Studienreisen-Anbieter Studiosus Riskante Kundenbindung

Terror ist Gift fürs Geschäft.
München Wer dieser Tage übermäßige Urlaubslust verspürt, sollte sich zur Abhilfe durch die Seiten des Münchener Reiseanbieters Studiosus klicken. „Tunesien: Messer‧angriff auf deutsche Touristen“ ist dort zu lesen, gleich gefolgt von Warnungen wie „Peru: Deutlicher Anstieg der Dengue-Infektionen“ oder „Ägypten: Tote und Verletzte bei Messerattacke auf Touristen im Badeort Hurghada“. Das sei, als drapiere ein Konditor Schildchen neben seinen Torten, auf denen er vor Kalorien warnt, gibt Guido Wiegand zu.
Dabei ist der blonde Hüne selbst verantwortlich für die Schocknachrichten auf der Startseite des traditionsreichen Studienreise-Anbieters. Seit 21 Jahren sorgt er in der Geschäftsleitung für den Außenauftritt des Familienunternehmens, das jährlich rund 100.000 Bildungshungrige in Reiseleiter-geführten Kleingruppen nach Island, Guatemala oder auf Athens Akropolis bringt. So viel wie kein anderer in Deutschland.
Aber Wiegand weiß auch: Studiosus sitzt, nicht anders als Wettbewerber wie Dr. Tigges/Gebeco, CTS oder Chamäleon Reisen, in der Klemme. Und das mehrfach. Weil Bildungsreisen meist in Gebiete führen, in denen Urlauber höheren Bedrohungen ausgesetzt sind als auf Norderney oder am Ballermann, wirkt die aktuelle Terrorwelle wie Gift fürs Geschäft.
Der Marktführer aus München bekam dies in den letzten Jahren zu spüren. Das Reiseland Türkei, derzeit im Brennpunkt des politischen Konflikts mit Deutschland, erlitt 2016 einen Buchungseinbruch von 97 Prozent. Einbußen im zweistelligen Prozentbereich verzeichneten zudem Marokko, Ägypten oder der Oman. Tunesien, wo Islamisten an einem Hotelstrand Urlauber erschossen, fiel komplett aus.
Während selbst gewichtige Wettbewerber wie die Rewe-Tochter Dertour vergangenes Jahr über ein schleppendes Studienreise-Geschäft klagten, hatte sich bei Studiosus schon 2015 der Nettogewinn auf 4,9 Millionen Euro halbiert. Vergangenes Jahr ging die Zahl derer, die mit den Münchenern verreisten, um mehr als drei Prozent zurück. Allein der Umstand, dass Ersatzziele wie Island oder Skandinavien teurer ausfielen als Touren ans östliche Mittelmeer, hielt den Umsatz stabil.
Keine guten Voraussetzungen für den Generationswechsel, der sich in dem 262 Millionen Euro erwirtschaftenden Familienkonzern seit einigen Wochen abzeichnet. Tochter Melanie, 29, hat Firmenchef Peter-Mario Kubsch bereits als Produktmanagerin im Unternehmen untergebracht, im Herbst folgt deren zwei Jahre jüngerer Bruder Florian in die Zentrale. Jeder von ihnen hält schon heute knapp ein Drittel der Geschäftsanteile. Die dritte Generation kommt so immer mehr ins operative Geschäft.
Wann der 62-jährige Vater auch die Geschäftsführung übergibt und ob sie dann den Sprösslingen zufällt, ist noch nicht ausgemacht. Doch in der Geschäftsleitung hat die Verjüngungskur bereits begonnen. Ende April startete Philip Edel als neuer Finanzchef – mit gerade einmal 46 Jahren.
Dass dem neuen Personal die alarmierenden Reisewarnungen auf der Homepage zum Opfer fallen, ist kaum zu befürchten – auch wenn sie Studiosus zwei Prozent Stornierungen einbringen, wie es im Unternehmen heißt. Aber: „Die Krisenwarnungen stärken die Kundenbindung“, beobachtet der 55-jährige Wiegand. „75 Prozent unserer Reiseteilnehmer sind Wiederholer.“
Das Problem: Die weltweite Gefahrenlage gilt nicht als einzige Herausforderung für das 1954 von Großvater Werner Kubsch gegründete Reiseunternehmen. Denn der Markt stagniert, und das schon seit 15 Jahren.
Fast vergessen sind die Zeiten, als die Nachfrage nach geführten Bildungsreisen in großen Sprüngen zulegte. Bis in die 80er-Jahre waren es vorzugsweise Fahrten nach Italien und Griechenland, der angeblichen Wiege der Kultur, die Studiosus das Wachstum sicherten. Früh hatte die Studentenvertretung AStA in München auf Kubschs Dienste vertraut, was den Ausbau vorantrieb und der Firma den Namen gab. Rund um die Uni entstanden zuhauf „Studiosus“-Annahmestellen. Die ersten Kunsthistoriker, erzählt man sich bei Studiosus, reisten per Fahrrad über den Brenner.
Einen zweiten Schub brachte 1989 der Mauerfall. Als einer der ersten Veranstalter bot das Münchener Unternehmen Pauschalreisen für DDR-Bürger an – und zwar solche, die sie sich von den zur Währungsumstellung erhaltenen 400 D-Mark gerade noch leisten konnten. Bei Studiosus buchten sie für 399 Mark viertägige Busreisen nach Bayern – und bekamen meist Tränen in den Augen, als sie das erste Mal die Alpen sahen.
Doch mit solchen vergleichsweise einfachen Angeboten ist es vorbei. Was kaum verwundert. Der durchschnittliche Reisepreis von 2621 Euro weckt Erwartungen, die immer schwerer zu erfüllen sind. Seit europaweit die Gebühren fürs Roaming entfallen, droht das Smartphone sogar den Reiseleiter zu ersetzen.
Antworten auf neue Herausforderungen sind also gefragt in München. Dazu zählen auch die Fähigkeiten der Reiseleiter. Verpflichtete Studiosus bislang Geologen für Island, Kunsthistoriker für Italien-Trips oder Sinologen für die Tour nach China, reicht eine akademische Ausbildung heute nicht mehr. „Sie müssen gleichzeitig gute Entertainer sein“, fordert Wiegand von seinen 570 Reiseleitern. „Nur wer erklären kann, was eine umgestürzte Säule mit dem aktuellen Leben zu tun hat, findet noch Aufmerksamkeit.“
Auch der Reisevertrieb steht vor schwerwiegenden Veränderungen. Die aber fallen dem Unternehmen schwer, glaubt man kritischen Mitarbeiterberichten in Internetforen. Tatsächlich laufen noch immer 85 Prozent des Geschäfts über Reisebüros. 6250 von ihnen hat die Familienfirma unter Vertrag. Doch statt den Buchungsverkehr auf die eigene Internetseite zu lenken, tüfteln die Münchener lieber an einer neuen Form des Reisekatalogs.
Lichtblicke gibt es trotzdem. Bei der hauseigenen Veranstaltermarke Marco Polo hat das Familienunternehmen jetzt Facebook-Seiten eingerichtet, über die sich 20- bis 35-jährige Singles zu gemeinsamen Studienreisen verabreden können. „Young Line Travel“ nennt sich das Angebot, „Scout“ der jeweilige Reiseleiter. Lockten Studienreisen bislang meist Kulturinteressierte höheren Alters, darf Studiosus damit nun auf jüngere Kunden hoffen. Vorausgesetzt, angesichts der jährlichen 250 Reisewarnungen aus München schwindet ihnen nicht der Mut.
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