Serie Klimapioniere Wie Armedangels nachhaltige Mode auch für den Mainstream attraktiv macht
Köln Die Textilindustrie verursacht jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO2 – das sind mehr als alle internationalen Flüge und Kreuzfahrten zusammen. Gleichzeitig wächst der Modehunger: Heute kaufen Menschen weltweit 60 Prozent mehr Textilien als noch vor 20 Jahren. Nur die Hälfte davon wird getragen.
Die Modemarke Armedangels will gegensteuern und mit umweltfreundlicher Kleidung Geld verdienen. Mit Erfolg: 2020 betrug das Ergebnis vor Steuern 2,2 Millionen Euro. Im direkten Vergleich mit Branchengrößen wie H&M, Zalando und Co. ist das zwar wenig.
Dafür kommt Armedangels bei der operativen Marge vor Zinsen und Steuern, also dem Anteil des Gewinns am Umsatz, auf 5,2 Prozent. Bei dem Online-Versandhändler Zalando sind das gerade mal 2,8 Prozent, bei H&M sogar weniger als ein Prozent.
Mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit hat die Modemarke einen Trend begründet, dem heute zahlreiche Unternehmen folgen. Immer mehr Start-ups produzieren Kleidung, die ökologisch und unter fairen Arbeitsbedingungen produziert wird. Auch Großkonzerne wie H&M und C&A wollen von der steigenden Nachfrage nach umweltfreundlicher Kleidung profitieren und gründen ihr eigenes Nachhaltigkeitslabel.
Der Anspruch, den Armedangels an sich selbst stellt, ist hoch: Das Unternehmen gibt an, Biobaumwolle, Bioleinen und Wolle aus biologischer Tierhaltung zu verwenden; Garne werden aus recyceltem Plastik hergestellt. Internationale Umweltorganisationen bestätigen den Einsatz von Naturfasern mit dem Global Organic Textile Standard (GOTS). Das Siegel zeichnet Kleidermarken aus, deren Produkte aus mindestens 70 Prozent biologisch erzeugten Naturfasern bestehen.
Doch „nur alternative Rohstoffe zu verwenden tut manchmal richtig weh“, sagt Lavinia Muth, Nachhaltigkeitsexpertin bei Armedangels. Denn biologisch zu produzieren dauere länger und sei teurer als konventionelle Landwirtschaft. Aber es zahlt sich aus.

Nachhaltigkeitsexpertin Lavinia Muth erarbeitet mit 500 Bauernfamilien Konzepte biologischer Landwirtschaft.
Nach einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey steigt das Angebot an nachhaltiger Mode jährlich um das Fünffache. Mehr als die Hälfte der weltweiten Einkaufschefs in der Modebranche halten Nachhaltigkeit für eine wichtige Geschäftsstrategie. Auch die Bereitschaft der Konsumenten, für nachhaltige Kleidung mehr Geld auszugeben, steigt.
Für ein umweltfreundlich produziertes T-Shirt etwa würden Kunden circa ein Drittel mehr zahlen als für ein konventionell hergestelltes. „Nachhaltigkeit ist dabei, in der Breite des Konsums anzukommen“, sagt Karl-Hendrik Magnus, Senior Partner von McKinsey, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Auch die Unternehmen sparen durch eine ressourcenschonende Herstellung Geld, sagt er. Denn mehr als die Hälfte aller klimafördernden Maßnahmen sei kostensenkend. „Wer weniger Abfall produziert, senkt die Kosten und schützt die Umwelt.“ Die Studienergebnisse zeigten, dass das gängige Vorurteil „Nachhaltigkeit ist teuer“ nicht stimmt.
Als Martin Höfeler und sein Studienfreund Anton Jurian Armedangels 2007 gründeten, galten sie als Weltverbesserer. Nachhaltigkeit und „Consciousness“, also der bewusste Umgang mit Ressourcen, waren in der Modebranche damals noch nicht angekommen, erklärt Höfeler.
Er habe festgestellt, dass die Branche wenig mit Fairness und Gerechtigkeit zu tun habe und es schwer sei, „an fair produzierte T-Shirts aus nachhaltigen Materialien heranzukommen, die nicht nach Müsli und Jutebeutel aussehen“.
