Kreislaufwirtschaft Rohstoff Müll: Die 800-Milliarden-Euro-Chance der Industrie

Deutschland muss in Zukunft mehr Rohstoffe wiederverwerten.
Düsseldorf Der Wagen blitzt und ist schnittig, so wie viele andere Automodelle. Doch in dem Elektrokleinwagen, den BMW auf der diesjährigen Automobilausstellung IAA präsentierte, steckt die geballte Zukunft: So könnte der Münchener Hersteller in einigen Jahren seine Autos fertigen – aus Abfall.
Einen Müllwagen soll das Auto natürlich niemand nennen. Der offizielle Name klingt viel besser. „i Vision Circular“ lautet er. BMW hat ein Auto geschaffen, das fast ausschließlich aus einfach recycelbarem oder bereits wiederverwendetem Material besteht. Es soll das erste vollständig zirkuläre Auto des Konzerns werden. Zum Vergleich: Bei konventionellen Modellen wird nur etwa ein Drittel der Materialien wiederverwendet. Der Rest muss verbrannt oder entsorgt werden.
Es ist ein ökologisch wie ökonomisch unsinniges Phänomen in der globalen Wirtschaft: Jedes Jahr holt der Mensch mehr als 100 Milliarden Tonnen Rohstoffe wie Öl, Gas und Metalle aus der Erde. Nur 8,6 Prozent davon werden laut diesjährigem „Circularity Gap Report“ wiederverwendet. Gelänge es, aus dem Abfall die ursprünglichen Stoffe wiederzugewinnen, könnten Probleme wie Umweltverschmutzung oder Lieferengpässe gleichzeitig behoben und das Klima geschützt werden.
Deutschland gilt als Nation der Mülltrenner. Doch von einer echten Kreislaufwirtschaft, im englischen Circular Economy (CE) genannt, ist die Bundesrepublik weit entfernt. Während Nachbarländer wie die Niederlande ganze Kreislaufstrategien entwickeln, Quoten festlegen und Ziele vorgeben, läuft Deutschland Gefahr, den Anschluss an einen Milliardenmarkt zu verpassen.
Zirkuläre Wirtschaft könnte bis 2030 allein in Deutschland ein Marktvolumen von bis zu 200 Milliarden Euro erreichen. Für Europa sind es sogar bis zu 800 Milliarden Euro. Das ergeben exklusive Berechnungen der Unternehmensberatungsgesellschaft BCG für das Handelsblatt.
Nachhaltige Rohstoffe sind bisher nicht rentabel genug
Warum wird dieses Potenzial nicht genutzt? Die simple Antwort: weil es sich bislang nicht gelohnt hat. Das globale Wirtschaftsmodell ist seit Jahrzehnten auf die Förderung von Rohstoffen aus der Erde getrimmt. Das ist effizient und vergleichsweise preiswert.
„Bisher war eine zirkuläre Wirtschaft aus Kostengründen oft nicht attraktiv und damit auch selten relevant. Die Unternehmen arbeiten derzeit meist mit dem kurzfristig günstigsten Material“, sagt BCG-Experte Alexander Meyer zum Felde.
Doch das ändert sich gerade. Denn Verfügbarkeit und Zugang zu Ressourcen werden zu einem der größten Geschäftsrisiken für die Industrie. Ganz deutlich zeigt dies die aktuelle Mangelwirtschaft nach der Pandemie. Unternehmen müssen enorme Mehrkosten für dringend benötigte Rohstoffe schultern, weil deren Preise in die Höhe schießen.
Schlagartig rückt wieder einmal ins Bewusstsein, was eigentlich eine Binsenweisheit ist: Deutschland besitzt kaum Rohstoffvorkommen. Mit der Energiewende steigt die Abhängigkeit von Rohstoffimporten noch einmal enorm an. Seien es Lithium, Kobalt und Nickel für die Produktion von Elektroautobatterien, seltene Erden für Windradmotoren oder Kupfer und Aluminium für den Ausbau der Stromnetze – ein klimaneutrales Deutschland braucht Unmengen dieser Metalle.
75 Prozent Wiederverwertung sind möglich
Dabei sind die Rohstoffe längst im Land – sie stecken in Plastik, Batterien, Verpackungen und sogar in der Luft. Zirkuläre Wirtschaft könnte Unternehmen dauerhaften Zugang zu den wichtigen Materialien sichern.
Dafür sind laut BCG bis 2040 Investitionen in Höhe von 50 bis 60 Milliarden Euro erforderlich. „Damit wäre eine bis zu 75-prozentige tatsächliche Kreislaufwirtschaft bei vielen Materialen in Deutschland möglich“, sagt Meyer zum Felde. Und zusätzlich würden über eine Million zusätzlicher Arbeitsplätze entstehen.
