Weidmüller-Vorstandssprecher Jörg Timmermann Plötzlich Chef

Der neue Weidmüller-Chef in der Produktionshalle.
Detmold Wer Jörg Timmermann zuhört, meint schnell, er habe schon sein halbes Berufsleben bei Weidmüller verbracht. Lärmende Maschinen in der über 6.000 Quadratmeter großen Fabrikhalle verwandeln Tag für Tag acht Tonnen Kunststoff und fünf Millionen Metalleinzelteile in hochpräzise und intelligente Klemmen. Die unscheinbaren Kunststoffblöcke mit viel elektronischem Innenleben ermöglichen die Steuerung von Industrieanlagen und regeln den Datentransfer zwischen Maschinen.
Der 45-Jährige gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er in Zeiten von Big Data über die technologischen Möglichkeiten spricht. „Das ist ein wichtiger Baustein unserer Kernprodukte“, sagt er, „ein Stück Zukunft“.
Die darf der Finanzexperte nun maßgeblich mitgestalten: Seit Anfang März firmiert Timmermann als Vorstandssprecher des ostwestfälischen Steckverbindungsspezialisten. Die Berufung an die Spitze des Familienkonzerns mit rund 700 Millionen Euro Umsatz kam für den gebürtigen Westfalen überraschend.
„Das hat sich so ergeben“, kommentiert er auf seine zurückhaltende Art. Geplant war der schnelle Aufstieg nicht. Schließlich war Timmermann erst Anfang 2016 vom Düsseldorfer Maschinenbaukonzern Gea als neuer Finanzchef zu Weidmüller nach Detmold gewechselt. Im Vergleich zum damals noch vierköpfigen Vorstand wies er den geringsten Stallgeruch auf.
Doch die im vergangenen Herbst für viele überraschende Entscheidung von Vorstandschef Peter Köhler, nach sechs Jahren seinen Vertrag nicht zu verlängern und in den Aufsichtsrat der Familienfirma mit knapp 5.000 Mitarbeitern zu wechseln, warf die Frage nach einer schnellen und überzeugenden Nachfolgeregelung auf.
Die Wahl fiel rasch auf Timmermann. Externe Kandidaten wurden erst gar nicht angefragt. Vorgänger Köhler wollte ihn und schlug ihn vor, auch die Eigentümerfamilie Gläsel zögerte nicht. Timmermann zeichne „unternehmerisches Denken und eine starke Wachstumsorientierung aus“, sagte der Aufsichtsratschef Christian Gläsel anlässlich des verkündeten Wachwechsels.
Timmermann selbst, den berufliche Weggefährten als „bodenständig, offen und zugewandt“ beschreiben, traut sich die neue Rolle zu – so viel Selbstbewusstsein muss sein: „Ich habe es mir gut überlegt, aber nicht gezögert“, sagt der Manager, dessen Frau und Tochter nach wie vor in Dortmund mit Blick auf das Fußballstadion des BVB leben, und das soll vorerst auch so bleiben. „Ich hätte den Posten nicht angenommen, wenn ich im Unternehmen nicht akzeptiert worden wäre.“ Helfen wird ihm bei der neuen Aufgabe der tiefe Einblick in alle Geschäftsbereiche, den er als oberster Finanzer der Firma hat – die Position behält er bei.
Bei der Analyse hat er einigen Veränderungsbedarf festgestellt. „Weidmüller ist ein stark technologiegetriebenes Unternehmen“, sagt er. „Nun müssen wir es schaffen, aus der Qualität unserer Produkte mit dem richtigen Geschäftsmodell auch den entsprechenden Erfolg zu realisieren.“ Andere haben es vorgemacht. Phoenix Contact zum Beispiel. Der Konkurrent sitzt im gerade einmal 16 Kilometer entfernten Blomberg. Die Firma hat in den vergangenen Jahren mit einer anderen Strategie und unterschiedlichen Produkten im selben Segment erfolgreicher abgeschnitten. Weidmüller stagniert dagegen seit zwei Jahren. Dass der Konkurrent der direkte Nachbar ist, schmerzt besonders.
