Künstliche Intelligenz: Wie KI den Arbeitsmarkt für junge IT-Fachkräfte verändert
London. An den Weltbörsen kennen die Kurse der großen US-Technologiekonzerne scheinbar nur eine Richtung: nach oben. Am Arbeitsmarkt verdüstern sich dagegen die Aussichten ihrer Tech-Mitarbeiter. Anfang der Woche kündigte Amazon den Abbau von weltweit 14.000 Jobs an und begründete das mit dem verstärkten Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Glaubt man Konzernchef Andy Jassy, sind selbst gelernte Informatiker und Softwareentwickler vor der KI-Konkurrenz nicht mehr sicher.
„Noch vor fünf Jahren lautete der beste Rat, den wir unseren Kindern geben konnten: ‚Lernt Programmieren‘“, sagt Ian Bremmer, Chef der amerikanischen Risikoberatung Eurasia Group. „Heute ist das ein schlechterer Rat als ‚Lasst euch ein Gesicht tätowieren‘. Es gibt nichts Schlimmeres, als Programmieren zu lernen.“
Insbesondere Studienabschlüsse in Computer Science oder Informatik galten lange als Garantie für eine steile berufliche Karriere und ein hohes Einkommen. Schon seit der Jahrtausendwende riefen Tech-Ikonen wie Steve Jobs und Bill Gates Schulabgänger dazu auf: Lernt und studiert Programmiersprachen wie Python, Java oder C.
Lockruf der Tech-Branche
„Das ist nicht nur wichtig für eure Zukunft, sondern für die Zukunft unseres Landes“, sagte der frühere US-Präsident Barack Obama. Noch 2012 versprach Microsoft-Präsident Brad Smith umworbenen College-Absolventen ein Anfangsgehalt von mehr als 100.000 Dollar plus Aktienoptionen. Der Lockruf wirkte: Im vergangenen Jahr machten in Amerika mehr als 170.000 Studierende einen Abschluss in Computer Science – doppelt so viele wie 2014.
In Deutschland und anderen Industrienationen das gleiche Bild: So konstatierte der Branchenverband Bitkom noch im August dieses Jahres, dass hierzulande mehr als 100.000 IT-Fachkräfte fehlen. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft wird es in Deutschland 2026 rund 84.500 mehr Softwareentwickler geben als noch 2021. Das ist ein Zuwachs von 50 Prozent.
Allein 2024 waren 30 Prozent mehr IT-Fachkräfte arbeitslos als im Jahr zuvor. Hochschulabsolventen mit einem Informatikstudium berichten von 100 Bewerbungen und mehr. Und oftmals sind es KI-Bots, die die Ablehnungen schreiben. In den USA ist die Arbeitslosenquote für Informatiker mit 6,1 Prozent inzwischen doppelt so hoch wie die für Historiker.
Qualifikationslücke an den Schulen
Künstliche Intelligenz ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Grund für diese Trendwende am Arbeitsmarkt. „Ab etwa 2016 gab es große Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz“, sagt Lawrence Katz, Arbeitsmarktforscher an der Harvard University. KI-Anbieter wie Code Rabbit werben in den USA ganz offen damit, dass ihre Technologie angeblich schneller und besser programmiert als menschliche IT-Spezialisten. „Gerade Einstiegspositionen für Hochschulabsolventen werden am ehesten automatisiert“, sagte Matthew Martin, Ökonom bei der Research-Firma Oxford Economics, der „New York Times“.
Microsoft will nun vier Milliarden Dollar investieren, um Schüler und Studenten besser auf das KI-Zeitalter vorzubereiten. Auch an deutschen Hochschulen gibt es eine Qualifikationslücke: „Wer heute als Informatiker ohne fundierte Kenntnisse in KI in den Beruf einsteigt, stößt rasch an Grenzen. (…) Das klassische Informatikcurriculum vieler Hochschulen vermittelt diese Inhalte jedoch bislang meist nur am Rande“, schreibt Patrick Glauner, IT-Professor an der Technischen Hochschule Deggendorf.
Anpassung statt Abbau
Wissenschaftler an der Harvard University haben herausgefunden, dass Unternehmen in den USA auf die Fehlqualifikation mit dem Abbau von Einstiegspositionen um mehr als 20 Prozent reagieren. Amy Edmondson von der Harvard Business School und Tomas Chamorro-Premuzic vom University College London warnen die Unternehmen jedoch davor, den Berufsanfängern die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Klüger sei es, „Arbeitsabläufe so umzugestalten, dass KI Routineaufgaben übernimmt, während sich Menschen darauf konzentrieren, Probleme zu formulieren, bessere Fragen zu stellen und Geschäftsbeziehungen aufzubauen“.
Die Evolutionslehre von Charles Darwin erweist sich auch hier als Schlüssel zum Überleben: Anpassung ist das Zauberwort. Ein Allheilmittel ist das jedoch nicht. Amazon-Chef Jassy verspricht jenen, die mit der neuen Technologie umgehen können, zwar „interessantere“ Jobs, die von Routinearbeiten befreit werden. Auf absehbare Zeit würden unter dem Strich jedoch Arbeitsplätze verloren gehen.
Erstpublikation: 01.11.2025, 08:50 Uhr.