Online-Handel Amazon baut seine Marktmacht in der Coronakrise weiter aus

Konzernchef Bezos will bis zu 100.000 Mitarbeiter zusätzlich einstellen.
Düsseldorf Amazon-Chef Jeff Bezos hat zurzeit ein Luxusproblem. Während in der Coronakrise viele Händler um die Existenz kämpfen, weil sie ihre Läden schließen mussten, ist seine größte Sorge, wie er die Hunderttausende von zusätzlich bestellten Waren pünktlich ausgeliefert bekommt. Selbst die Kunden des Abo-Dienstes Prime, die sonst häufig innerhalb eines Tages beliefert werden, müssen jetzt zuweilen vier Tage oder mehr warten.
Um die zurzeit besonders begehrten Produkte schneller ausliefern zu können, habe das Unternehmen die Logistik, den Transport, die Beschaffung, aber auch die Prozesse bei den Dritthändlern auf der Plattform umgestellt, schreibt Bezos im Firmen-Blog in einem Brief an seine Mitarbeiter. Zugleich wirbt er aktiv um Mitarbeiter beispielsweise von Restaurants und Bars, die jetzt geschlossen werden mussten. Rund 100.000 neue Stellen, so seine Botschaft, will er schaffen.
Was der Milliardär Bezos als Dienst an der Gesellschaft verkauft, jagt seinen Konkurrenten Angst und Schrecken ein. Denn immer mehr zeigt sich: Amazon profitiert wie kaum ein anderer Händler von der Coronakrise. Weltweit verschieben sich Marktanteile auf die dominierende Onlineplattform. Und vieles davon dürfte dort bleiben – auch wenn die stationären Geschäfte wieder öffnen dürfen.
Auch in Deutschland betrachten Experten die Entwicklung mit Sorge. Denn schon vor der aktuellen Krise hat Amazon seine Marktanteile in Deutschland massiv ausgebaut – und eine Dominanz weit über den eigentlichen Onlinehandel hinaus entwickelt. Dies zeigt eine Studie des Lehrstuhls für Entrepreneurship der Hochschule St. Gallen und des Datendienstleisters Metoda, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Danach hat Amazon den Umsatz auf seiner Plattform im zweiten Halbjahr 2019 im Vergleich zur ersten Jahreshälfte von 11,5 auf 15,6 Milliarden Euro in Deutschland gesteigert. Das ist ein Wachstum von 35,1 Prozent, zeigt die Studie unter dem Titel „E-Commerce Germany Report“, an der auch das Podcastnetzwerk digital kompakt und die Digital-Beratung Etribes beteiligt waren. Der gesamte Einzelhandel in Deutschland hat im gleichen Zeitraum nur um 9,8 Prozent zugelegt.
Der Handel setzt traditionell im zweiten Halbjahr deutlich mehr um, schon wegen des wichtigen Weihnachtsgeschäfts. Doch der US-Riese konnte davon deutlich mehr auf sich ziehen. „Amazon konnte seinen Umsatz im zweiten Halbjahr viel stärker steigern als der Gesamtmarkt und hat seine Dominanz in fast allen Branchen deutlich ausgebaut“, sagt Professor Dietmar Grichnik von der Hochschule St. Gallen.
Verkaufsevents mit Sogwirkung
Mehr als die Hälfte der Verbraucher startet mittlerweile ihre Produktrecherche im Netz gleich in der Suchmaske von Amazon. Was nicht über die Plattform verkauft wird, kommt gar nicht mehr in die Auswahl. Amazon prägt damit das Kaufverhalten der Konsumenten immer mehr. Das Handelsforschungsinstitut IFH aus Köln hat dafür den Begriff der „Amazonisierung des Handels“ geprägt.
