Einzelhandel Neue Studie: E-Commerce hat eine bessere Klimabilanz als stationärer Handel

Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Klimabilanz des Onlinehandels besser ist als die des stationären Handels.
Düsseldorf Der Umsatz im Onlinehandel ist im vergangenen Jahr um rund 20 Prozent gestiegen, immer mehr Konsumenten kaufen in der Coronazeit im Netz ein – haben dabei aber häufig ein schlechtes Gewissen. Denn angesichts der vielen Lieferwagen, die die Innenstädte verstopfen, und des Verpackungsmaterials fürchten sie, dass sie der Umwelt damit nichts Gutes tun.
Dabei müssten sie, glaubt man einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman und der Logistics Advisory Experts GmbH, einem Spin-off der Universität St. Gallen, kein schlechtes Gewissen haben. Deren umfangreiche und detaillierte Untersuchung der gesamten Lieferkette, die dem Handelsblatt vorab vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass die Klimabilanz des Onlinehandels besser ist als die des stationären Handels.
So liegt der berechnete CO2-Ausstoß beim stationären Handel der Analyse zufolge im Schnitt pro verkauftem Produkt um den Faktor 2,3 höher als im E-Commerce. „Beim Onlinehandel werden viele Waren beim Transport auf der letzten Meile gebündelt“, erklärt Joris D’Incà, Partner und Logistikexperte von Oliver Wyman. Auch brauche er weniger physische Flächen, die beleuchtet und beheizt werden müssten.
Dazu kommt: Viele große Onlinehändler haben in den vergangenen Jahren Maßnahmen ergriffen, ihre Klimabilanz zu verbessern. „Die Zeit des Greenwashing ist endgültig vorbei“, sagt Alexander Birken, Vorstandschef der Otto Group, dem Handelsblatt. „Jetzt zählen konkrete Maßnahmen zur Vermeidung und zur Verringerung von CO2-Emmissionen in den Kernprozessen.“ Klimafaires Verhalten werde für die Unternehmen zur Grundlage ihres Betriebs.
Ganz überraschend ist die gute Klimabilanz des Onlinehandels zumindest für Experten nicht. Im vergangenen Jahr schon hatte das Umweltbundesamt in einem Bericht zahlreiche Studien zu den Klimawirkungen des E-Commerce ausgewertet, und war zu dem Schluss gekommen, dass „in der Mehrzahl der Fälle von einer ökologischen Vorteilhaftigkeit des Einkaufs im Onlinehandel gegenüber einem Einkauf im stationären Handel ausgegangen werden kann“.
Die Untersuchung von Oliver Wyman und den Forschern der Uni St. Gallen wurde zwar von Amazon in Auftrag gegeben, doch die Autoren versichern, dass sie unabhängig durchgeführt wurde. Sie betonen, dass Amazon keinen Einfluss auf die Methodik oder die Ergebnisse der Analyse hatte.
Sie basiert unter anderem auf Umfragen unter 10.000 Konsumenten über ihr Kaufverhalten, der Befragungen von 800 Händlern und öffentlich zugänglichen Statistiken. Daraus haben die Forscher ein eigenes Modell für die Klimawirkungen des Einzelhandels entwickelt.
Modehandel hat die stärkste Klimawirkung
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Umweltfolgen des Handels je nach Land und Produkt deutlich schwanken. Am höchsten ist der berechnete CO2-Ausstoß, in der Studie ist von erzeugten CO2-Äquivalenten (CO2e) die Rede, im stationären Modehandel. Dort liegen sie im Schnitt bei 2888 Gramm CO2e über die acht untersuchten Länder. Im Onlinemodehandel dagegen betragen sie im Schnitt 954 Gramm.
Im deutschen Modehandel erzeugt ein Produkt im stationären Geschäft im Schnitt sogar 4291 Gramm CO2e. Das hat nach Erkenntnissen der Studie mehrere Gründe. Die Hauptursache ist der hohe Anteil an fossiler Energie in Deutschland. Und da das Heizen und Beleuchten der Filialen 60 Prozent der Klimawirkungen ausmacht, schlägt sich das in der Bilanz deutlich nieder. In Frankreich dagegen mit seinem hohen Anteil an Atomstrom liegt die Klimabilanz des stationären Modehandels pro Produkt bei 972 Gramm CO2e.
Es liegt aber auch am Verhalten der Kunden. So haben die Umfragen ergeben, dass ein deutscher Konsument im Schnitt 15 Kilometer Anfahrt zum Einkauf hat – und dafür sehr häufig mit dem Auto fährt. In Italien beispielsweise beträgt der Weg zum Einkauf durchschnittlich nur sieben Kilometer.
„Uns war es wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen für die ökologischen Auswirkungen des Einkaufs und zu zeigen, welchen Einfluss die Fahrt zum Einkauf auf den Klimaschutz haben kann“, erklärt Eva Sprengnetter, die als Co-Autorin an der Erarbeitung der Studie beteiligt war. „Bisher denken die Konsumenten eher darüber nach, was sie kaufen, und weniger, wie sie dies tun“, sagt sie.
Individuelles Verhalten kann einen Unterschied machen, aber meist den Vorteil des E-Commerce nicht komplett ausgleichen. „Wer zu Fuß zum Buchladen geht, kommt auf die gleiche Klimabilanz wie der Onlinekäufer“, sagt Logistikexperte D’Incà. Bei einem Modeartikel erzeugt er auch dann noch den doppelten ökologischen Fußabdruck.