Rohstoffsicherung und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Die Kreislaufwirtschaft hat nach Berechnungen der Ellen McArthur Stiftung das Potenzial, den CO2-Verbrauch um 45 Prozent zu senken. Etwa, wenn die Chemieindustrie Kohlenstoff nicht mehr aus Öl und Gas beziehen würde, sondern aus Altkunststoffen, Pflanzen oder sogar aus CO2 selbst. „Mit der Kreislaufwirtschaft können wir Wachstum und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppeln“, sagt BASF-Chef Martin Brudermüller.
Doch davon ist man weit entfernt. Aktuell liegt der Anteil der tatsächlichen Kreislaufwirtschaft in Deutschland bei gerade einmal rund zwölf Prozent der insgesamt genutzten Rohstoffe – und das auch nur dank Pfandflaschen und Altpapier. „Deutschland ist Recycling-Weltmeister, hat die beste abfallwirtschaftliche Infrastruktur. Beim Thema Kreislaufwirtschaft sind wir aber nur Durchschnitt“, sagt Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.
Immer mehr Produkte seien zwar recycelbar, landen aber trotzdem in der Verbrennungsanlage oder werden von Getränkeflaschen zu Shampoo-Behältern, die nach einmaliger Verwendung auf der Deponie landen. Fortschritt? Fehlanzeige. Das Wachstum der zirkulären Wirtschaft in Deutschland liegt gerade mal bei 0,1 Prozent pro Jahr.
Ein steigender CO2-Preis, strengere Klimaziele und die aktuelle Krise auf dem Rohstoffmarkt könnten das allerdings jetzt ändern. „Für viele Unternehmen ist das gerade ein großer Schock“, sagt Wilts.
Chemieindustrie vor dem Wandel
Vor besonderen Herausforderungen steht die Chemie, Deutschlands drittgrößter Industriezweig. Jahrelang tat sich wenig bei der Entwicklung zirkulärer Stoffströme, die die alte Welt des „Förderns, Verarbeitens, Wegwerfens“ beenden könnten. Doch den Managern ist klar: „Die Chemie muss sich erheblich wandeln – weg vom Öl, hin zu grünen Rohstoffen und Ökoenergie“, sagt Markus Steilemann, Vorstandschef des Kunststoffherstellers Covestro.
Steilemann will Covestro vollständig auf Kreislaufwirtschaft umstellen und komplett weg von Öl und Gas. Das ist theoretisch einfach: Die Chemie braucht eigentlich nur den Kohlenstoff, der Grundlage für die Weiterverarbeitung zu Plastik und anderen Chemieprodukten ist. Der wird seit Jahrzehnten aus Öl und Gas gewonnen.
Dabei ist er anderswo massenhaft vorhanden. Etwa im Kohlendioxid, das es praktisch umsonst gibt. Covestro vermarktet bereits die ersten Kunststoffprodukte, bei denen der benötigte Kohlenstoff aus dem Klimakiller-Gas gewonnen wurde. Das Material wird an Hersteller von Sportböden, Matratzen und Autositzen verkauft.
Doch das sind bislang noch enge Nischen: 10.000 Tonnen an zertifizierten erneuerbaren Rohstoffen hat Covestro im vergangenen Jahr eingesetzt – von insgesamt vier Millionen Tonnen, die überwiegend aus Rohöl stammen. Covestro will die Produktion mit grünen Rohstoffen jetzt aber nach und nach hochfahren.
Ein Hemmschuh in der Wiederverwertung von Kunststoffen ist deren Beschaffenheit: Weil sie meist aus einem Mix bestehen, braucht man ein aufwendiges und energieintensives chemisches Recycling. Doch die Technologie macht dabei große Fortschritte. Steilemann sieht daher ganz andere Bremsen bei der Kreislaufwirtschaft: „Die größte Herausforderung ist, dass wir es mit einer Gesamttransformation, einem Paradigmenwechsel zu tun haben“, sagt der Manager. „Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihr Verhalten ändern, und es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, dass dies nötig ist und dass es sich auszahlt.“
Batterien von Elektroautos sind die neue Mine
Wie sinnvoll eine funktionierende Kreislaufwirtschaft sein kann, zeigt sich nicht nur beim Plastikmüll. Ein Paradebeispiel liefert die Elektromobilität – und vor allem ihr Herz, die Batterie. Für sie werden Rohstoffe wie etwa Metalle unter teils fragwürdigen Bedingungen in aller Welt aus der Erde geholt und in die Produktionszentren nach Europa, China und den USA geschafft.
Viel einfacher und ökonomischer wäre es, die Stoffe aus den verbrauchten Batterien zurückzugewinnen. Der Chef des europäischen Batteriezellkonglomerats Automotive Cell Company, Yann Vincent, proklamiert, Recycling sei „die neue Mine“. Mehr als 95 Prozent der Schlüsselrohstoffe könnten aus bereits produzierten Zellen recycelt werden.