Neue Akzente setzen
Timmermann soll es jetzt besser machen und die Familienfirma zumindest ein stückweit neu ausrichten. Kritik an seinem Vorgänger Köhler sei das nicht, sagt er. Aber es ist schon auffällig, wie deutlich der frühere Wirtschaftsprüfer der KPMG neue Akzente setzt. „Die grundsätzliche Strategie bleibt unverändert: Wir wollen weg vom reinen Komponentenhersteller und uns stärker als Lösungsanbieter profilieren“, sagt er. „Das schaffen wir aber nicht in der kompletten Bandbreite, wir müssen uns fokussieren.“ Ausbauen will er das Geschäft mit der vorausschauenden Wartung von Windkraft- und Fotovoltaikanlagen. Die Maschinenbauer als wichtigste Kundengruppe will Weidmüller unterstützen, ihr Servicegeschäft auszubauen.
Vor allem zwei Sparten nimmt Timmermann in den Blick: die Hersteller von Beförderungssystemen und Lebensmitteltechnik. Hier kennt er sich aus: Bei der Gea war er zuletzt Finanzchef der Sparte Equipment, mit 2,3 Milliarden Euro Umsatz eine der zwei tragenden Säulen des Spezialmaschinenbauers. „Schön profitabel, auch wegen des Servicegeschäfts“, sagt er.
Ausbau Datenanalyse
Die Verbindungselemente, die Weidmüller herstellt, liefern längst die Daten für solche Serviceleistungen – diese Informationen sollen verstärkt ausgewertet werden, um früh Schwachstellen in den Anlagen zu entdecken. Vor einem möglichen Ausfall können Mitarbeiter dann eingreifen. Die Messlatte, die der neue Chef für das Umsatzwachstum anlegt, liegt hoch: „Bei weniger als vier Prozent in diesem Jahr wäre ich enttäuscht.“
Um diese Ziele zu erreichen, plant der Manager Kooperationen sowie verstärkte Zukäufe. Erst Ende 2016 hatte Weidmüller Bosch Rexroth Monitoring Systems gekauft, die sich auf die Überwachung von Rotorblättern in Windkraftanlagen spezialisiert haben. „Die Kasse ist gut gefüllt“, sagt der neue Weidmüller-Chef. „Die Familie ist bereit, da verstärkt zu investieren.“ Noch einmal einen Kauf wie den des Explosionsschutzspezialisten Stahl aus Baden-Württemberg zu versuchen käme aber nicht mehr infrage, erklärt Timmermann. Die Übernahme war vor drei Jahren gescheitert. „Wir haben inzwischen eine andere Zielsetzung.“
Einmal pro Woche tauscht sich Timmermann meist für eine halbe Stunde mit Aufsichtsratschef Christian Gläsel über solche Strategiefragen aus. Aus dem Tagesgeschäft hält sich der erst 44-jährige Inhaber, der die Interessen der Familie in dritter Generation vertritt, dagegen raus. Timmermann findet die enge Anbindung an die Familie hilfreich. Gläsel kenne sich in allen Themenbereichen gut aus, sei kompetent, „wir haben eine sehr gute Diskussionsbasis“, sagt er. „Das Schlimmste ist doch, wenn sie jemanden an der Spitze haben, der nichts vom Geschäft versteht und nur von seiner Autorität lebt.“
Bei einer Familienfirma zu arbeiten habe ihn gereizt, sagt Timmermann. Zwar gebe es auch hier anspruchsvolle Vorgaben an Umsatzentwicklung und Profitabilität. Alles sei aber eingebettet in die übergeordnete Zielsetzung, den Bestand des Unternehmens nachhaltig zu sichern. „Uns sind zwei Euro im Jahr 2020 lieber als 1,50 Euro im nächsten Jahr“, sagt er, räumt aber gleichzeitig ein: „Das muss man sich natürlich auch leisten können.“
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