Elementarschäden Unternehmen in Flutregionen bekommen offenbar kaum noch Versicherungen

Die Flut war den Erkenntnissen der meisten Wissenschaftler zufolge nur der Beginn zunehmender Unwetterereignisse im Zuge des Klimawandels.
Berlin Die Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Juli haben nicht nur Wohnhäuser, sondern auch zahlreiche Firmenstandorte zerstört. Der Wiederaufbau läuft, stellt Unternehmer jedoch vor erhebliche Schwierigkeiten. Manche Versicherer sind nicht mehr dazu bereit, Betriebe gegen derartige Elementarschäden zu versichern.
An den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) seien bereits eine Reihe Unternehmen mit diesem Problem herangetreten, erfuhr das Handelsblatt von mehreren mit dem Thema betrauten Personen. Teilweise würden die fehlenden Versicherungen dazu führen, dass die Firmen keine Bankkredite erhalten oder diese nur zu schlechten Konditionen gewährt bekommen.
Die Überschwemmungen vom Juli im Westen Deutschlands gelten als Jahrhundertflut. Für die Bewältigung der Schäden hatten sich Bund und Länder auf einen Fluthilfefonds im Volumen von 30 Milliarden Euro geeinigt.
Doch die Folgen reichen über den Wiederaufbau hinaus. Die Flut war den Erkenntnissen der meisten Wissenschaftler zufolge nur der Beginn zunehmender Unwetterereignisse im Zuge des Klimawandels. Außerdem geht die Angst vor zunehmenden, nicht versicherbaren Elementarschäden durch die voranschreitende Digitalisierung oder durch Pandemien um.
„Die Entwicklung des Covid-19-Virus und die Flutschäden haben uns in erschreckender Weise gezeigt, dass in unserer globalisierten und vernetzten Welt systemische Risiken jederzeit einen schweren Schaden für die deutsche Wirtschaft herbeiführen können“, heißt in einem Schreiben des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW), das dem Handelsblatt vorliegt. „Es besteht die zunehmende Gefahr, dass immer mehr Unternehmen ihre Bauten und Anlagen nicht mehr versichern können und in der Folge sogar Probleme mit Ihrer Finanzierung erhalten könnten“, sagt Alexander Mahnke, GVNW-Präsident und Versicherungschef der Siemens-Finanzsparte.
Justizminister der Bundesländer sollen Pflichtversicherung prüfen
Nun erwägt die Politik gegenzusteuern. Die Justizminister der Länder sollen die Einführung einer „Pflichtversicherung für Elementarschäden“ prüfen lassen. Das wollen die von der Juli-Hochwasserkatastrophe besonders betroffenen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erreichen, wie eine Beschlussvorlage für die Justizministerkonferenz am 11. und 12. November in Berlin zeigt, die dem Handelsblatt vorliegt.
Darin heißt es: „Angesichts der verheerenden Folgen der Flutkatastrophe im Juli 2021 erachten die Justizministerinnen und Justizminister es für dringend erforderlich, neben dem bisherigen System aus Staatshilfen und privaten Spenden weitere Modelle der Regulierung von Schäden an privaten Wohngebäuden im Falle von Naturkatastrophen zu prüfen.“
Bei dieser Prüfung werde auch die Versicherungssituation von Unternehmen Berücksichtigung finden, teilte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums mit. Dafür solle die ehemalige Arbeitsgruppe „Pflichtversicherung für Elementarschäden“ ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz hatte 2017 bereits einen Bericht vorgelegt, nach dem „erhebliche rechtliche und tatsächliche Bedenken“ gegen die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden sprechen.
Nach der neuen Beschlussvorlage soll die Arbeitsgruppe nun erneut prüfen, ob einer Einführung „weiterhin verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen oder zwischenzeitlich aufgrund der aktuellen Datenlage zu den klimatischen Veränderungen sowie zu dem Versicherungsmarkt eine andere Bewertung gerechtfertigt ist“.
Der rheinland-pfälzischen Justizminister Herbert Mertin (FDP) hat trotz der eigenen Beschlussvorlage Zweifel. „Es würde das Lebensrisiko eines abgrenzbaren Bevölkerungskreises auf die gesamte Versichertengemeinschaft verlagert, obwohl es derzeit für praktisch jeden Eigentümer möglich wäre, sich individuell gegen entsprechende Elementarschäden zu versichern“, sagte Mertin dem Handelsblatt. Das Vorhaben würde zudem einen hohen Verwaltungsaufwand bedeuten.
