten?
Heinrich von Nathusius: Rückwirkend frage ich mich das auch manchmal. Aber ob man nun Stahl verkauft oder Kaugummi – die Industrie funktioniert überall nach den gleichen Grundsätzen.
Die Treuhand machte die Auflage, dass Sie 80 der verbliebenen 350 übernehmen.
Heinrich von Nathusius: Das war unser Glück: Wir konnten uns die Top-Leute unter den Technikern und Entwicklern raussuchen. Und die waren in Aufbruchstimmung: „Wir packen das! Wir zeigen’s den Wessies!“ So eine Motivation kannte ich in den westdeutschen Stahlwerken nicht. Die wurden mehr oder weniger von der IG Metall geführt. Entscheidend war die Begeisterung der Ifa-Belegschaft. Ich war eigentlich nur der Frontoffizier, der Kontakte zu Lieferanten und potenziellen Kunden aufbaute.
Was war das Schwierigste beim Wiederaufbau?
Heinrich von Nathusius: Kunden zu überzeugen, dass mit uns zu rechnen ist. Anfangs haben wir alle Aufträge angenommen, alle bei denen unsere Wettbewerber das Risiko gescheut hatten. „Ja-Sagen und Liefern!“ war unsere Devise. Die Ifa war der wendigste und flexibelste Anbieter mit einer sehr agilen, risikofreudigen Belegschaft. Außerdem halfen uns natürlich die Aufbauhilfen des Landes.