Besonders starke Sogwirkung auf den Verbraucher haben spezielle Verkaufsevents wie die Cyberweek oder die Amazon Prime Days. Dort punktet Amazon mit seinem riesigen Produktangebot und einer geschickten Rabattstrategie. Bei solchen Events könne das Unternehmen seine Marktmacht besonders gut ausspielen, beobachtet Experte Grichnik.
„Das vermehrte Auftreten sogenannter Deal Days gibt der Marktdominanz Amazons im zweiten Halbjahr nochmal einen kräftigen Schub nach vorne“, beobachtet auch Stefan Bures, CEO von Metoda. Das Analysehaus hat die Marktdaten für die Studie geliefert. „Mit der Cyberweek und dem eigens kreierten Prime Day zeigt der E-Commerce-Gigant einmal mehr, wer der Platzhirsch im deutschen Handel ist“, sagt Bures.
Aktuell reagiert der Markt ähnlich wie bei einem Verkaufsevent, es sind nur ganz andere Produkte als sonst gefragt. Dass Desinfektionsmittel und Toilettenpapier boomen, ist bekannt. Aber auch der Umsatz mit Telefon-Headsets fürs Homeoffice ist nach einer Analyse der Preisvergleichsmaschine Idealo in der dritten Märzwoche im Vergleich zu Ende Januar um 911 Prozent gestiegen. Gefragt sind auch Hanteln fürs Heimtraining (plus 2740 Prozent) oder Nintendo-Switch-Spiele (plus 374 Prozent)
Das wird die Marktmacht von Amazon in den kommenden Monaten nach Einschätzung von Experten wohl weiter verstärken, hat der US-Konzern doch das größte Sortiment und die professionellste Logistik, um sich darauf rasch einzustellen. „Durch die Umsatzverschiebungen in der Coronakrise wird die Dominanz von Amazon in diesem Jahr weiter zunehmen“, ist sich Grichnik sicher. „Amazon hat die besten Voraussetzungen, um auf die veränderte Situation zu reagieren.“
Genau das befürchten jetzt viele traditionelle Händler. Martin Kemmer beispielsweise musste wegen der Pandemie seinen bisher sehr erfolgreichen Outdoor-Shop Basislager in der Karlsruher Innenstadt vorübergehend schließen. Die Online-Umsätze seien zwar kräftig angezogen.
„Aber das wird uns nicht retten“, meint Kerner. Der Unternehmer macht sich schon Gedanken über die Zeit nach Corona. „Sicher ist, dass unsere Branche danach nicht mehr die gleiche ist“, meint Kerner. „Die großen Onliner reiben sich jetzt schon die Hände und sind ihrem Ziel der Verdrängung etwas nähergekommen.“
Dominante Position bei Elektronik
Besonders hart trifft es die Händler von Elektronikprodukten und Computern. In dieser Kategorie wurden im zweiten Halbjahr 2019 nach Berechnungen der Studie schon 24 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes über die Plattform von Amazon gemacht. Gegenüber dem ersten Halbjahr konnte Amazon den Umsatz um 99 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro steigern.
Dass jetzt alle Elektronikmärkte vorübergehend geschlossen sind, spielt Amazon bei der Expansion in die Karten. Denn es sind nicht nur klassische stationäre Händler wie Media Markt und Saturn, die darunter leiden.
Auch Onlinehändler wie notebooksbilliger.de werden in ihrer Strategie ausgebremst. Um sich von Amazon abzusetzen und näher an den Kunden zu kommen, hatte der Händler zahlreiche Filialen eröffnet. Die sind jetzt alle zu, die geplante Eröffnung einer neuen Filiale in Berlin wurde zunächst gestoppt.
„Gerade im Bereich Elektronik und Computer hat Amazon eine sehr dominante Position und nähert sich der marktbeherrschenden Schwelle von 40 Prozent Marktanteil“, betont Studienmitautor Grichnik von der Hochschule St. Gallen. „Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, müsste eigentlich irgendwann das Kartellamt eingreifen“, mahnt er.