Der Onlinehandel kann den Transport auf der letzten Meile bündeln und so CO2-Emissionen verringern.
Die Klimabilanz beeinflusst hat auch die Tatsache, dass die großen Onlinehändler in den vergangenen Jahren deutliche Anstrengungen bei der Verringerung von Emissionen gemacht haben. „Die Studie zeigt: Der Onlinehandel ist umweltfreundlicher und spart im Vergleich zum traditionellen Handel Ressourcen“, sagt Amazon-Deutschlandchef Ralf Kleber. „Wir versprechen: Amazon will bis 2040 klimaneutral sein, in allen Ländern und Geschäftsbereichen – zehn Jahre vor den Zielen des Pariser Klimaabkommens“, so Kleber. „Und das klappt nur, weil überall im Unternehmen Teams daran arbeiten, Emissionen zu reduzieren.“
Die Otto Group ist da schon weiter. Ihr Ziel, bis 2020 die CO2-Emissionen gegenüber 2006 um 50 Prozent zu senken, hatte sie bereits 2019 erfüllt. Nun hat sie sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 vollständig klimaneutral zu sein.
Zalando verpflichtet sich zu Klimaneutralität
„Die Otto Group hat in den letzten Jahren bewiesen, wie sich die CO2-Emissionen halbieren lassen“, sagt Otto-Chef Birken. Nun sollen die Anforderungen an einen echten klimafreundlichen Betrieb verschärft werden. So betont Birken: „Bis 2030 will die Otto Group das Ziel des klimaneutralen Wirtschaftens mit einer neuen Strategie erreichen – und zwar durch Vermeiden und Reduzieren und erst dann durch Kompensation.“
Zalando hat sich im Oktober 2019 verpflichtet, im eigenen Geschäft klimaneutral zu sein. Das heißt, dass alle CO2-Emissionen, die noch anfallen, durch andere Maßnahmen, wie etwa die Aufforstung von Bäumen, kompensiert werden. 90 Prozent der Energie an allen Zalando-Standorten stammen heute schon aus erneuerbaren Quellen oder werden klimaneutral erzeugt.
Auch Zalando setzt in Zukunft noch stärker auf das direkte Vermeiden von Emissionen als das Kompensieren. So sollen bis 2025 beispielsweise 80 Prozent der Kohlenstoffemissionen aus dem eigenen Betrieb und 40 Prozent aus der Eigenmarkenproduktion eingespart werden.
Im Vergleich zu den E-Commerce-Unternehmen hat es der stationäre Handel deutlich schwerer, seine Klimabilanz zu verbessern. So entfallen allein rund 30 Prozent der Klimawirkung dort auf den Weg der Kunden zum Geschäft – auf den die Händler praktisch keinen direkten Einfluss haben. „Es ist schneller machbar, die Transportmittel auf der letzten Meile zu elektrifizieren, als die Masse der Kunden zum Umstieg auf ökologischere Verkehrsmittel zu bewegen“, betont Expertin Sprengnetter.
Amazon beispielsweise investiert mehr als 600 Millionen Euro in den Aufbau eine Flotte von Elektro-Lieferwagen und hat 100.000 Transporter beim Elektroauto-Start-up Rivian bestellt. Die ersten Transporter sollen bereits dieses Jahr ausgeliefert werden.
Aldi setzt auf Photovoltaikanlagen
Stationäre Händler können da eher indirekt einwirken. So bauen zahlreiche Händler Ladesäulen für Elektroautos auf die Parkplätze ihrer Geschäfte, um die Kunden zu einer umweltfreundlicheren Anfahrt zum Einkauf zu ermuntern. Auch die Standortwahl hat langfristig einen Einfluss: Ikea will künftig mehr Häuser in der Innenstadt bauen, damit die Kunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen können, auch große Discounter wie Lidl und Aldi suchen vermehrt Innenstadt-Standorte.
Um den Beitrag der Geschäfte zu den Emissionen zu senken, steuern viele Händler auf erneuerbare Energien um. „Stationäre Händler können die Energiebilanz ihrer Ladenlokale verbessern, etwa, indem sie Photovoltaikanlagen installieren“, sagt Experte D’Incà. „Das erfordert aber hohe Investitionen“, gibt er zu bedenken.
Leisten können sich das angesichts der niedrigen Margen bei vielen Produkten am ehesten die Lebensmittelhändler. So hat Rewe bereits seine Filialen flächendeckend auf zertifizierten Strom aus Wasser, Wind oder Solar umgestellt. Aldi Süd hat einen großen Teil der 1900 Filialen bereits mit Photovoltaikanlagen ausgerüstet.
Der einfachste Weg für Händler, die Klimabilanz zu verbessern, ist es daher, dem Kunden zusätzliche digitale Services zu bieten, wie beispielsweise Verkäufer, die den Kunden das komplette Angebot per Tablet vorführen. Dann brauchen sie beispielsweise nicht mehr alle Varianten eines Produkts im Laden zu zeigen – und könnten die Fläche des Geschäfts deutlich reduzieren.
Mehr: Klimaschutz, Menschenrechte, Digitalisierung - Wie Unternehmen ihre Kommunikation verändern
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Faktor 2,9 klingt etwas schön gerechnet. Vermutlich würde man mit den ganzen Retouren den Faktor des Onlinehandels direkt killen.
Aber solche Studien sind ja oft auch vom Onlinehandel selbst. Was man bei einem solchen Verhältnisch durchaus hinterfragen könnte.