Weniger als die Hälfte der Hausbesitzer hat Elementarschadenschutz
Für Privatpersonen könnte eine Pflichtversicherung ein elementares Problem lösen: Viele Hausbesitzer hatten sich vorn vornherein nicht gegen Elementarschäden versichert, sodass der Staat einspringen musste.
Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind Überschwemmungen oder Erdrutsche bisher nicht in der gewöhnlichen Wohngebäudeversicherung enthalten, mit der sich Hauseigentümer gegen Sturm, Hagel oder Blitzschlag absichern.
Weniger als die Hälfte der 17 Millionen Hausbesitzer wählt demnach den Elementarschadenschutz hinzu. Alternativ zur Pflichtversicherung schlägt der GDV ein Modell vor, nach dem sich Kundinnen und Kunden künftig bei Abschluss einer Versicherung aktiv gegen einen Elementarschadenschutz entscheiden müssten.
Ein Ansatz für die Probleme der Wirtschaft dürfte das nicht sein. Die Versicherungswirtschaft steht eher vor der Herausforderung immer weniger kalkulierbarer Risiken als davor, dass die Unternehmen sich nicht versichern wollen. Aufgrund der niedrigen Zinsen müssten die Risikoprämien in Sphären steigen, die für Unternehmer kaum noch tragbar sind, damit es sich für den Versicherer rechnet. Eine Pflichtversicherung oder ein Widerspruchsmodell erachtet daher auch die Wirtschaft nicht als Lösung.
Der GVNW schlägt stattdessen eine öffentlich-private Partnerschaft vor. Durch die Beteiligung des Staates könne die Risikoprämie in einem angemessen Rahmen gehalten werden. Es bliebe aber bei einem freiwilligen Instrument.
Vorbild Extremus-Versicherung?
Vorbild könnte die Extremus-Versicherung sein. Die Aktiengesellschaft war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von der Mehrzahl der namhaften deutschen Versicherungsunternehmen gegründet worden, darunter Allianz und Munich Re. Nach den Anschlägen hatten sich Versicherer und Rückversicherer weltweit nicht mehr in der Lage gesehen, Schadenereignisse dieser Größenordnung im Rahmen konventioneller Verträge abzudecken.
Wirtschaft und Politik verständigten sich deshalb darauf, dass bei Versicherern von Feuer- und Betriebsunterbrechungsversicherungen über die Extremus Terrorrisiken einbezogen werden. Die jährliche Höchstgrenze insgesamt für die Entschädigungen liegt aktuell bei neun Milliarden Euro.
Die ersten 2,5 Milliarden Euro tragen die Gesellschafter. Für Beträge darüber hinaus springt der Staat ein. „Extremus könnte mit Klima- und anderen Schäden ausgebaut oder eine weitere Gesellschaft nach diesem Vorbild geschaffen werden“, sagt Jürgen Seiring, Geschäftsführer der Versicherungstochter des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).
Der GVNW war nach eigener Aussage bereits im Mai 2020 mit dem Vorschlag einer öffentlich-privaten Partnerschaft auf Bundeswirtschafts- und -finanzministerium zugegangen. Damalige Motivation waren noch die Folgeschäden durch die Pandemie, bei denen ein Rückzug mancher Versicherer befürchtet worden war. „Unser Anliegen schien dort aber nicht als besonders dringend betrachtet worden zu sein“, kritisiert Präsident Mahnke. Die Ministerien wollten dazu keine Stellung beziehen. Man befasse sich aber mit dem Thema.
Neben dem GVNW soll auch der DIHK das Thema nun vorantreiben wollen. Die Organisation ist demnach auf die aktuelle Bundesregierung und die Koalitionsverhandler zugegangen. Die Angelegenheit wird in den Verbänden als entscheidend für die weitere Entwicklung des Standorts Deutschland erachtet. Manche sagen, im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung müsse dem Thema ähnlich viel Raum eingeräumt werden wie Klimaschutz oder Digitalisierung.
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