Auktionsmarkt: Vom kleinen Haus zum internationalen Player

Köln. Live über eine Onlineplattform mitzubieten, war 2010 noch ein skeptisch beäugtes Abenteuer. Wenn man als Kunde dann noch direkt von der Auktionatorin angesprochen wurde, erschien das etwas unheimlich. Anke Wendl, Gründerin des Kunstauktionshauses Wendl im thüringischen Rudolstadt, erinnert sich an Bieterinnen, die sich für unaufgeräumte Wohnzimmer entschuldigten. Andere verpassten den Aufruf ihres Loses, weil sie glaubten, den Schlafanzug gegen eine salonfähige Garderobe tauschen zu müssen.
Wendl ist eines von geschätzt über 100 kleinen bis mittleren deutschen Auktionshäusern, die ihr Geschäft mit Kunst und Kunstgewerbe im sogenannten unteren Marktsegment machen. 10.000 bis 12.000 Werke und Antiquitäten werden hier jährlich an drei Terminen über mehrere Tage aus dem Saal mit der Möglichkeit versteigert, online live mitzubieten. Hier fällt der Hammer in 99,9 Prozent der Fälle zu Preisen unter 50.000 Euro.
Als Wendl 2010 das Live-Bieten im Internet über das Portal Lot-tissimo möglich machte, war das eine Pionierleistung. Sotheby’s 1999/2000 begonnene, aber kurzlebige Partnerschaft mit Amazon war seit 2001 Geschichte. Im selben Jahr erprobten die beiden Auktionshäuser Nagel und Bergmann portalunabhängiges Live-Bieten. Sabine und Thomas Bergmann legen dabei Wert auf die Feststellung, sie hätten 2001 das erste eigenständige deutsche Live-Biet-System auf dem deutschen Auktionsmarkt etabliert. 2006 war in London die Plattform The Saleroom mit Live-Bieten an den Start gegangen. Eine Technologie, die über eine Partnerschaft auf Lot-tissimo seit 2010 für Deutschland genutzt werden konnte.

Wendls Premiere auf der Plattform Lot-tissimo kam bei der überwiegend lokalen und regionalen Kundschaft aber erst einmal nicht gut an. Sie reiste wie üblich zur Saalauktion an und musste immer wieder feststellen, dass sie scheinbar aus dem Nichts überboten wurde. Anke Wendl drehte daraufhin den Bildschirm so, dass man die hereinkommenden Gebote mitverfolgen und mit ihnen in einen Wettbewerb treten konnte.
Die Geschmeidigkeit und Geschwindigkeit, mit der sich Wendl auf innovative Technologien eingelassen hat, hat sich ausgezahlt. „Als die Pandemie Live-Auktionen unmöglich machte, mussten wir uns nicht groß umstellen“, erzählt Juniorchefin und Inhaberin Julia Marie Wendl. „Das hat uns gerettet.“ Seit 1991 führt das Haus eine Statistik, die Wendl von Anbeginn verfolgt, systematisch weiterentwickelt und auswertet.
Erste Zahlen und Grafiken aus 33 Geschäftsjahren stellte die Auktionatorin im Frühjahr auf einer Tagung über „Kunst und Kulturgüter in Zirkulation“ im Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung (Zadik) in Köln vor. Sie erzählen die beeindruckende Geschichte von der Verwandlung eines lokal und regional verwurzelten Auktionshauses in einen international sichtbaren Player, der seinen erfolgreichen Bietern die Ware mittlerweile bis in den Fernen Osten (2006–2010), den Mittleren Osten, die indopazifischen Inselstaaten (2011–2015) und den Nahen Osten (seit 2021) schickt. Zum Vergleich: In der ersten Hälfte der 1990er-Jahre verkaufte Wendl außer nach Deutschland, Holland, Österreich, Italien und in die Schweiz nur nach Nordamerika und Brasilien.
Mittlerweile kommen annähernd 20 Prozent der erfolgreichen Käufer aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland. Ihr Anteil war in den Neunzigerjahren, vor Einführung des ersten Onlinekatalogs (2001) und der Onlineabgabe schriftlicher Gebote (2002), verschwindend gering. Damals kamen bis zu 65 Prozent der erfolgreichen Bieter aus Deutschland, um die 20 Prozent aus der Region und bis zu 17 Prozent aus der lokalen Umgebung.
Ein Fünftel der Kunst geht ins Ausland
Inzwischen wird fast die Hälfte der Gebote über die drei internationalen Auktionsplattformen Lot-tissimo, Invaluable und The Saleroom abgegeben. Ein Drittel der Gebote kommt dabei über Lot-tissimo, etwa so viel wie über die eigenen traditionellen Formate bei Wendl, inklusive der online abgegebenen Schriftgebote. Insgesamt wickelt das Haus 51 Prozent der Gebote ab, davon 15 Prozent über die eigene Plattform „Wendl Live“ (seit 2020).
Bei den Plattformen wird Lot-tissimo überwiegend von deutschen, regionalen und zu einem winzigen Prozentsatz auch von lokal ansässigen Bietern genutzt. Internationale Bieter bevorzugen Invaluable und The Saleroom. Nach Wert sind die Zuschlagpreise laut Julia Marie Wendl höher für Verkäufe über Schrift-, Telefon- und Saalgebote. Das höhere Volumen jedoch erzielten Lot-tissimo und Wendl Live. Der Hammer fiel hier allerdings schon zu niedrigeren Preisen.

Unter dem Strich wurde der lokale und regionale Kundenstamm zwar vermindert, er bleibt aber relativ stabil. Doch der wachsende Anteil internationaler Käufer sorgt für vermehrte Flüsse von Kunst und Antiquitäten ins Ausland. Da die internationalen Kunden nicht im selben Ausmaß einliefern, entsteht auf Dauer ein Ungleichgewicht. Es fließt mehr ab, als eingeliefert wird.
Die von Julia Marie Wendl gesammelten und ausgewerteten Zahlen sind ein Schatz. Denn insgesamt betrachtet steht es um die Datenlage für kleine Auktionshäuser nicht gut. Das ist mit ein Grund, warum Kunstmarkt-Reports, etwa von Clare McAndrew, Hiscox oder ArtTactic, auf den Hochpreismarkt fokussieren. Die Analysen des Auktionshauses Wendl füllen eine Lücke.