Was es bedeutet, wenn eine dominierende Verkaufsplattform die Regeln setzt, hat das Bundeskartellamt kürzlich bereits offengelegt. Zahlreiche kleine Händler, die auf dem Marktplatz anbieten, hatten sich bei den Wettbewerbshütern beschwert, dass Amazon seine Marktmacht ausnutze und sie mit seinen Geschäftsbedingen benachteilige. Das Amt schaute sich an, ob Haftungsregeln zulasten der Händler ausgelegt wurden, wie die Regeln zu Produktrezensionen funktionieren und wie Amazon bei Kündigungen und Sperrungen von Händlerkonten oder beim Einbehalt von Zahlungen vorgeht.
„Gerade die Doppelfunktion von Amazon als Plattformbetreiber und Händler macht es besonders heikel“, erklärt Professor Grichnik. Amazon habe alle Daten der anderen Händler auf dem Marktplatz und könne genau sehen, welche Produkte sich gut verkaufen. „In diesem Fall kann Amazon jederzeit selber als Anbieter einsteigen und den Dritthändler verdrängen.“
Gutdünken in der Coronakrise
Eine „Gutsherrenart“ attestiert auch Mark Steier, Herausgeber des Fachdienstes Wortfilter.de und einer der renommiertesten deutschen Plattformexperten, dem Marktführer Amazon. Kleine und mittlere Händler litten stark unter dem Verhalten von Amazon. Ein zentraler Vorwurf: Die sogenannte Buybox, der prominenteste Platz bei der Anzeige der Produkte, ist in der Regel für Waren reserviert, die Amazon selbst verkauft – selbst wenn andere Händler das gleiche Produkt günstiger anbieten.
Um die Untersuchungen des Kartellamts abzuwenden, machte Amazon umfangreiche Zugeständnisse und änderte seine Geschäftsbedingungen. Das Kartellamt stellte daraufhin die Ermittlungen im Juli vergangenen Jahres ein. Doch schon damals waren viele kleine Händler skeptisch, ob sich wirklich etwas am Verhalten des Plattformbetreibers ändert.
„Wir sehen unser Maßnahmenpaket nur als ersten Schritt an“
In ihrer Ahnung bestätigt sehen sich jetzt in der Coronakrise etliche. Um die hohe Nachfrage nach einzelnen Produktgruppen wie Haushaltsartikel, Lebensmittel, Tierfutter oder Hygieneartikel besser bedienen zu können, hat Amazon vorübergehend nach eigenem Gutdünken entschieden, Bestellungen für viele andere Güter in Frankreich und in Italien einfach nicht mehr anzunehmen. Diese Regelung gelte noch nicht für den deutschen Markt, heißt es bei Amazon. Aber auch deutsche Händler berichten, dass beispielsweise Modeartikel von ihnen plötzlich als erst am 21. April lieferbar deklariert sind.
Zugleich können Dritthändler, die ihre Logistik an Amazon ausgelagert haben, in den USA und in der EU viele Produkte nicht mehr in die Amazon-Lager einliefern. Priorisiert werde zurzeit der „Eingang von Waren für den täglichen Bedarf, medizinischen Verbrauchsgütern und anderen Produkten mit hoher Nachfrage“, wie ein Sprecher erklärt, damit diese Produkte schneller angenommen und an die Kunden versendet werden können. Für etliche Händler fällt damit ihr Umsatz größtenteils aus. Da wird dann klar, welche Tragweite es tatsächlich hat, wenn Amazon-Chef Bezos beiläufig sagt, man habe „Prozesse bei den Dritthändlern umgestellt“.