Also suchten die beiden Gründer selbst nach Produzenten und „legten los“. Doch so einfach, wie das klingt, war es nicht: „Gerade am Anfang gab es viele schlaflose Nächte“, erinnert sich Höfeler. „Wir waren komplett branchenfremd und hatten keine Ahnung von der Textilindustrie, geschweige denn von einer nachhaltigen Produktion.“
Kritischer Blick behalten
Die Lösung hieß Lavinia Muth. Die Betriebswirtin trat dem Unternehmen 2017 mit der Aufgabe bei, Konzepte zur Nachhaltigkeit zu entwickeln. „Ich wusste von der Mission der Marke, aber war nicht sicher, ob wirklich an Nachhaltigkeit gearbeitet wird“, sagt sie. Muth war überrascht, wie gut es lief. Denn produziert werde europanah, knapp die Hälfte der Kleidung komme aus Portugal, der Rest aus der Türkei, Tunesien und Rumänien.
Dort seien die Löhne höher als etwa in Äthiopien und Bangladesch. Doch obwohl Armedangels beim Thema Nachhaltigkeit „schon ziemlich weit“ sei, habe Muth einen kritischen Blick behalten. Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen seien ihr wichtiger als Design. „Mode interessiert mich zum Glück nur zweitrangig“, sagt sie, „sonst würde ich beim Thema Nachhaltigkeit eher ein Auge zudrücken.“
Muth trägt eine rotbraune Strickjacke, Wollmütze und Jeans aus eigener Produktion, während sie durch den Showroom im Kölner Stadtteil Ehrenfeld führt. „Es wäre doch komisch, wenn ich für Nachhaltigkeit werben, selbst aber Kleidung aus Plastik tragen würde, oder?“, fragt sie. Das Loft ist fast vollständig gekachelt, früher wurden hier Cremes der Parfümmarke 4711 hergestellt. Heute präsentiert Armedangels seine – bisher noch geheime – Winterkollektion 2021. Die Kunden, darunter Breuninger und Peek & Cloppenburg, wählen bald die Stücke für den Verkauf aus.
Warum Armedangels-Textilien weniger CO2 ausstoßen, erklärt Muth in wenigen Worten: „Biobaumwolle reduziert schon beim Anbau den Treibhausgasausstoß, denn der Kohlenstoff wird im Boden gebunden, bevor er überhaupt in die Umwelt gelangen kann.“ Der Verzicht auf Düngemittel und Pestizide schütze darüber hinaus die Bauern in den Produktionsländern und spare Wasser, das sonst für die Reinigung der Rohstoffe aufgebracht werden müsse.

Biobaumwolle reduziert beim Anbau den Treibhausgasausstoß, denn der Kohlenstoff wird im Boden gebunden, bevor er in die Umwelt gelangen kann.
Bei Färbeverfahren dagegen seien Chemikalien und Wasser nötig, gibt sie zu. Diese könnten aber bei der Produktion neuer Kleidung wiederverwendet werden. Den Begriff Klimaneutralität verwendet Muth aus Prinzip nicht, denn „ab dem Zeitpunkt, zu dem der Mensch Ressourcen verwendet, entstehen Emissionen“.
Den Großteil der Rohstoffe bezieht Armedangels aus Indien, erklärt sie. Um die Arbeitsbedingungen vor Ort zu kontrollieren und den Rohstoffanbau von konventioneller Landwirtschaft in Bio-Landwirtschaft umzustellen, reist Muth regelmäßig nach Indien. Die Umwandlung sei nicht leicht und dauere drei Jahre, sagt sie. Denn so lange brauche der Boden, um sich nach dem Einsatz von Pestiziden zu regenerieren. Häufig geben die Bauern den Prozess nach einem Jahr auf, erklärt sie. 700 Hektar Fläche von 500 Bauernfamilien will Armedangels für biologische Landwirtschaft nutzbar machen.
- Brexit könnte britische Modebranche zu mehr Nachhaltigkeit führen
- Wie Lidl, Tchibo und Zalando den Greta-Effekt nutzen
Die regelmäßigen Besuche beschleunigen nicht nur die Arbeit vor Ort, sondern schaffen auch Transparenz für die Kunden, sagt Muth. Denn Transparenz über Lieferketten, Materialien und Arbeitsbedingungen sei ein wesentliches Verkaufsargument. Schafft es ein Label nicht, zu kommunizieren, wo die Kleidung herkommt, mit welchen Rohstoffen und unter welchen Arbeitsbedingungen sie produziert wird, sind Kunden kaum bereit, mehr Geld für die Textilien auszugeben, erklärt auch Philipp Mayer, Co-Gründer der Plattform Retraced.
