Trigema-Chef Wolfgang Grupp Willkommen auf Schwäbisch

Teil der „Betriebsfamilie“.
Burladingen Ahmeed Waheed hat flinke Finger. Fast wie im Schlaf schiebt er das Vorder- und das Hinterteil eines T-Shirts in seine Yamato-Nähmaschine. Ein Blick auf das Display, ein sachter Tritt auf das Pedal und die Nadel rast los. Zwei, drei Sekunden, und die eine Seite des T-Shirts ist zusammengenäht, zwei, drei weitere Sekunden, und auch die andere. Nach gut einer Minute ist das Teil fertig, die Prozedur beginnt von neuem.
Der 39-Jährige ist Flüchtling, 2014 floh er wegen ständiger Morddrohungen aus seiner Heimat Gujrnwala im Nordosten Pakistans nach Deutschland. Die Region ist das ideologische Hinterland der islamistischen Taliban im benachbarten Afghanistan. 2015 erhielt Waheed hierzulande Asyl. In seiner Heimat war er der Chef von 80 Näherinnen, hier näht er selber. Dank eines Sprachkurses spricht er inzwischen etwas Deutsch. „Ich bin froh“, sagt er, „eine Arbeit gefunden zu haben.“
Angestellt hat ihn Wolfgang Grupp, Eigentümer von Trigema im schwäbischen Burladingen, mit fast 1.200 Beschäftigten der größte Sweat- und T-Shirt-Hersteller in Deutschland. Nach wochenlangem bürokratischem Hin und Her hat er Waheed Anfang 2016 eingestellt. Der Pakistani ist nicht der einzige vor Krieg und Morddrohungen Geflohene, dem Grupp einen Job gibt. Inzwischen arbeiten 14 Flüchtlinge bei ihm. Mit den bisherigen zeigt sich der Unternehmer hochzufrieden. Das seien „ganz schön taffe Näher“. Vier weitere fangen demnächst an, drei neue haben sich gerade beworben. Damit stellt Trigema, Jahresumsatz von gut 98 Millionen Euro, mehr Flüchtlinge ein als viele Dax-Konzerne.
Der bald 75-Jährige von der tiefsten Schwäbischen Alb ist der große Sonderling unter den deutschen Familienunternehmern. Seine Tiraden gegen Manager, die sich der Haftung für Fehlverhalten entzögen, machten ihn zum Antipoden im Unternehmerlager und Großpolterer in Talkshows. Mit seiner Fernsehwerbung an der Seite eines Schimpansen und seinen häufig wiederholten Plädoyers für den Produktionsstandort Deutschland erlangte er Kultstatus bis weit in die Bevölkerung. Dem fügt der wie immer in Anzug mit Einstecktuch gekleidete Grupp mit den Flüchtlingen nun eine neue Facette hinzu, die man gerade bei ihm nicht erwartet hatte.
Grupp braucht ein Heer von Nähern
Denn Grupp zählt zugleich zu den schärfsten Kritikern der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr „Wir schaffen das“ aus dem Sommer 2015 hätten viele als „Einladung“ verstanden, „die nur vor der wirtschaftlichen Not fliehen wollten“, ist er überzeugt. Merkels Willkommenskultur ärgert den traditionellen CDU-Wähler Grupp seitdem so sehr, dass er vor der baden-württembergischen Landtagswahl vor einem Jahr bekanntgab, den Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Stimme zu geben. „Es geht einfach nicht, jeden hier reinzulassen“, wettert Grupp bis heute.
Das hindert ihn aber nicht, Flüchtlinge einzustellen, wo immer es sich anbietet. „Wir nehmen, wen wir kriegen können“, sagt er. „Und wenn er nicht nähen kann, dann lernen wir ihn eben an.“
Grupps schwäbische Willkommenskultur resultiert vor allem aus der Überlebensstrategie, die er seinem Unternehmen vor gut drei Jahrzehnten verpasste: Um die Billigkonkurrenz aus Fernost auszustechen, verspricht Trigema nämlich, das gewünschte Sweat- oder T-Shirt innerhalb von 24 Stunden bis maximal 48 Stunden in der gewünschten Menge zu liefern, egal ob dem Versandhandelsriesen Otto oder dem Onlinekäufer in Pasewalk an der polnischen Grenze.
Das gelingt aber nur, wenn die Lager von Trigema stets gefüllt sind. Dazu wiederum benötigt Grupp ein Heer von Kräften, das fünf Tage die Woche von morgens sieben bis abends zehn und manchmal auch samstags an den Maschinen sitzt und auf Vorrat produziert.
Rigorose Lohnpolitik
Deshalb sind Grupps Nachwuchssorgen besonders groß: Jedes Jahr verlassen um die 30 Näher das Unternehmen. Auf der einen Seite gebe es immer weniger junge Leute, die es zum Nähen dränge, klagt Grupp. „Die wollen doch alle lieber Abitur machen oder ins Büro.“ Ein Grund dürfte aber auch Grupps rigorose Lohnpolitik sein. Ihretwegen ist Trigema eigentlich nur noch für Arbeitskräfte attraktiv, die partout nichts anderes finden oder in der Gegend bleiben wollen.
Grupp nutzt den Niedergang der Textilindustrie in der Region konsequent, um seine Produktion in Deutschland wettbewerbsfähig zu halten: Er ist in keinem Arbeitgeberverband und hält sich also auch nicht an die entsprechenden Tariflöhne, die 37-Stunden-Woche, die Überstunden- und Spätschichtzuschläge sowie das Weihnachts- und Urlaubsgeld.
Nidal Mustafa aus Afrin bei Aleppo zum Beispiel, der seit September für Grupp arbeitet, bekommt gerade mal 9,50 Euro pro Stunde. Das liegt weit unter dem niedrigsten Tariflohn in der baden-württembergischen Bekleidungsindustrie und nur knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn. Zudem steckt Grupp Neulinge wie Mustafa faktisch in eine zweijährige Probezeit. Bringt der Flüchtling die geforderte Leistung, stellt ihn Trigema erst für ein Jahr, dann zweimal für je ein halbes Jahr an, bevor er auf eine unbefristete Beschäftigung hoffen kann. Flüchtling Waheed aus Pakistan steht mit seinen inzwischen elf Euro auch nicht viel besser da, weil er jeden Monat bis zu 500 Euro an seine Frau in Gujrnwala überweisen müsse. Als Abteilungsleiter in Pakistan habe er 3.000 Euro im Monat verdient. Bittsteller beim Jobcenter will trotzdem keiner der beiden mehr sein. „So ist es viel besser, als dauernd Geld vom Amt zu bekommen“, sagt Waheed.
Bei Deutschlands größtem T-Shirt-Hersteller kann man die wirtschaftlichen Aussichten der Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeitsmarkt wie unter einem Brennglas beobachten: auf der einen Seiten ein Unternehmer, der denjenigen Arbeit gibt, die notgedrungen auf seine Bedingungen eingehen müssen. Auf der anderen Seite aber auch Menschen, die froh sind, überhaupt einen selbstständigen Broterwerb zu finden. Und einen, der sie zum Teil seiner „Betriebsfamilie“ macht. So nennt der Patriarch die Belegschaft von Trigema. Deshalb seien Waheed aus Pakistan und Mustafa aus Syrien auch dabei, wenn er im April 75 Jahre alt werde und jedem Mitarbeiter ein Geburtstagsgeschenk mache – 100 Euro netto, auf die Hand.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.