BASF entwickelt derzeit ein chemisches Verfahren, mit dem Batterierohstoffe in sehr hoher Reinheit wiedergewonnen werden können. Direkt neben dem neuen Batterie-Produktionsstandort von BASF im ostdeutschen Schwarzheide zieht der Konzern gleichzeitig eine Recyclinganlage für ausgediente Batteriezellen hoch.
Kaum noch eine Batteriefabrik wird ohne entsprechende Wiederaufbereitungs-Anlage gebaut. Das gilt sowohl für Volkswagen in Salzgitter wie auch für die Gigafabrik des schwedischen Start-ups Northvolt. Die Schweden wollen bis zum Jahr 2030 die Hälfte des Materials in neuen Zellen aus altem Material gewinnen.
Kreislaufwirtschaft treibt nahezu jeden Wirtschaftszweig an. Konsumgüterkonzerne wie Nestlé und Danone setzen sich inzwischen mit Entsorgungssystemen wie Grüner Punkt zusammen, um eine zirkuläre Verpackungswirtschaft in großem Maßstab umzusetzen. Unilever wird seine Lieferkette so ausrichten, dass ab 2030 in allen Waschmittel keine fossilen, sondern nur erneuerbare Rohstoffe enthalten sind.
Innovationskraft gibt es in der deutschen Wirtschaft genug, davon ist BCG-Experte Meyer zum Felde überzeugt. Trotzdem drohe Deutschland den Anschluss zu verlieren. Die Warnung geht auch in Richtung Politik: Gerade in Berlin und Brüssel sehen Fachleute das Thema viel zu weit unten auf der Agenda. Henning Wilts vom Wuppertal Institut zeigt sich enttäuscht: „Wir haben Programme für alles Mögliche, zur Abfallvermeidung, zum Ressourceneffizienzgewinn, zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Aber nirgends ist die Verantwortung für das Thema Kreislaufwirtschaft geregelt.“
Mehr: Das Rohstoffproblem des E-Autos – und was VW, BMW und Daimler dagegen tun wollen.
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@Axel Braun
Dann müssten die das "Treibhausgas Co2" heißen, bei dem fossilen Co2 von natürlichen Kreisläufen zu reden während weltweit die Begrünung wegen Mangel an Wasser und anderen Nährstoffen aufgrund der Klimakrise abnimmt, dass wäre einfach nur Schizophren.
Das Thema Müll gehört auch schnellstens in die Entwicklungsländer getragen. Entwicklungshilfe gehört auf Investitionspolitik umgestellt. Ein Beispiel: Die Verschmutzung der Ozeane mit Müll, vor allem Plastik, erfolgt in Afrika und Asien, durch die sogenannten Entwicklungsländer. Mega-Städte entsorgen ihren Abfall auf gigantischen Müllkippen (Folge: Landverbrauch, Grundwasservergiftung), teils auch in die Meere. Die Deutsche Entwicklungshilfe sollte die Finanzierung und den Betrieb (bzw. die Aufsicht) von Müllverbrennungsanlagen übernehmen. Technische Kernelemente kommen aus Deutschland, das garantiert Arbeitsplätze. Sortieranlagen sichern Rohstoffe, der Rest wird verbrannt. Krankenhausmüll muss zwingend verbrannt werden, um die Entwicklung multiresistenter Keime zu vermeiden, die früher oder später auch im Westen auftauchen werden. Prozesswärme und Strom können verkauft werden. Arme Menschen können durch Sammeln von Plastik Einkommen erzielen. Alles auf Kreditbasis, keine Geschenke; lange Laufzeiten, Zinsen Null, Schöpfgeld von der EZB. Entwicklungsländer sollten nicht in die Zinseszinsfalle gelockt werden. Zur Zeit fördern wir dank CSU eher Missionsstationen für mehr gelingende Geburten in Afrika als Industrieprojekte. In China lacht man nur über unsere Dummheit!
Eine etwas sachlichere Berichterstattung würde dem Handelblatt gut zu Gesicht stehen - CO2 ist kein 'Klimakiller-Gas', sondern notwendig für die Photosythese, ohne die der Sauerstoffgehalt in der Luft zu gering für die Menschen wäre.
Aber zum Thema:
Müll ist der Elefant im Raum, an den niemand dran will. Recycelter Müll ist gut, vermiedener Müll noch besser. Reduzierung von Müll sowie vernünftiges Management der Abfälle hat unmittelbaren und quantifizierbaren Einfluß auf unsere Umwelt.
Und da kann jeder bei sich anfangen: Ich wohne in der Nähe eines Parks, in dem öfter mal Treffen von Manga-Fans u.ä. stattfinden. Der Weg zum Treffpunkt ist in der Regel von Müll gesäumt, der da bestimmt nicht hingehört..
Aber auch viele Städte könnten aktiver werden, gerade im Sommer, wo viele Sammelbehälter überquellen.
Global wird auch die Müllproblematik nicht bei uns in Europa entschieden, aber gerade in dem Bereich würde ich mir etwas mehr Sensitivität der sonst so aktivistischen Jugend wünschen....