Blockchain schafft Transparenz über Lieferketten
Mit der Blockchain-Technologie zeichnet Retraced Lieferketten auf und vernetzt Zulieferer. Gemeinsam mit Armedangels entwickelte das Unternehmen kürzlich ein Pilotprojekt, das die Lieferkette eines T-Shirts bis nach Indien zurückverfolgt. Das System funktioniert wie eine Social-Media-Plattform, erklärt Mayer. Jeder Lieferant habe ein eigenes Profil und könne auf die Infos anderer am Produktionsprozess Beteiligter zugreifen, mit denen er vernetzt ist. „Je mehr Brands verbunden sind, desto mehr Wert schafft die neue Information“, sagt er. Aktualisiere jemand sein Profil, indem er etwa ein neues Zertifikat hochlade oder CO2-Vorgaben kommuniziere, würden alle Teilnehmer der Lieferkette informiert.
Das schaffe nicht nur Transparenz zwischen den Beteiligten der Lieferkette, sondern auch gegenüber den Kunden. Über einen QR-Code am Kleidungsstück können diese nachverfolgen, mit welchen Rohstoffen und unter welchen Bedingungen sie gefertigt wurden, erklärt Mayer.
„Die Lieferketten sind kompliziert“, meint er. Denn „jede Naht, jeder Saum und jede Tasche haben eigene Lieferanten“. Bis zu sieben Akteure, angefangen bei den Baumwollbauern über Garn- und Stoffzulieferer, Färbereien, Webereien und Strickereien bis hin zu den „Garmentmakern“, also jenen Zulieferern, die die Kleidung zusammensetzten, arbeiteten an einem Textilteil. An einer handelsüblichen Jeans könnten bis zu 100 Akteure beteiligt sein.
Nachhaltigkeit ist ohne Transparenz in Mayers Augen deswegen nicht möglich. Unternehmen wie Armedangels hätten es geschafft, Nachhaltigkeit „cool zu machen“ und sie zugleich als Wettbewerbsvorteil zu vermarkten.
Den haben nicht nur Zalando, About You und große Textilketten, wie Peek und Cloppenburg erkannt. Immer mehr selbstständige Modeboutiquen haben die Marke im Sortiment. Philipp und Viola Rodemann etwa verkaufen seit sechs Jahren unter dem Label „Fairfitters“ nachhaltig produzierte Kleidung, Schuhe und Accessoires.
Wenn man sich ausschließlich auf nachhaltige Marken fokussiert, „führt an Armedangels kein Weg vorbei“, sagt Philipp Rodemann, dessen Laden nach den Corona-Lockerungen wieder geöffnet ist. Alle Marken im Sortiment seien ressourcenschonend und unter fairen Arbeitsbedingungen produziert, erklärt er. Doch Armedangels habe einen „Nachfrage-Sog“ entwickelt, der auch Kunden „in den Laden zieht, die sich für Nachhaltigkeit eher weniger interessieren“.
Besonders überzeugt habe ihn die „Detox-Denim Kampagne“, mit der Armedangels eine chemikalienfreie Jeans vermarkten wollte. In mehreren Städten in Deutschland habe das Team „Pop-up-Stores“ aufgebaut, in denen Kaufinteressierte die Hosen anprobieren und sie anschließend bei den Händlern in der Umgebung kaufen konnten. Mit dem CO2-Fußabdruck der Öko-Jeans wirbt Armedangels auf seiner Website. Statt 34 Kilogramm CO2 verursache sie über den gesamten Lebenszyklus nur knapp 16 Kilogramm.
Bisher habe das Geschäftsmodell vor allem darauf abgezielt, „bestimmte Parameter wie CO2-Ausstoß oder Wasserverbrauch an einzelnen Stellen der Lieferkette zu reduzieren“, sagt Armedangels-Gründer Höfeler. „Bis jetzt schien das das beste Modell.“ In Zukunft soll es anders laufen: Weniger produzieren, mehr recyceln. „Wir machen verdammt viel richtig“, doch trotzdem landen „auch unsere Klamotten irgendwann auf dem Müll“. Dann will Höfeler die Kleidung in den Kreislauf zurückführen. „Von Müll zu Mode, quasi.“
Serie – Klimapioniere der Wirtschaft: Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht ein neues Unternehmen auf der Welt seine frisch gesetzten Klimaziele und Ambitionen für die Energiewende erklärt. Dabei gibt es einige, die dem Trend der „Green Economy“ schon lange vorausgehen und seit vielen Jahren beweisen, dass Ökologie und Ökonomie kein Widerspruch sein müssen. In unserer Serie stellen wir einige dieser „Klimapioniere“ vor.
Mehr: Badebomben-Erfinder Lush treibt Kosmetikkonzerne vor sich her.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.