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Verstöße gegen Publizitätspflicht Das teure Schweigen des Mittelstands

Seit 2008 haben Unternehmen mehr als eine halbe Milliarde Euro Strafe gezahlt, weil sie ihrer Publizitätspflicht nicht nachgekommen sind. Viele fürchten Wettbewerbsnachteile. Wer sich besonders hartnäckig widersetzt.
06.04.2016 - 06:07 Uhr
Ein Veröffentlichungstermin für die Geschäftsberichte ist noch nicht absehbar. Quelle: dpa
Unister-Chef Thomas Wagner

Ein Veröffentlichungstermin für die Geschäftsberichte ist noch nicht absehbar.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Der Bundesanzeiger ist so etwas wie das Who‘s who der nicht börsennotierten deutschen Unternehmen. Seit 2008 müssen sie alle ihre Ergebnisse dort spätestens ein Jahr nach Ende des Geschäftsjahres veröffentlichen, je nach Unternehmensgröße mehr oder weniger detailliert.

Doch die Veröffentlichungspflicht ist für etliche der 1,1 Millionen betroffenen Unternehmen auch eine lästige Angelegenheit. 190.000 von ihnen drohte nach Informationen des Handelsblatts das zuständige Bundesamt für Justiz 2015 ein Ordnungsgeldverfahren an, weil sie die Daten nicht rechtzeitig im Bundesanzeiger veröffentlicht hatten. Das ist der höchste Wert seit dem Startjahr 2008, in dem es den Informationen zufolge rund 475.000 waren.

Bei zwei Dritteln der Unternehmen wirkte die Androhung einer Strafzahlung, und sie veröffentlichten innerhalb der sanktionslosen Frist von sechs Wochen ihre Daten doch noch. Die restlichen Unternehmen jedoch verweigerten die Publizierung, 55.000 Ordnungsgelder setzte das Bundesamt schließlich fest, die Firmen mussten insgesamt 81,1 Millionen Euro zahlen, erfuhr das Handelsblatt.

Ein häufiger Grund für die Verweigerung: Die Unternehmen fürchten Nachteile im Wettbewerb, wenn Konkurrenten oder Lieferanten erfahren, wie viel sie verdienen. Die Unternehmensberatung Roland Berger veröffentlicht deshalb zum Beispiel seit Jahren ihre Zahlen nicht mehr im Bundesanzeiger und nimmt lieber die Strafgelder in Kauf. In Unternehmenskreisen heißt es, man komme derzeit der Publizitätspflicht nicht nach, weil man ansonsten Nachteile gegenüber den US-amerikanischen Wettbewerbern sieht. Die veröffentlichen bereits seit Jahren keine Umsatzzahlen mehr für Deutschland.

Ein anderer Unternehmer, der nicht genannt werden will, sagte dem Handelsblatt: „Bei den nächsten Verhandlungen mit dem Handel drückt der wieder einmal den Preis mit dem Argument, ‚laut Bundesanzeiger hast doch genug verdient‘.“

Evelyn Dost, Expertin der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Schaffer & Partner beobachtet, dass viele Unternehmen die Frist bis zum Ende ausreizen. Denn „je älter die Zahlen sind, desto weniger können große Kunden und Konkurrenten etwas damit anfangen“, sagt Dost. Sie kennt die Angst vieler Unternehmer vor allem im Mittelstand, „dass bei Preisverhandlungen die Margen gedrückt werden“.

Doch auch das Gegenteil kann Grund genug sein, die Zahlen nicht zu veröffentlichen: wenn nicht bekannt werden soll, wie schlecht es womöglich um ein Unternehmen steht. Nach seiner Insolvenz und der Übernahme durch den US-Investor Nicolas Berggruen im Jahr 2010 versäumte zum Beispiel Karstadt mehrfach die Fristen zur Veröffentlichung. Erst im Februar 2013 veröffentlichte Karstadt die Zahlen für das Geschäftsjahr 2010/11 und musste deshalb ein Ordnungsgeld bezahlen. Seit der Übernahme durch den Investor René Benko im Jahr 2014 erfüllt Karstadt wieder die Veröffentlichungspflichten.

Besonders hartnäckig widersetzt sich die finanziell angeschlagene Leipziger Unister Holding GmbH der Veröffentlichungspflicht. Der Betreiber von Internetportalen wie „Ab-in-den Urlaub.de“, „Fluege.de“ oder „Geld.de“ berichtete letztmalig im September 2013 über das Konzernergebnis – und zwar für das Geschäftsjahr 2011.

Die zwölfmonatige Frist, nach der die Leipziger sowohl Bilanz wie auch Gewinn-und-Verlust-Rechnung zur Veröffentlichung freigeben müssen, ist damit um mehrere Jahre überschritten. Dabei gehört das Unternehmen – gemessen an Bilanzsumme, Mitarbeiterzahl und Umsatz – zur Klasse der „großen Kapitalunternehmen“, was für Unister die volle Publizitätspflicht bedeutet. Auf Anfrage heißt es in der Unister-Zentrale immer wieder, die Geschäftsberichte seien in Vorbereitung, ein Veröffentlichungstermin aber noch nicht absehbar.

Doch es treibt noch eine andere Sorge viele Unternehmen dazu, ihre Daten nicht, verspätet oder verkürzt offenzulegen. Steuerberaterin Dost erklärt, dass diese Unternehmer nicht wollen, dass „Mitarbeiter, die etwas von der Materie verstehen, das erwirtschaftete Jahresergebnis einsehen“.

Im Bundesanzeiger finden sich auch Umsatzzahlen, die nicht recht zur Unternehmensgröße passen wollen. Die Begründung eines Unternehmers: Man wolle sich bescheiden geben in der Region. Dazu passe es nicht, wenn man mit hohen Umsätzen oder gar Gewinnen protzt.

Dabei war der elektronische Bundesanzeiger einmal dafür gedacht, dass Geschäftspartner oder Kunden wissen, dass sie es mit einem seriösen Unternehmen zu tun haben. Und nach wie vor, erklärt Thomas Ottersbach vom Bundesamt für Justiz, sei das Ziel, dass alle Unternehmen ihre Jahresabschlüsse veröffentlichen, und nicht, Einnahmen zu erzielen.

Dennoch sind seit 2008 insgesamt knapp 550 Millionen Euro an Ordnungsgeldern wegen fehlender Veröffentlichungen von Jahresabschlüssen dem Bundeshaushalt zugeflossen. Ein netter Nebeneffekt für den Bund, aber ein Rückschlag für die Transparenzbemühungen im deutschen Mittelstand.

Wer offenlegen und wer zahlen muss
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