Biner Bähr Der Eintreiber

45 Millionen Euro hat der Insolvenzverwalter Biner Bähr wohl bereits bei ehemaligen Kunden von Teldafax eingetrieben.
Der Insolvenzverwalter kam kaum durch die Tür. Biner Bähr hatte schon viel erlebt in seinem Leben, aber was der Insolvenzspezialist der internationalen Anwaltskanzlei White & Case beim Stromhändler Teldafax vorfand, spottete jeder Beschreibung. Vor der Tür stand seit Stunden ein Postbote mit Mahnschreiben. Auf seinem Weg ins Chefbüro in Troisdorf musste sich Bähr an Bergen von Kundenbriefen vorbeizwängen. Sie standen ungeöffnet in Postkästen auf den Fluren des Unternehmens. Die Mitarbeiter hatten längst aufgegeben, sie auch nur zu lesen. Es kamen ja täglich 40 neue Kisten.
Da musste auch der hartgesottene Bähr tief durchatmen. Eigentlich war er ja ein alter Hase im Insolvenzgeschäft. Nach BWL- und Jura-Studium begann er seine Karriere 1996 in der Kanzlei Feddersen Laule Scherzberg Ohle Hansen Ewerwahn in Hamburg. In der Hansestadt kultivierte Bähr drei Vorlieben: seinen Hang zur Jugendliebe FC St. Pauli, seinen grünen Alfa Romeo Spider sowie die Spezialisierung auf das Insolvenzrecht. Alle drei Eigenschaften nahm er mit, als er 1999 ins neue Büro seiner Kanzlei in Düsseldorf wechselte. 2000 wurde er Partner, kurz danach schloss sich seine Kanzlei mit der New Yorker Sozietät White & Case zusammen. Bähr spielte jetzt in der ersten Liga. Schmerzhaft war nur, dass er seinen FC St. Pauli nicht mehr regelmäßig von der Stehtribüne sehen konnte. Aus der Ferne musste er verfolgen, wie St. Pauli bis in die Regionalliga Nord abstieg.
Von seinem Fanschicksal aber konnte sich Bähr mit viel Arbeit ablenken. Seine Mandate wurden immer größer. 2003 sanierte er den Motorradbekleidungshersteller Hein Gericke und mit der Börsenmakler Schnigge AG erstmals in Deutschland auch eine Wertpapierhandelsbank. 2007 übernahm Bähr Teile der Insolvenzverwaltung bei Schieder, dem damals größten europäischen Möbelhersteller mit mehr als 11.000 Mitarbeitern. Und 2008 erhielt er den Zuschlag für eines der bekanntesten gescheiterten Unternehmen Deutschlands: den Kaufhauskonzern Hertie. Bähr führte inzwischen ein großes Team von Anwälten und Kaufleuten und wurde auch von Finanzinvestoren, Konzernen und Banken immer dann als Experte herangezogen, wenn ein Unternehmen am Rand der Insolvenz schlingerte.
Nichts allerdings konnte Bähr auf Teldafax vorbereiten. Es ist mit weitem Abstand sein größter Fall, ja der Billigstromanbieter ist überhaupt der größte Fall, den jemals ein Insolvenzverwalter in Deutschland anfassen musste. 500 Millionen Euro Schaden haben auch andere angerichtet. Aber 750.000 Gläubiger? Das ist Neuland. Allein wenn Bähr seinen Gläubigern eine Sachstandsmeldung machen will, kostet das Verfassen, Drucken, Kuvertieren und Verschicken 1,2 Millionen Euro. Größenordnungen, an die sich auch Bähr erst einmal gewöhnen musste.
Doch Teldafax ist nicht nur der größte Fall für Bähr, sondern auch der verrückteste. „Wenn in einem normalen Großunternehmen der Postbote kommt, dann fährt der mit seinem Wagen vor, und nach 20 Minuten ist er wieder weg“, sagte Bähr bei der ersten Gläubigerversammlung von Teldafax im November 2011. „Bei Teldafax kam der Wagen morgens und war abends immer noch da. Denn es dauerte den ganzen Tag, bis alle Einschreiben mit Rückschein unterschrieben waren.“
Und so wusste der Insolvenzverwalter kaum, wo er mit der Arbeit anfangen sollte. Das Callcenter von Teldafax konnte nur einen Bruchteil der täglich 10.000 Anrufe beantworten – verärgerte Teldafax-Kunden wurden mit ihren Beschwerden in endlose Warteschleifen geschickt. „Die Buchhaltung war im Juni 2011 auf dem Stand von März, kein Mensch im Unternehmen wusste, wie viel Geld auf den Konten war und von wem es stammte“, berichtete Bähr.