Angesichts dieser Erlebnisse mehren sich die mahnenden Stimmen, die eine Verödung der deutschen Handelslandschaft befürchten, falls Amazon mehr und mehr Händler verdrängt. „Wir müssen sehr aufpassen, dass diese Krise nicht das Fast-Monopol von Amazon weiter verstärkt“, warnt Carsten Kraus, Geschäftsführer von Omikron, einem Anbieter von Suchtechnologie für Webshops. „Das ist gefährlich – nicht nur für die deutsche Wirtschaft, sondern für Händler in ganz Europa – wenn wir so abhängig von einer einzelnen Handelsplattform werden.“
Mehr: Onlinehandel ist auch in der Coronakrise kein Selbstläufer
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Herr Scheper,
ich kann Ihnen voll und ganz zustimmen.
Habe mich bis vor vier Jahren auch gegen Amazon "gewehrt". Heute kaufe ich gerne bei örtlichen Einzelhändlern und zwar Artikel die sie haben und ich eine gute Beratung bekomme.
So weit so gut.
Den Rest - und das sind gefühlt mindestens 50 %, kaufe ich bei Amazon, weil ich hier nicht stundenlang suchen muss wer dies und jenes überhaupt anbietet, es auch lieferbar ist in der Ausführung die ich brauche und wenn ja wann.
Bei Amazon klappt das einfach schnell und professionell. Jeder kann es nachmachen und nicht meckern.
Wenn die Politik den Einzelhandel (bis auf Ausnahmen) zusperrt, die Menschen aber eben Bedürfnisse haben, sollten wir froh sein, dass es Firmen wie Amazon gibt.
Also - nicht schimpfen auf andere sondern einfach besser machen - auch wenn es erst im Kleinen anfängt.
Nur Mut.
Bleibt gesund.
Ich hoffe, dass es einen solidarischen europäischen Ansatz geben wird, der die "Krisengewinnler" Amazon, eBay aber auch Facebook und andere wie Netflix und ggfs. sogar diejenigen die derzeit für Schutzkleidung Mondpreise aufrufen dazu verpflichtet, die während der Krise gemachten Gewinne an die Gemeinschaft abzuführen, um damit den Einzelhändlern und Dienstleistern die ihre Geschäfte schliessen mussten einen Gewinnausfall zu ersetzen und somit deren Weiterbestehen zu ermöglichen.
Das hat m.E. nichts mit Sozialismus, aber viel mit Solidarität zu tun.
Warum ist noicht schon längst das Kartellamt diesem Riesen Amazon auf der Lauer ? Das ist doch sowieso schon mehr als nötig !!!
Ich wollte aufgrund der aktuellen Situation Lebensmittel online bestellen. Edeka, Aldi, Lidl Fehlanzeige. Also mal bei Rewe geguckt. Schön gemachter Shop. Mal einen lokalen Anbieter unterstützen statt Amazon.
Ich hab dann einen Einkaufswagen zusammen geklickt. Als zweiten Schritt soll man den Liefertermin auswählen. Den größten Teil der Tage gibt es gar keine Auslieferung, den Rest der Zeit nur halbe Tage. Keine Lieferung möglich, alle belegt. Das ist kein von Corona erzeugtes Problem, das ist ein grundsätzlicher Mangel. Auto ohne Räder fährt nicht. Und damit will man Amazon Konkurrenz machen? Autsch.
Amazon hat auch mal klein angefangen. Kunden stimmen im Geschäft mit den Füßen ab, online mit der Maus. Amazon gewinnt diese Abstimmung jeden Tag. Die Konsequenz ist der hohe und wachsende Marktanteil. Amazon ist nicht nett zu kleinen Anbietern? Fragt doch mal die Landwirte die die großen Lebensmittelketten beliefern, wie nett die sind. Welche Plattform würden die kleinen Marketplace-Anbieter nutzen wenn es Amazon nicht gäbe? Eine andere Plattform -die blos keiner auf die Reihe bekommt- und dort werden die dann super toll behandelt? So ein Quatsch.
Wie man erfolgreich Online-Geschäft macht demonstriert Amazon jeden Tag. Nachmachen bekommt man nicht geregelt, also am besten Amazon verbieten? Tolles Konzept. Funktionierts?